ifo Standpunkt Nr. 132: Fed versus EZB: Wie man die Target-Schulden tilgen kann

Autor/en
Hans-Werner Sinn
München, 14. März 2012

Da der Präsident der Bundesbank Jens Weidmann seine Besorgnis über die ansteigenden Target-Salden jüngst in einem offiziellen Brief an EZB Präsident Mario Draghi geäußert hat, kann das Problem der wachsenden Ungleichgewichte im Target-System nicht weiter ignoriert werden. Im Februar dieses Jahres wies die Bundesbank eine Target-Forderung von 547 Mrd. Euro gegenüber dem Eurosystem aus, während die Niederländische Zentralbank eine Forderung in Höhe von 171 Mrd. Euro im Januar verbuchte. Die Höhe der Forderungen übersteigt mittlerweile die Hälfte der gesamten Nettoauslandsvermögen beider Länder.

Die Target-Kredite entstanden, weil sich die Peripherieländer des Euroraums mit Billigung des EZB-Rates die elektronische Notenpresse geliehen und Geld wie Heu gedruckt haben. Das Geld floss zu uns und in die Niederlande, um hier Güter zu kaufen oder Schulden zu tilgen; in erster Linie weil die deutschen und niederländischen Geschäftsbanken nicht bereit waren, Interbankenkredite zu den Konditionen zu vergeben, zu denen die nationalen Zentralbanken des Eurosystems Zentralbankkredite offerieren. Freilich hat der überquellende Kredit die deutschen und niederländischen Banken veranlasst, weniger Kredit von ihren Zentralbanken zu holen oder ihren eigenen Kredit den Zentralbanken anzudienen. Die Bundesbank wie auch die Niederländische Zentralbank wurden dadurch zu Nettoschuldnern gegenüber ihren eigenen nationalen Geschäftsbanken, und die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse, ausgedrückt in marktfähigen Wertpapieren, wurden durch Target-Forderungen gegenüber dem EZB-System ersetzt, die niemals fällig werden. Eigentlich messen Target-Salden den Nettobetrag an Geld, der innerhalb der Eurozone zirkuliert, aber, wie ich zum ersten Mal vor etwa einem Jahr erläutert habe, messen sie indirekt auch eine öffentliche, internationale Kreditvergabe zwischen den Notenbanken des Zentralbankensystems. Sie kommen den öffentlichen Krediten über die EFSF nahe und sind im Wesentlichen fiskalischer Natur.

Die entscheidende Frage, die sich aus dem Brief von Jens Weidmann ergibt, ist, ob und wie die Target-Kredite getilgt werden sollten. In Anlehnung an den elften Jahresbericht der European Economic Advisory Group (EEAG) plädiere ich für einen Ausgleich der Salden ähnlich dem US-amerikanischen System.

In den Vereinigten Staaten gibt es zwölf Distrikte der Notenbank “Fed”, und zwischen ihnen gibt es Target-ähnliche Salden (ISA-Salden). Diese Salden müssen jeden April getilgt werden, indem die “District-Fed”, die ihre Druckerpresse im Übermaß betätigte, für das netto abfließende Geld handelbare Wertpapiere, die sie nicht selbst schaffen kann (“gold-backed securities”), bilateral an die jeweils anderen District-Feds überträgt. Dazu werden Eigentumsanteile an einem Clearing-Portfolio der Fed, das bundesstaatliche Wertpapiere enthält, zwischen den District-Feds verschoben.

Bei der Berechnung der Tilgungsleistung verfährt man freilich so, dass der durchschnittliche Zuwachs der Target-Schulden des vergangenen Jahres gegenüber dem Wert zum letzten Stichtag, und nicht etwa der Endbestand zu tilgen ist. Dieses Detail impliziert, dass ein Rest von Target-Salden auch nach dem Stichtag stehen bleiben kann. Dennoch wird der Anstieg der Salden ganz erheblich gedämpft.

Das zeigt die unten stehende Abbildung. Sie vergleicht den gesamten Zeitverlauf der Summe aller Target- bzw. ISA-Forderungen in Relation zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt. Man erkennt sehr deutlich, dass die Salden in den Vereinigten Staaten während der Finanzkrise wesentlich langsamer anstiegen als in der Eurozone. Das liegt zum einen daran, dass es in Amerika unattraktiv ist, die Target-Kredite in Anspruch zu nehmen, und die defizitären District-Feds versuchen, ihre Schulden selbst zu reduzieren, bevor sie im April Anteile am Clearing-Portfolio verlieren. Die deutlich sichtbare Abnahme der Salden in den Monaten vor dem April 2009 ist auf diesen Effekt zurückzuführen. Zum anderen kommt eine Bremswirkung durch die erzwungene Tilgung zustande, wenn es nicht gelingt, die Salden durch eigene Maßnahmen rechtzeitig abzubauen. So haben im April 2010 im Umfang von etwa 190 Mrd. US-Dollar ISA-Tilgungen durch Eigentumsübertragungen stattgefunden. Auch im April des Jahres 2011 wurde getilgt, aber nur wenig, denn die ISA-Zuwächse waren im Vorjahr laufend gefallen und erst zu Jahresbeginn wieder gestiegen.

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Ende 2011 lagen die amerikanischen Salden bei 337 Mrd. Dollar oder 2,3% des BIP, während die Target-Forderungen im Eurosystem am aktuellen Rand 796 Mrd. Euro oder 8,7% des BIP der Eurozone ausmachten. Relativ gesehen waren die europäischen Salden also etwa viermal so groß wie die amerikanischen, und dies obwohl die Finanzkrise in den Vereinigten Staaten begann und die Fed viel mehr Geld in die Wirtschaft gepumpt hat als die EZB. Wollte man der Bundesbank für die während der Krise aufgebauten Target-Forderungen (Mai 2006 bis April 2012) eine Tilgung nach den amerikanischen Regeln zubilligen, so könnte sie nun schätzungsweise mit etwa 336 Mrd. Euro an goldbesicherten Wertpapieren rechnen.

Die Frage ist freilich, wie man das amerikanische System auf Europa übertragen könnte. Sicherlich wäre es keine Lösung, den Defizitländern die Tilgung mit normalen Staatspapieren aus eigener Herstellung zu erlauben. Dann käme man vom Regen in die Traufe.

Die European Economic Advisory Group at CESifo hat in ihrem elften Jahresbericht vorgeschlagen, in der Eurozone ein System von kurzfristigen staatlichen Pfandbriefen (Euro Standard Bills) zu schaffen, die nach einheitlichen Kriterien vom jeweiligen Nationalstaat mit Immobilien oder vorrangigen Ansprüchen auf zukünftige Steuereinnahmen besichert sind. Diese Pfandbriefe können nach Meinung des Rates zur jährlichen Tilgung der Target-Salden verwendet werden. Eine einfache Minimallösung, die ebenfalls Wirkung entfalten könnte, hat der frühere Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger vorgeschlagen. Er will die Target-Salden mit progressiv gestaffelten Strafzinsen belasten, die dann von den Defizitländern an die Überschussländer abgetreten werden.

Auf jeden Fall braucht die Eurozone ein System von Stoßdämpfern, die die extremen Ausschläge bei den Target-Krediten abfedern. Der Überziehungskredit beim privaten Girokonto ist auch nicht beliebig zu haben.

Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts

In ähnlicher Form erschienen unter dem Titel „Fed versus EZB: Wie man Target-Schulden tilgt“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 49, 27. Februar 2012, S. 14; sowie unter „Fed versus ECB: How Target debts can be repaid“ bei VoxEU.org.