Deutscher Starökonom.Die EZB-Politik richtet mehr Schaden an, als sie nützt, sagt Hans-Werner Sinn.
Interview von H. Sileitsch-Parzer
KURIER: Der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof (EuGH) hält es für legitim, dass die EZB Staatsanleihen von Krisenländern kauft. Wie hätten denn Sie über das OMT-Programm ("Outright Monetary Transactions") entschieden?
Hans-Werner Sinn: Ich kann seiner Begründung nicht folgen. Er sagt, es sei legitim für die EZB, durch den OMT-Schutz die Zinsen der Krisenländer unter das Niveau zu drücken, das der Kapitalmarkt angesichts der unsicheren Rückzahlung verlangt hätte, um die Solvenz dieser Länder zu sichern. Genau das ist die monetäre Staatsfinanzierung, die Artikel 123 des EU-Vertrages verbietet.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ist anderer Meinung als der Generalanwalt. Wer hat das letzte Wort?
Das Bundesverfassungsgericht hält das OMT für Unrecht, wenn es dazu dient, die Finanzierung eines Landes vom Kapitalmarkt unabhängig zu machen - das Gegenteil von dem, was der Generalanwalt sagt. Dem deutschen Gericht wird nichts anderes übrig bleiben, als das OMT als inkompatibel mit dem Grundgesetz darzustellen.
Was sind die Konsequenzen?
Dann ist die Bundesregierung möglicherweise gezwungen, den Maastrichter Vertrag zu kündigen. Das Beharren auf diesem Programm würde den Euro zerstören.
EZB-Chef Mario Draghi hat immerhin die Märkte beruhigt. Gibt ihm der Erfolg nicht recht?
Nein, das ist keine Rechtskategorie. Das deutsche Verfassungsgericht hat explizit erklärt, dass der Zweck die Mittel nicht heiligt. Dem stimme ich zu, zumal der Erfolg ja nur insofern besteht, als dass Anlagerisiko von den Kapitalanlegern auf die Steuerzahler der Eurozone übertragen wurde, die jegliche Verminderung der Gewinnausschüttungen an die Finanzminister kompensieren müssen. Weil die Steuerzahler die Dinge nicht durchschauen und normale Staatsbürger sind, die dem Staat vertrauen, die Anleger aber clevere Leute sind, die alles argwöhnisch beobachten, bedeutet die Übertragung des Risikos von der zweiten auf die erste Gruppe eine Beruhigung der Situation.
Wäre es nicht riskant, diese EZB-Instrumente zu beschneiden? Die Finanzmärkte könnten erneut überreagieren.
Ja, natürlich. Aber erst, wenn keine Hilfe von der EZB mehr kommt, werden die Länder selbst etwas tun. Sie können eine gesunde Haushaltspolitik machen, Steuern erhöhen oder Schulden zurückzahlen. Geht ein Schweizer Kanton pleite, hilft kein Mensch. Wird die Haftung aber kollektiviert, kommt es zu Schulden-Exzessen, weil die Anleger sich dann mit niedrigen Zinsen begnügen. Warum soll man schmerzliche Einschränkungen durchführen, wenn man sich das Geld billig leihen kann?Braucht es nicht frisches Geld von der EZB durch Anleihenkäufe, um Liquidität in die Wirtschaft zu pumpen und Investitionen in Südeuropa anzuregen?
Nein, die Banken schwimmen in Liquidität. Das Problem ist, dass die Risiken der Anlagen in Südeuropa zu groß sind, weil zu viel Kapital schon falsch verwendet wurde und gar keine sinnvollen Anlagemöglichkeiten übrig bleiben. Diese durch staatliche Hilfen künstlich attraktiv zu machen, bedeutet nur eine Fehllenkung von Kapital.
Die Inflationsrate im Euroraum war zuletzt schon negativ. Für Sie kein Grund zu handeln?
Nein, das ist kein hinreichender Grund. Die niedrige Rate liegt nur daran, dass die Importpreise für Öl und andere Rohstoffe gefallen sind. Das wirkt wie ein Konjunktur-Programm für Europa. Die Deflation wird vorgeschoben, um halb bankrotte Staaten und Banken in Südeuropa mit Billigkrediten aus der Druckerpresse zu retten.
Befürchten Sie kein "Japan-Szenario" von Deflation und Stagnation?
Das hat gar keine Ähnlichkeit. Die Kerninflation ist im Euroraum ziemlich stabil, und wir haben keine allgemeine wirtschaftliche Stagnation wie Japan, sondern ein Strukturproblem, weil südeuropäische Länder die Wettbewerbsfähigkeit verloren haben. Wenn man da die Nachfrage durch Geldpolitik oder keynesianisches Schuldenmachen stärkt, wirkt das kontraproduktiv. Es mindert zwar für den Moment den Leidensdruck, weil man seine Leistungen an den Staat statt an den Markt verkaufen kann. Am Ende kann eine Wirtschaft aber nur bestehen, wenn sie ihre Güter an den Markt verkauft.
Die EZB-Aktion hätte also gar keine Effekte?
Doch, sie verzögert die nötige Anpassung der Preise, konkret die Senkung der relativen Preise Südeuropas, die notwendig ist, um die Super-Inflation rückgängig zu machen, die der Euro in seinen vermeintlich guten Jahren in Südeuropa erzeugte. Ohne diese Senkung werden die betroffenen Länder nicht wieder wettbewerbsfähig.
Gemeint waren eigentlich Folgen im positiven Sinn ...
Sie wird Investitionen in Südeuropa hervorrufen - genau das, was wir nicht brauchen.
Wie bitte? Die EU will doch 315 Mrd. Euro investieren, um die Konjunktur in Gang zu bringen. Wo soll das Geld sonst hin?
Es gibt viele sinnvolle Investitionen in Deutschland und der weiten Welt als Alternative. Vor der Krise wurde zu viel Kapital in Südeuropa versenkt. Die Griechen haben es aufgegessen, und zwar durch Lohnerhöhungen im Staatssektor. Die Spanier haben es in sinnlose Immobilien und in Infrastruktur investiert, die jetzt verfällt.
Langfassung des Interviews unter www.kurier.at/wirtschaft