Die Energiewende ist nach Ansicht von Hans-Werner Sinn ein Irrweg. Im Interview erklärt der Präsident des ifo-Institutes, weshalb die Reformen von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel wenig bringen und bei der Verwertung von Windstrom Tauchsieder in der Elbe helfen könnten.
mm: Herr Professor Sinn, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel will die Förderung erneuerbarer Energien reformieren. Packt Deutschland so doch noch die Energiewende?
Sinn: Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Förderung der erneuerbaren Energien kostet bereits irrsinnig viel Geld, und das Ausbauvolumen wächst. Langsam wird klar, dass der Strom aus Wind- und Solarkraftwerken ziemlich nutzlos ist. Er destabilisiert das Netz, und er verschandelt die Landschaft. Die Windmühlen verwandeln die letzten deutschen Naturlandschaften in Industriegebiete. Die gigantischen Betonfundamente der Windanlagen werden für immer als Ruinen einer völlig verzerrten und ideologischen Energiepolitik stehen bleiben. Eine Bürgerinitiative nach der anderen gründet sich dagegen. Das wächst sich zu einem Proteststurm aus.
mm: Wenn Bundeswirtschaftsminister Gabriel seine Reformen gut verkauft und der Strom nicht mehr teurer wird, könnte die Energiewende wieder an Akzeptanz gewinnen.
Sinn: Die Kosten der EEG-Umlage werden dennoch erheblich steigen, und damit den Strompreis noch weiter erhöhen. Überhaupt ist das ganze politische Techtelmechtel nur eine Randerscheinung. Das wirkliche Problem liegt auf der technischen Seite. Mit dieser Energiewende kommen wir nicht weit. Wir wollen einerseits aus den fossilen Energien raus, aber auch aus der Atomenergie. Was bleibt dann noch? Fast nur der Zufallsstrom aus Wind und Sonne.
mm: Die erneuerbaren Energien decken inzwischen immerhin fast ein Viertel des deutschen Strombedarfs.
Sinn: Das ist aber kein gesicherter Strom, der ständig zur Verfügung steht. Wind- und Sonnenstrom sind minderwertig, weil sie zufällig kommen. Das müssen Speichertechnologien ausgleichen. Um vier Siebtel des Wind- und Sonnenstroms des Jahres 2011 für sich genommen zu verstetigen, wären mindestens 400 Pumpspeicherkraftwerke durchschnittlicher Größe erforderlich, wir haben aber nur 35 in Deutschland. Diese würden fast 100 Milliarden Euro kosten.
mm: Wozu all diese Speicher? Vor allem flexible Gaskraftwerke taugen in den nächsten Jahrzehnten als Begleiter der erneuerbaren Energien.
Sinn: Das ist wohl der einzig mögliche Weg. Aber dann sind wir doch wieder bei der fossilen Energie. Und für das Gas brauchen wir genauso große neue Speicherkapazitäten. Die Russen sind nun einmal nicht bereit sind, ihr Gas nur dann zu schicken, wenn der Wind nicht weht. Die Sache wird sehr teuer, vor allem auch weil die Gaskraftwerke als Lückenbüßer vorgehalten werden müssen, ohne dass sie wirklich eingesetzt werden.
"Tauchsieder in der Elbe installieren"
mm: Genau dafür sind Gaskraftwerke doch konzipiert - sie sollen Angebotslücken füllen.
Sinn: Sicherlich, aber jetzt brauchen wir neue Speicher und neue Gaskraftwerke, die nur ab und zu angeschaltet werden. Das macht keinen Sinn. Würde man diese Kraftwerke durchlaufen lassen, so könnte man Wind- und Sonnenstrom, der zwischen 9 und 20 Cent pro Kilowattstunde kostet, durch Strom zu 5 Cent pro Kilowattstunde ersetzen. Außerdem könnte man sich die neuen Speicher sparen.
mm: Tatsächlich sind Wind- und Sonnenstrom inzwischen doch viel günstiger. Eine weitere Alternative zum massiven Speicherausbau könnte zudem sein, mit überschüssigem Windstrom heißes Wasser zu erzeugen und dieses in vorhandene Fernwärmenetze zu pumpen. Das probieren manche Versorger in Norddeutschland, zum Beispiel Vattenfall.
Sinn: Aber dann wird das eine teure Wärme. Das ist ja wie Wegwerfen des Stroms. Sie haben eine hochwertige Energieform, den Strom. Und machen eine minderwertige Energieform, die Wärme daraus.
mm: Vorhin sagten Sie, Windstrom sei wertlos. Nun ist er auf einmal zu hochwertig, um aus ihm Wärme zu machen.
Sinn: Der Windstrom ist als Strom höherwertiger als Wärme, aber minderwertig im Vergleich zu konventionellem Strom, weil er nur zufällig fließt. Bevor man den Windstrom ganz wegwirft, kann man ihn in dieser Form natürlich verschleudern. Es ist besser, als die Nachbarländer dafür zu bezahlen, ihn zu vernichten, wie wir es regelmäßig tun. Man könnte die Tauchsieder auch fast schon gleich in der Elbe installieren. Normalerweise macht man aus Wärme Strom und ist bereit, hohe Effizienzverluste in Kauf zu nehmen, damit man die höherwertige Energieform hat.
mm: Vielleicht lohnt es sich, an dieser Stelle einmal umzudenken?
Sinn: Ich wiederhole mich: Da entsteht aus einer hochwertigen Energie eine minderwertige Energie, die anderweitig zu einem Bruchteil der Kosten herstellbar ist. Das ist fast wie Stromvernichtung.
mm: Wenn der Ausbau der erneuerbaren Energien so sinnlos ist, weshalb setzen weltweit immer mehr Staaten darauf?
Sinn: Welche denn? Die meisten entwickelten Industrieländer behalten ihren Atomstrom. Es gibt 142 Atomkraftwerke außerhalb Deutschlands in Europa. Weltweit sind 64 neue Atomkraftwerke in Bau und knapp 500 in der Planung.
"Schäden der Atomkraft sind minimal im Vergleich zu Kohlendioxid"
mm: Portugal, Spanien, Dänemark und andere haben ja zum Beispiel größere Anteile von erneuerbaren Energien als Deutschland. Die USA und China bauen riesige Wind- und Solarparks.
Sinn: Deutschland war vor kurzem noch der größte Produzent von Windstrom, jetzt sind wir wohl von den USA abgelöst worden, aber die USA sind ein wesentlich größeres Land. Im Übrigen ist der Boom des Windstroms in den USA vorbei, weil Obama die Mittel dafür radikal gekürzt hat. Sicher, kleine Länder mögen hier und da größere Anteile haben.
mm: In den USA zeichnet sich schon der nächste Windboom ab. Neue Atomkraftwerke werden dagegen immer teurer. In England kostet das 3200-Megawatt-Projekt Hinkley Point 19 Milliarden Euro. Der Versorger EdF baut die Anlage nur, weil er mehr als 11 Cent pro Kilowattstunde in Form einer festen Einspeisevergütung bekommt - garantiert für 35 Jahre, plus Inflationsausgleich.
Sinn: Das kommt mir teuer vor. Es ist aber immer noch viel weniger als der durch Speicher geglättete Windstrom kostet.
mm: Es deutet darauf hin, dass die Atomkraft es derzeit schwer am Markt hat.
Sinn: Spanien hat gerade beschlossen, den Beschluss zum Ausstieg aus der Atomkraft rückgängig zu machen, und Polen will neu einsteigen. Japan nimmt einen Reaktor nach dem anderen wieder ans Netz.
mm: In Japan ist weiterhin kein Reaktor am Netz ... So leicht scheint es nicht zu gehen.
Sinn: Wenn es so wäre, wie Sie sagen, würde es mich aber nicht stören. Lassen wir den Markt entscheiden. Wir sind doch nicht in einer Zentralplanungswelt, wo Politiker über Technik entscheiden, das muss der Markt machen. Wir müssen nur darauf achten, dass die externen Schäden in der Kostenrechnung der Unternehmen richtig abgebildet werden, was für Atomkraftwerke heißt, dass sie eine Haftpflichtversicherung brauchen, und für Windflügel, dass sie die Kosten der Naturverschandelung tragen.
mm: Was bedeutet das für den Klimawandel? Wir sind aus Ihrer Sicht auf die Kernenergie angewiesen, wenn wir die Erderwärmung aufhalten wollen.
Sinn: Der Markt muss dort korrigiert werden, wo externe Kosten anfallen, für die keiner bezahlt. Im Fall von Kohle heißt das, auch Kohlendioxid braucht einen Preis. Das ist aber leichter gesagt als getan. Eine Steuer, die nur einige Länder erheben, führt dazu, dass der Weltmarktpreis für Kohle sinkt und andere Länder genau die Mengen an Brennstoffen verbrauchen, die diese Länder freigeben. Die Menge an Kohlendioxid, die insgesamt freigesetzt wird, ist dieselbe.
mm: Ist es angesichts dieser Schwierigkeiten nicht Erfolg versprechender, politisch einen Technologiesprung zu provozieren - sei es bei den erneuerbaren Energien, sei es bei der Atomtechnologie? Dann kommt die Sache von allein ins Rollen.
Sinn: Ich bin weniger optimistisch. Wenn es klappt, bekommen die Potentaten in den Öl,- Kohle- und Gasländern Angst. Dann werfen sie sogar noch mehr von ihren Rohstoffen auf den Markt, um der Marktvernichtung zuvor zu kommen. Der scheinbare Erfolg wird so den Klimawandel beschleunigen.
mm: Die erneuerbaren Energien taugen nichts, Atomkraft ist womöglich zu teuer, eine Kohlesteuer bringt nur etwas, wenn alle mitmachen. Das alles klingt sehr pessimistisch. Wo liegt der Ausweg?
Sinn: Die einzige Hoffnung der Menschheit war die Atomkraft, und jetzt ist Deutschland auf dem großen Irrweg. Es macht sich schuldig an zukünftigen Generationen und ist ein schlechtes Beispiel für andere Länder. Die Schäden in der Natur durch die Atomkraft sind minimal im Verhältnis zu den verheerenden Schäden durch Kohlendioxid in der Atmosphäre. Wenn es noch einen dritten Weg gäbe, wäre es schön, aber der steht nicht wirklich zur Verfügung.
Das Interview führte Nils-Viktor Sorge.