HALLE/MZ - Die Europäische Zentralbank hat wegen der Staatsschulden-, Finanz-, und Wirtschaftskrise in den südeuropäischen Staaten den Leitzins auf Rekordniveau gesenkt. Zusätzlich haben die Euro-Staaten milliardenschwere Hilfen für Griechenland und Portugal bewilligt. Die Probleme werden dadurch allerdings nicht gelöst, sagt Professor Hans-Werner Sinn, Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München, im Gespräch mit Steffen Höhne.
Die Ratingagenturen haben zuletzt die Bonität von Griechenland wieder etwas besser beurteilt. Wird jetzt das Ende der Euro-Krise eingeläutet?
Sinn: Nein, die Euro-Krise hat zwei Seiten. Sie ist eine Finanzkrise und eine reale Krise der produzierenden Wirtschaft. Die reale Krise ist noch längst nicht überwunden. Denn es handelt sich um kein konjunkturelles Problem, sondern eine Wettbewerbskrise fundamentaler Art. Ich sehe auch keine Besserung. Im Übrigen war das griechische Staatsdefizit im abgelaufenen Jahr 2013 vermutlich noch höher als im Jahr davor.
Zuletzt gab es doch aber die positive Meldung, dass das Primärdefizit drastisch geschrumpft sei. Einnahmen und Ausgaben des griechischen Staates nähern sich immer mehr an.
Sinn: Das stimmt. Aber das wirkliche Staatsdefizit bezieht die Zinslasten mit ein. Obwohl die Staatengemeinschaft den Zinssatz für Griechenland fast auf Null gesenkt hat, nehmen die finanziellen Verbindlichkeiten gemessen an der Wirtschaftskraft weiter zu. Die Schuldenspirale läuft weiter – wenn auch verlangsamt.
Warum kommt Griechenland nicht aus dem Tal heraus?
Sinn: Der tiefere Grund ist, dass Griechenland zu teuer ist und über seine Verhältnisse lebt. Griechische Waren sind 60 Prozent teurer als türkische. Durch die Einführung des Euro konnte Griechenland günstig Kredite aufnehmen. Die Löhne sind daraufhin gestiegen, – aber die Produktivität der Wirtschaft nicht. Deswegen stiegen die Preise weit über das Wettbewerbsniveau hinaus. Mit dem Euro kommt Griechenland nicht mehr auf die Beine.
Wäre Griechenland mit einer eigenen Währung besser dran?
Sinn: Ja, jedes Land kann wettbewerbsfähig sein, egal wie unproduktiv es auch ist. Es muss nur hinreichend niedrige Löhne haben, um den Preiswettbewerb mit anderen Ländern zu bestehen. Dies lässt sich relativ schmerzfrei durch eine Währungsabwertung erreichen – doch dieser Weg ist Griechenland durch die Gemeinschaftswährung verwehrt.
Einige Ökonomen halten nicht viel von Währungsabwertungen zur Herstellung der Wettbewerbsfähigkeit. Sie argumentieren, die Griechen oder Portugiesen müssen sich real anpassen, langfristig würde dies den Staaten viel mehr helfen.
Sinn: Was diese Ökonomen meinen ist die sogenannte reale Abwertung durch eine Kürzung von Löhnen und Preisen innerhalb des Währungsraums. Die halte ich für problematisch. In einer Gemeinschaftswährung müssen für eine reale Abwertung die Arbeitsschutzgesetze geschliffen, die Gewerkschaften geschwächt und Ausgaben für Sozialleistungen gesenkt werden. Das ist keinem Land zumutbar, zumal viele der überschuldeten Haushalte und Firmen dann in den Konkurs getrieben würden. Es werden so große Spannungen in der Gesellschaft erzeugt, dass sie daran zerbrechen kann. Aus diesem Grund wäre es für Griechenland wesentlich einfacher, den Euro aufzugeben und offen abzuwerten.
Welche Länder im Euro-Raum halten Sie für ähnlich gefährdet wie Griechenland?
Sinn: Kein Land ist so akut gefährdet wie Griechenland. An zweiter Stelle kommt Portugal.
Es wird von der Politik die Gefahr an die Wand gemalt, dass wenn ein Land aus der Euro-Zone austritt, eine Welle folgt und andere Länder mitgerissen werden.
Sinn: ... wieso ist dies eine Gefahr? Ich sehe dies als Chance, die Euro-Zone zu verkleinern und überlebensfähig zu machen. Ein Ansteckungseffekt wäre geradezu sinnvoll. Es kostet nur irrsinnig viel Geld, diese Währungsunion mit sämtlichen Südländern zusammenzuhalten. Da werden wir nur alle arm und unglücklich.