Herr Prof. Sinn, Ihr vor kurzem erschienenes Buch heißt .. Gefangen im Euro" Warum genau sind wir gefangen in der Gemeinschaftswährung?
Erst einmal sind die Südländer gefangen, weil der Euro sie in eine inflationäre Kreditblase trieb, die sie ihrer Wettbewerbsfähigkeit beraubte. Aber auch wir sind in der Falle, weil wir die fehlenden Wettbewerbsfähigkeit nun mit öffentlichen Krediten und Kreditgarantien, die irgendwann zu direkten Transfers mutieren werden, ausgleichen müssen.
Könnte Deutschland sich theoretisch und praktisch aus dem Euro verabschieden? Könnten wir zur D-Mark zurückkehren? Und viel wichtiger- was würde passieren, wenn wir das täten?
Theoretisch geht es und praktisch auch. Ich empfehle es aber nicht, weil wir dann viel politisches Porzellan zerschlagen. Ökonomisch käme es im Vorfeld des Austritts zu einer Kapitalflucht nach Deutschland, die man durch Kapitalverkehrskontrollen begrenzen müsste. Nach dem Austritt kann man die Kontrollen aufheben. Es würde zu einer Aufwertung der D-Mark kommen, die die Bundesbank dann durch einen Kauf ausländischer Währungen begrenzen müsste, ähnlich wie die Schweiz es tat. Da unsere Banken Verluste auf Forderungen gegenüber Südeuropa verbuchen müssten und das deutsch französische Verhältnis dabei auf der Strecke bliebe, rate ich davon ab.
Sie fordern eine tragfähige Lösung von der Politik, wie wir weiter mit der Euro-Problematik umgehen sollen. Was wäre Ihrer Meinung nach das am nächsten gelegene Modell?
Es ist besser, wenn jene Länder austreten, die nicht mit dem Euro zurecht kommen, bzw. nur deshalb damit zurechtkommen, weil sie sich das Geld, das sie brauchen drucken, oder unter kollektivem Geleitschutz anderer Länder leihen. Deshalb würde ich den Geldhahn zudrehen, statt immer weiter aufzumachen. Ich würde den austretenden Ländern aber einen Teil ihrer Bank- und Staatsschulden erlassen. Nach einer Abwertung und der Durchführung von Reformen könnten die betreffenden Länder über das EWS II wie Neuankömmlinge wieder eintreten.
Wenn eine Währung, die viel von Vertrauen und den dahinter stehenden Wirtschaften abhängt, so flexibel ist, dass man hinein und wieder hinaus gehen kann, werden dann die schwachen Länder nicht wegen Misstrauens vorverurteilt?
Was heißt schon schwache Länder? Länder, die unproduktiv sind, sind gleichwohl wettbewerbsfähig, wenn sie sich mit einem geringen Lebensstandard begnügen und nicht auf Pump leben. Sie können über eine hohe Bonität auf den Kapitalmärkten verfügen. Länder freilich, die sich auf Pump einen Lebensstand leisten, der nicht ihrer Produktivität entspricht, müssen hohe Zinsen zahlen, weil die Anlegermit einem Austritt und einer Abwertung rechnen. Das wiederum wird viele Länder davon abhalten, der Versuchung zu erliegen, immer mehr Schulden zu machen, und das ist gut so. Nur die Austrittsoption stabilisiert den Euroverbund.
Wenn man den Austritt ausschließt, kommt es zu Schuldenexzessen, die das gesamte System zugrunde richten werden. Das alles müsste die Politik bewerkstelligen. Ist sie dazu in der Lage? Leute wie Sie werden eher selten zu Gesprächen eingeladen oder?
Die Politik hat nicht die Kraft zu richtigen Entscheidungen, wohl wahr. Man überlässt das Problem lieber den Nachfolgern im Amt, so wie der Bankdirektor sich auch nicht traut, einem konkursreifen Großkunden den Kredit zu streichen, weil seine Bank dann rote Zahlen schreibt, sondern das Problem auf die Zeit nach seiner Pensionierung verschiebt. Berater, die einem raten, die roten Zahlen möglichst bald zu schreiben, hört man in der Tat nicht gerne.
Nun haben Sie ein weiteres Buch herausgebracht mit dem Titel "Verspielt nicht eure Zukunft". Steuern wir gerade auf noch größere Probleme zu, als wir bereits haben?
Ja. Wenn in fünfzehn Jahren die Baby-Boomer in die Rente kommen und zugleich die Abschreibungen auf die Rettungskredite anstehen, wird es eng werden im deutschen Staatsbudget Deutschland wird dann nicht mehr die Kraft haben, die Transferunion zu finanzieren. Dann werden auch hierzulande radikale politische Kräfte Auftrieb erhalten. Sie sprachen ja bereits mein Buch "Gefangen im Euro" an - das ist das notwendige Komplement zu "Verspielt nicht eure Zukunft".
Vielen Dank für Ihre Zeit Herr Prof. Sinn!
Das Interview führte Julien Backhaus