In Deutschland liegt die Kohle zwischen 700 und 1500 m tief, und die Flöze sind ca. 1,6 m dick. In den USA wird die Steinkohle teilweise im Tagebau (z.B. in Wyoming) gewonnen, und die Flöze sind dabei 25-30 m dick. Kein Wunder, dass die von Deutschland aus den USA importierte Kohle nur 82 DM pro Tonne kostet - etwa ein Viertel des Preises, zu dem die Kohle in Deutschland kostendeckend extrahiert werden kann, und die Hälfte des Preises, zu dem sie dank staatlicher Subventionen tatsächlich verkauft wird. Derzeit fließen pro Jahr etwa 3,7 Mrd. Euro an öffentlichen Mitteln an den Steinkohlebergbau und erhalten dort auf künstliche Weise die Wettbewerbsfähigkeit von etwa 66.000 Arbeitsplätzen. Der Ersatz des Kohlepfennigs durch eine steuerfinanzierte Subvention des Erzeugers, der durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Oktober 1994 veranlasst wurde, hat an der materiellen Bedeutung der Subventionen für die Branche wenig geändert. Ohne den staatlichen Tropf hätte die deutsche Kohleindustrie schon lange zu Grabe getragen werden müssen.
Unter dem Motto "Rettet die Kohle" wird die Subventionspolitik bei schrumpfendem Volumen nun schon jahrzehntelang betrieben. Dabei wird der Erhalt der Arbeitsplätze und die Abfederung des Strukturwandels als Argument angeführt. Der Tod der Kohleindustrie soll verhindert werden, um den Beschäftigten Arbeit und Brot zu geben und soziale Härten zu vermeiden.
Die Subventionen lassen sich indes nicht rechtfertigen, denn sie erhalten einen Sektor, der offenbar so geringe Leistungen für die Volkswirtschaft erzeugt, dass die Nutznießer nicht bereit sind, den dort beschäftigten Arbeitern und Angestellten genug zu zahlen, um sie für ihr Arbeitsleid und den Verlust an Freizeit zu kompensieren. Die Allgemeinheit muss über die Steuern mitzahlen, damit sich der Kohleabbau lohnt. Eine solche Intervention in den Marktprozess lässt sich nicht rechtfertigen, denn sie hebt das marktwirtschaftliche Prinzip aus den Angeln, dass aus der Vielzahl der technisch möglichen Produktionsprozesse nur solche realisiert werden, die den Kompensationstest unverfälscht überstehen: Produziert wird nur dann, wenn das Geld, dass die Nutznießer für eine Ware zu zahlen bereit sind, ausreicht, all diejenigen zu kompensieren, die bei der Produktion Nachteile erleiden, sei es in Form eines Verlustes an Zeit und Gesundheit oder sei es in Form eines Verlustes durch entgangene Erträge bei anderen Verwendungen des eingesetzten Kapitals. Dass so vieles nicht produziert wird, was die Ingenieure produzieren könnten, wenn man sie ließe, ist die eigentliche Leistung der Marktwirtschaft. Sie selektiert das Sinnvolle und verdammt das Unsinnige zur bloß ideellen Existenz in den Schubladen der Ingenieure.
Die Steinkohle ist nicht der einzige Sektor, der durch Subventionen am Leben erhalten wird. In der Summe zählt man in Deutschland um die 100 - 200 Mrd. Euro an öffentlichen Unterstützungszahlungen an Unternehmen, eine gigantische Summe, die nicht nur die Steuerzahler viel Geld kostet, sondern falsche Strukturen erhält oder gar erst ins Leben ruft und dadurch dauerhaften Schaden anrichtet. In den neuen Bundesländern zeugen die Investitionsruinen an den Rändern der Städte von diesem Effekt. Dennoch schlägt die Steinkohlesubvention dem Fass den Boden aus. Pro Arbeitnehmer und Jahr steuert der Staat etwa 56 Tausend Euro bei. Würde man die Zechen schließen, so könnte man mit den ersparten Subventionen jeden freigesetzten Arbeitnehmer in einem Spitzenhotel wohnen lassen und ihn obendrein mit einem großzügigen Taschengeld verwöhnen.
Das Argument, dass der Strukturwandel abzufedern sei, weil man den betroffenen Arbeitnehmern den Branchen- und Berufswechsel nicht mehr zumuten könne, hat schon auf tönernen Füßen gestanden, als versucht wurde, die Unterstützung an die Großväter der heutigen Kumpels zu legitimieren. Bei den Kindern und Enkeln, und erst recht bei ihren türkischen Kollegen, die man inzwischen für die harte Arbeit unter Tage angeworben hat, kann es nur noch mit Kopfschütteln registriert werden. Zum Strukturwandel durch einen bloßen Verzicht auf die Einstellung neuer Arbeitskräfte, also ohne die sozialen Härten, die Entlassungen mit sich bringen, hätte es in all den Jahren viele Gelegenheiten gegeben.
Als besonders absurd muss die Kohlepolitik unter dem Aspekt der Sicherung der Energieversorgung Deutschlands angesehen werden, denn sie führt ja zur Extraktion und Verbrennung der Kohle, nicht zu ihrer Bewahrung. Wir leben in einer Zeit, während derer die OPEC-Staaten durch unsichere politische Verhältnisse zu einer übermäßig raschen Extraktion veranlasst werden. Vom Ziel geleitet, die Bodenschätze, über die man derzeit verfügt, rechtzeitig zu versilbern und somit auf Schweizer Bankkonten zu sichern, bevor sich neue politische Kräfte ihrer bemächtigen, wird so viel Öl aus dem Boden gepumpt, wie es nur eben geht. Die Reserven schrumpfen deshalb zu schnell, die Preise sind zu niedrig, und ein zu geringer Bestand an natürlichen Ressourcen bleibt den zukünftigen Generationen erhalten. In dieser Situation muss sich ein jedes stabile Land, das über natürliche Energieressourcen verfügt und dem Wohlergehen der zukünftigen Landeskinder mehr Gewicht geben kann als die OPEC, dreimal überlegen, ob es seine Ressourcen heute extrahieren sollte. Das gilt nicht nur für die USA, England und Norwegen, sondern auch für Deutschland. Das Motto muss deshalb tatsächlich lauten: "Rettet die Kohle, baut sie nicht ab!"
Hans-Werner Sinn
Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft
Präsident des ifo Instituts