50 Jahre 68er Bewegung. An wen denkt man da? Rudi Dutschke, Rainer Langhans, Uschi Obermeier, Daniel Cohn-Bendit. Aber Hans-Werner Sinn? Wohl eher nicht. Doch der frühere Präsident des Münchner ifo-Instituts und Deutschlands streitbarster Ökonom war auch mal ein Linker und erlebte die 68er Bewegung hautnah. Damals lernte er auch seine Frau Gerlinde kennen. Was hat sie damals bewegt und wie sehen sie die 68er heute?
In linken Kreisen gilt Hans-Werner Sinn heute eher als neoliberaler oder gar marktradikaler Ökonom. Dabei war er selbst mal ein „Linker“. Aufgewachsen in einfachen Verhältnissen in einem kleinen Dorf in Westfalen wurde er schon in der Familie sozialdemokratisch geprägt und wurde auch Mitglied der Jugendorganisation der SPD, den Falken. So kam er 1967 an die Universität nach Münster mit durchaus sozialdemokratischen Ideen. Im Laufe des Studium hätten ihn seine Lehrer dann aber überzeugt, dass eine Marktwirtschaft am besten die wirtschaftlichen Ressourcen eines Landes verteilen kann.
„Prüde bis zum geht-nicht-mehr“
Seine Frau Gerlinde hatte erstmal andere Beweggründe, sich den Linken anzuschließen. Sie kam aus einem eher konservativen Elternhaus und wollte sich abgrenzen. Im Studium in Münster lernte sie dann ihren Mann kennen. Den sie übrigens anfangs noch gesiezt hat. Für das Ehepaar Sinn auch ein Zeichen für die Prüderie dieser Zeit. Von freier Liebe der 68er Bewegung war in Münster nicht viel zu spüren.
Hans-Werner Sinn: „Die 68er Bewegung war eine ganz ernsthafte intellektuelle Bewegung.“
Für Gerlinde Sinn war es aber schon der Beginn einer neuen Zeit, die es ihr ermöglicht hat, mit ihrem Mann auch ohne Trauschein schon mal zusammenzuleben.
Gerlinde Sinn: „Es wurden Dinge denkbar, die vorher nicht denkbar waren. Ganz viele unserer Freunde haben schon zusammengelebt auch vor der offiziellen staatlichen Anerkennung dieser Gemeinschaft.“
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit
Es waren viel ernstere Themen, die auch die Sinns politisch umtrieben: Die Aufarbeitung der Nazi-Vergangenheit. Zu verhindern, dass die Bundesrepublik eine Atommacht wurde und der Protest gegen die Notstandsgesetze und den Vietmankrieg.
Gerlinde Sinn: „Für mich war auch die Auseinandersetzung mit der Frage wichtig: Was können wir Deutsche tun, damit wir in der Völkergemeinschaft wieder unsere vernünftige Rolle finden. Insofern waren viele damals der Überzeugung, dass eine Aufrüstung eine Katastrophe wäre. Die Vorstellung, dass von Deutschland noch mal ein Krieg ausgehen könnte, war einfach das aller allerletzte.“
Heute wie damals - der Streit um Märkte
Als Volkswirte waren sie vor allem auch daran interessiert, wie und ob Märkte funktionieren. Ist eine Zentralverwaltung besser oder eine Marktwirtschaft oder gibt es einen dritten Weg dazwischen? In den 68er Jahren war das Image der Marktwirtschaft nicht das Beste – jedenfalls nicht in der linken Bewegung. Sie sei ein anarchisches System, das zu Chaos und Krisen führe – so das Argument. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert.
Hans-Werner Sinn: „Es ist ja auch eine schwierige Frage. Wo ist die Grenzlinie zwischen Staat und Markt? Wir können nicht alles dem Markt überlassen, das führt zu zu viel Ungleichheit, wir können es aber auch nicht rein staatlich lösen, das führt zu DDR-ähnlicher Armut, also es muss doch irgendeinen Zwischenweg geben, das ist ja jedem klar und wo liegt jetzt genau das Optimum? Da haben unterschiedliche Leute unterschiedliche Vorstellungen und diese Diskussion wird es auch in 500 Jahren noch geben.“
Das Interview führte Christine Bergmann.
Nachzulesen auf www.br.de.
Zum Radiobeitrag „'Ich war ein 68er!' Porträt des Ökonomen Hans-Werner Sinn“.