Im Krieg muss man pragmatisch sein, findet Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. Er rät der Bundesregierung zu Gasalternativen wie Fracking, Atom- und Windkraft.
Berlin – Seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs und der starken Reduzierung russischer Gaslieferungen steckt Deutschland in einer Energiekrise. Die Preise für Strom, Warmwasser und Heizung erklimmen seit Monaten neue Rekordhöhen, worunter Wirtschaft wie Verbraucher leiden. Die Bundesregierung sucht händeringend nach Alternativen zum russischen Gas. Gaskrise: Debatte im Fracking, Atomkraft und Co.
Experten kritisieren, dass in den vergangenen Jahren der Ausbau der erneuerbaren Energien wie Solar- und Windkraft verschlafen wurde. Einige Ökonomen wie der ehemalige ifo-Chef Hans-Werner Sinn fordern darüber hinaus, dass nun angesichts der Energiekrise die AKW-Laufzeiten verlängert werden sollen. Manche Politiker – wie jüngst Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) – bringen dazu auch vermehrt das umstrittene Fracking ins Spiel, das in Deutschland kommerziell nicht praktiziert wird.
Beim Fracking wird Gas oder Öl mit Hilfe von Druck und Chemikalien aus Gesteinsschichten herausgeholt, was Gefahren für die Umwelt birgt. In Deutschland kämen dafür die Gasvorkommen im Nordosten des Bodensees infrage – dagegen läuft aber die baden-württembergische CDU nun Sturm. Die Debatte darüber, welche Methoden in welchem Umfang die richtigen sind, um Deutschlands Energieversorgung zu sichern, ist extrem aufgeheizt.
Nobelpreisträger über Gaskrise: „Jetzt ist nicht die Zeit für halbherzige Maßnahmen“
Der amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz empfiehlt in einem Interview mit der Welt der Bundesregierung mehr „Pragmatismus“: „Jetzt ist nicht die Zeit für halbherzige Maßnahmen. Europa hätte das schon vor sechs Monaten erkennen sollen, aber es ist immer noch möglich, jetzt gegenzusteuern, um mithilfe von Investitionen in Energiealternativen die Versorgungsengpässe zu beheben“, sagte der US-Top-Ökonom der Zeitung.
Fracking hält er dabei durchaus für eine Möglichkeit, um die Energieversorgung sicherzustellen. Das Gute am Fracking sei, dass es sich um eine kurzfristige Maßnahme handle, „die man aufsetzen kann und genauso schnell wieder beenden kann“, sagte Stiglitz der Welt. Auch die weitere Nutzung von Atomenergie hält er für sinnvoll. „Ich bin kein Fan dieser Technologie, aber wenn man die AKW länger laufen lassen oder sogar die abgeschalteten Kraftwerke zurückholen kann und die Sicherheit trotzdem gewährleistet ist, dann ist es absolut sinnvoll, das jetzt zu tun“, erklärte der Ökonom.
Man müsse alles nutzen, was man habe, findet Stiglitz: „Warum sagt man hier nicht einfach: Lasst uns alle Solarpaneele nutzen, die wir auftreiben können, lasst uns alle Windräder anwerfen, die wir haben. Ihr habt so viel Wind hier in Deutschland – nutzt das doch einfach“, sagte er der Welt.
Stiglitz warnte Deutschland schon 2006 vor Russland
Im Interview erwähnte er auch, dass er die deutsche Bundesregierung schon 2006 davor gewarnt habe, dass Russland bei den Gaslieferungen kein verlässlicher Partner sei. Von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe er jedoch keine Antwort darauf erhalten.
Joseph Stiglitz, Jahrgang 1943, ist Vorsitzender des Rates der Wirtschaftsberater des US-Präsidenten. Der ehemalige Chefvolkswirt der Weltbank erhielt 2001 den Wirtschaftsnobelpreis. Außerdem ist er Hauptautor des Berichts des Weltklimarates 1995, der 2007 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. (lma/dpa)
Der US-Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz (Mariscal/dpa)
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