Focus Money, 7. September 2022, Nr. 37, S. 11-15.
Herr Professor Sinn, Krieg, Inflation, schwacher Euro – ist unser Wohlstand in Gefahr? Wie alarmiert müssen wir sein?
Ziemlich. Denn während die Euro-Krise eine Wettbewerbskrise für die südeuropäischen Staaten war, bei der Deutschland ganz gut herauskam, ist dies jetzt eine Krise, die das Geschäftsmodell der Bundesrepublik Deutschland massiv infrage stellt und die zugleich an gesellschaftliche Verwerfungen der Vergangenheit erinnert, die durch Inflation hervorgerufen wurden.
Die Hyperinflation von 1923 geht dem 100. Jubiläum entgegen. Steht uns ähnlich Bedrohliches bevor?
Nein, davon kann nicht die Rede sein, so schlimm ist es nicht. Aber es gilt natürlich der Grundsatz: Wehret den Anfängen! Jede Inflation fängt mal klein an, wenn man sie nicht bekämpft.
Die EZB hat die Geldentwertung lange geleugnet, beim Notenbanker-Treffen Ende August in Jackson Hole klang Direktorin Isabel Schnabel erstmals so, als hätte sie den Ernst der Lage erkannt.
Ja, Frau Schnabel hat eine Kehrtwende gemacht, nachdem sie die Inflationsgefahren lange Zeit massiv heruntergespielt hatte. Noch im November letzten Jahres hat die EZB-Führung von einem bloßen Inflationssockel geredet.
Hat die Europäische Zentralbank jetzt eingesehen, dass entschlossenes Handeln nötig ist?
Da habe ich Zweifel. Die Kräfte in der EZB, die nicht in hinreichendem Umfang handeln wollen, sind nach wie vor in der Überzahl, so würde ich das mal behaupten.
Fühlen Sie eine gewisse Genugtuung, dass Sie recht behalten haben mit Ihren Warnungen vor der Inflation, wofür Sie als Populist und Schlimmeres tituliert wurden?
Nein, daran kann ich mich nicht erlaben, die Lage ist schlimm genug. Bezüglich der Schwerfälligkeit des öffentlichen Erkenntnisprozesses habe ich keine Illusionen, die hatte ich vorher schon nicht.
Sie fürchten, dass die EZB die Zinsen nicht rapide genug anhebt?
In der Tat. Wir erleben seit dem Sommer letzten Jahres eine Hinhaltetaktik. Während die angelsächsischen Länder frühzeitig eine Zinswende angekündigt haben, versuchte die EZB, sie zu verhindern, und hat das Thema kleingeredet. Die Folgen spüren wir jetzt: Es kam zu einer erheblichen Kapitalbewegung von Europa nach Amerika, wo man früher höhere Zinsen erwartete. Dies hat den Dollar aufgewertet und den Euro abgewertet, um mehr als 20 Prozent, was zu einem ähnlich großen Inflationsschub bei den Waren und Dienstleistungen geführt hat, die auf dem Weltmarkt eingekauft werden, einschließlich der Energie. Die EZB hat die Energieeinfuhren unmittelbar verteuert. Ihre Politik kann man vielleicht gut finden, wenn man die Interessen überschuldeter Staaten der Euro-Zone vertritt, denn durch die Inflation werden deren Schulden entwertet und durch die niedrigen Zinsen wird die nominale Schuldenlast niedrig gehalten. Was die EZB gemacht hat, war indes keine Politik im Interesse der Gemeinschaft der Euro-Länder und schon gar keine Politik, die im Einklang mit dem Auftrag des Maastrichter Vertrags stand, Preisstabilität herzustellen.
Jetzt steckt die EZB in der Falle: Erhöht sie im Kampf gegen die Inflation herzhaft die Zinsen, treibt sie uns geradewegs in die Rezession. Ein nicht aufzulösendes Dilemma.
Nein, das bestreite ich. Diese Argumentation entspringt einem weit verbreiteten Denkfehler. Wir befinden uns in einer Stagflation, einer Situation, wo die Beschränkung der Wirtschaftstätigkeit nicht von der Nachfrageseite, sondern von der Angebotsseite kommt – konkret von den Corona-bedingten Lockdowns und Quarantänemaßnahmen. Die sorgen bis zum heutigen Tag für eine Verknappung des Angebots. Auf den Weltmeeren hat sich der Schiffsverkehr noch immer nicht normalisiert, die Frachter liegen zu Tausenden vor den südchinesischen Häfen, können ihre Ware nicht löschen und können auch keine neue Ware aufnehmen. Das wird sich irgendwann auflösen, vorläufig bedeutet es aber, dass die Firmen des verarbeitenden Gewerbes nicht ihre Vorprodukte aus China bekommen und dann auch nicht liefern können. Obendrauf wurden auch die Öl- und Gaslieferungen verknappt. Also fehlt es insgesamt am Angebot, nicht an der Nachfrage. In so einer Situation dämpft eine restriktive Geldpolitik die Inflation, weil sie die Zinsen erhöht und die Nachfrage nach Krediten und damit nach Gütern schwächt. Sie dämpft aber nicht die reale Wirtschaftstätigkeit, weil die Firmen ohnehin nicht mehr liefern können. Deswegen gibt es überhaupt keine Rechtfertigung für eine Niedrigzinspolitik, wie sie die EZB immer noch verfolgt.
Sie sagen, die EZB könnte problemlos die Zinsen anheben, ohne das Land in die Rezession zu stürzen?
So ist es.
Dann könnte sie die Zinsen in der nächsten Ratssitzung auch gleich um 0,75 Prozentpunkte steigern?
Ja. Zumal die Zinsen selbst dann real stark negativ sind, angesichts von acht Prozent Inflation. Von einer Bremswirkung auf die reale Wirtschaftstätigkeit sind wir noch weit entfernt.
Um es noch mal festzuhalten: Sie geben der EZB die Schuld an den hohen Gaspreisen, nicht Putin und dem Krieg?
Nein, so einfach ist die Sache nicht. Die Euro-Abwertung, die aus der EZB-Politik folgte, hat die meistens in Dollar quotierten Preise für Flüssiggas auf den internationalen Märkten nach der Umrechnung in Euro unmittelbar erhöht. Das für sich genommen, hätte den Gaspreis in Europa unter normalen Bedingungen noch nicht verändern können. Wegen der Abschaltungen durch Russland ist nun aber das Flüssiggas zur marginalen Energiequelle in Europa geworden, die die Preise bestimmt. Die von der EZB zu verantwortende Abwertung hat auf dem Weg über den Flüssiggasmarkt den deutschen Gaspreis erhöht.
Und wie konnte es passieren, dass wir so abhängig sind von dem einst so billigen russischen Gas? Hat das ökonomische Kalkül politische Naivität produziert?
Nein. Die Energiekrise in Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg hätte nicht dieses Ausmaß angenommen, wenn Deutschland weniger auf Gas und mehr auf Kohle und Kernkraft gesetzt hätte. Die Fixierung auf das Gas ist eine unmittelbare Konsequenz der grünen Energiewende. Das übersehen viele.
Die herrschende Meinung behauptet genau das Gegenteil: Hätten wir früher und radikaler auf Erneuerbare gesetzt, könnten uns Putins Pipelines egal sein.
Das stimmt leider nicht. Viele Leute denken, wir könnten umso mehr konventionelle Kraftwerke – seien es Kohlekraftwerke, Gaskraftwerke oder Atomkraftwerke – außer Betrieb nehmen, je mehr Wind- und Solarenergie wir nutzen. Tatsächlich braucht die flatterhafte grüne Energie den konventionell erzeugten Strom, um die vielen lang anhaltenden Dunkelflauten zu füllen. Wenn kein Wind weht und keine Sonne scheint, brauchen wir trotzdem Strom. Und davon brauchen wir immer mehr, wenn auch noch der Verkehr elektrisch werden soll und die Häuser mit Wärmepumpen geheizt werden sollen. Wenn wir die Stromproduktion in Deutschland verdreifachen oder vervierfachen, wie es nötig wäre, um all die neuen Aufgaben zu erfüllen, brauchen wir auch drei- oder viermal so viele konventionelle Anlagen für die Dunkelflauten, ganz egal, wie viel Strom aus Wind- und Solarkraft wir bei günstigen Wetterlagen erzeugen können. Da Kohle und Kernkraft ausscheiden sollen, bleiben nur die Gaskraftwerke für die Stromproduktion in den Dunkelflauten. Es war für sie eine gewaltige, weit überproportionale Aufblähung geplant, ohne dass man das öffentlich je an die große Glocke gehängt hat. Damit haben uns die verantwortlichen Planer der Energiewende Putin ausgeliefert. Putin hat die Energiewende wie ein Kartenhaus zusammenfallen lassen.
Energieökonomen wie Claudia Kemfert vom DIW lassen das Flaute-Argument nicht gelten, man könne grüne Energie schließlich speichern.
Die Speicherung für den nötigen saisonalen Wetterausgleich wird uns auf absehbare Zeit nicht gelingen. Die vorhandenen Pumpspeicherwerke sind ein Tropfen auf den heißen Stein und man kann sie auch nicht hinreichend vermehren. Batterien sind als saisonale Speicher noch Zehnerpotenzen von der Wirtschaftlichkeitsschwelle entfernt. Nur der Wasserstoff kommt infrage. Die Schleife vom Strom über den Wasserstoff zurück zu Strom vernichtet aber drei Viertel der erzeugten Energie, die Anlagen sind extrem teuer und Wasserstoff versprödet sämtliche Materialien, die für Rohrleitungen infrage kommen. Die Leitungen müssen also alle paar Jahre erneuert werden. Der Weg über den Wasserstoff und daraus abgeleitete E-Fuels ist technisch möglich, doch nur zu horrenden Kosten, die uns unseres Wohlstands berauben.
Sehen Sie deshalb eine Comeback-Chance für die Atomkraft? Die Gegner wenden ein, dass die verbliebenen drei AKWs eh nur minimal zur Stromversorgung beitragen.
Der grüne Strom ist auch nicht so umfangreich, wie alle tun. Die sechs Atomkraftwerke, um die es geht – die drei, die letztes Jahr abgeschaltet wurden, und die drei, die dieses Jahr abgeschaltet werden –, erzeugen immer hin 20 Prozent mehr Strom als sämtliche photovoltaischen Anlagen in Deutschland zusammen. Viele Leute übersehen, wie gering die Bedeutung des Wind- und Sonnenstroms in Deutschland tatsächlich ist. Am Primärenergieverbrauch ist der Anteil gerade mal 5,5 Prozent, am Endenergieverbrauch 7,5 Prozent. Man will perspektivisch 100 Prozent erreichen, nur wie soll das gehen? Noch dazu in 23 Jahren. Wir haben seit 1990 den CO2-Ausstoß durch die Abschaltung der DDR-Industrie und andere Maßnahmen um 40 Prozent reduziert. Bis 2045 sollen wir die restlichen 60 Prozent schaffen. Das ist absolut utopisch. Oder wollen wir die westdeutsche Industrie jetzt auch noch abschalten? Das geht alles überhaupt nicht. Ich kann mich nur wundern, wie leicht sich das deutsche Volk zu seinen irrealen Träumereien hat verleiten lassen.
Sehen Sie keine Notwendigkeit, den Klimawandel zu stoppen?
Doch, natürlich! Die Länder der Welt müssen koordiniert gegen den Klimawandel vorgehen, indem sie auf grüne Energien einschließlich der Atomkraft setzen. Aber man muss realistisch bleiben. Der unilaterale Weg der Europäer, speziell der Deutschen, führt nur zur Vernichtung der Wettbewerbsfähigkeit, doch kaum zu einem CO2-Effekt für die Welt.
Warum nicht?
Weil die fossilen Brennstoffe, die wir hier weniger verbrauchen, nämlich Kohle und Öl und auch Gas, dann anderswo auf der Welt verbraucht werden, von den Chinesen und all den anderen, die beim Klimaschutz nicht so mitmachen, ja geradezu unsere Konkurrenten und potenziellen Feinde sind. Das Einzige, was wir im Alleingang für das Klima erreichen können, ist, dass wir die Braunkohle, die auf deutschem Territorium liegt, nicht mehr abbauen. Bei allen anderen Brennstoffen fossiler Art können wir gar nichts erreichen, wenn wir die Nachfrage einschränken.
Weil Öl und Gas dann nur von anderen verbrannt werden?
Ja. Wenn wir in Europa zum Beispiel Verordnungen erlassen, die die Verbrennermotoren zurückdrängen oder gar verbieten, dann geht der im Öl gebundene Kohlenstoff eben in anderen Gegenden in die Luft. Maßnahmen zum CO2-Ausstoß im Verkehrswesen und unilaterale Maßnahmen Europas bewirken rein gar nichts.
Das Gegenargument lautet: Wie an der Sommerhitze zu spüren, duldet der Kampf gegen den Klimawandel keinen Aufschub, wir können damit nicht warten, bis alle Welt mitzieht.
Wir müssen warten, denn wenn wir vorpreschen und unsere Wettbewerbsfähigkeit lädieren, geben wir ein schlechtes Beispiel, dem keiner mehr folgen will. Erfolge im Kampf gegen den Klimawandel können wir nur erzielen, wenn sich alle oder fast alle Länder der Welt verpflichten, ebenfalls den fossilen Brennstoff einzusparen. Das Pariser Abkommen, das 2015 von 191 Ländern geschlossen wurde, ist keine solche Verpflichtung. Das Abkommen wurde zwar sehr gefeiert, in Wahrheit haben sich aber nur 61 Staaten zu Einschränkungen mit klar definierten Mengen ver pflichtet. Die anderen haben den 61 applaudiert, dass sie die Brennstoffe für sie freigeben. Das ist die Realität. Wollen wir wirklich etwas ändern, müssen wir einen Weltklima-Club schaffen, da hat Kanzler Scholz schon recht. Nur funktioniert der Club nicht ohne Indien, China und all die anderen, die darauf spekulieren, dass sie die billigen Brennstoffe kriegen, die die Europäer nicht mehr anrühren.
Sie warnen vor einem Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, die ersten Konzernchefs reden gar von einer bevorstehenden Deindustrialisierung. Steht es wirklich so schlecht um Deutschland?
Wir haben seit 2018 eine Schrumpfung der deutschen Industrieproduktion zu verzeichnen und 2018 ist das Jahr, in dem die CO2-Verordnung der EU zu den Verbrennungsmotoren erlassen wurde. Diese massive Verschärfung bedeutet quasi den Tod des Verbrenners. Die CO2-Vorgaben können Sie nur mit Elektroautos erfüllen, da die mit null angesetzt werden, obwohl sie in Wahrheit den Auspuff nur noch ein bisschen weiter im Kohle- oder Gaskraftwerk haben. Diese Politik hat die deutsche Automobilindustrie und damit das Herzstück der deutschen Wirtschaft ihres Wettbewerbsvorteils beraubt. Denn Elektroautos können auch andere produzieren und vielleicht sogar besser.
Die Automanager selbst sind da zuversichtlicher. Die deutsche Autoindustrie könne auch in der E-Mobilität eine führende Rolle spielen, so die kämpferische Ansage. Insofern wäre der Abschied vom Verbrenner nur halb so wild.
Für einzelne Autohersteller mag das funktionieren, die stückeln die Komponenten, die sie brauchen, aus aller Welt zusammen, die Gewinne bleiben dann für die Aktionäre erhalten, die auch wiederum weltweit verteilt sind. Aber was ist mit der Masse an Arbeitsplätzen bei den heimischen Zulieferern? Die fallen sukzessive weg und da liegt das große Problem. Dass VW bei dem Versuch, mit Elektroautos in China das Rennen zu machen, scheiterte und seinen Vorstandsvorsitzenden entließ, sollte zu denken geben.
Rechnen Sie damit, dass die Leute wegen der Wohlstandsverluste auf die Straße gehen und dem Land soziale Unruhen drohen?
Nein. So etwas passiert nur, wenn abrupte Entwicklungen eintreten, wir reden hier aber über schleichende Prozesse.
Bundeskanzler Scholz verspricht, niemanden allein zu lassen. Aber kann der Staat wirklich alle fnanziellen Nachteile ausgleichen oder ist er irgendwann überfordert?
Der Staat ist heillos überfordert. Er kann den einen nur geben, was er den anderen wegnimmt. Aber gegen diese Umverteilung wird es Widerstände geben. Und der alte Kurs, wo man die Notenbanken hemmungslos Geld drucken ließ, um es dann zu verteilen, lässt sich wegen der Inflation nicht mehr fortühren. Bis jetzt haben die Staaten sich einfach verschuldet, wenn sie Geld brauchten: Sie haben die Schuldpapiere an die Banken verkauft und die Banken haben sie postwendend an die jeweilige nationale Notenbank verkauft, die sie mit frisch geschaffenem neuem Geld erworben hat. Dadurch schien alles zu funktionieren. Corona? Kein Problem. Wirtschaftskrise in Italien? Kein Problem. Das Geld fließt aus der Druckerpresse, der Lebensstandard kann gehalten werden. Das Problem ist nur, dass auf diese Weise die Geldmenge immer mehr steigt und dass nur imaginäre Einkommen entstehen, die nicht erwirtschaftet werden. Das haben viele übersehen, und jetzt sind wir in der Situation, wo Corona die Inflation angestoßen hat und die EZB ihre liebe Not hat, den Geldüberhang von rechnerisch 5,3 Billionen Euro, der seit Mitte 2008 geschaffen wurde, sukzessive wieder zurückzufahren. Ich weiß nicht, wie das klappen soll.
FDP-Chef Christian Lindner gelobt, standhaft zu bleiben und die Schuldenbremse zu verteidigen. Ist dem zu trauen angesichts des politischen Drucks?
Ich nehme dem Finanzminister ab, dass er die Schuldenbremse einhalten will. Er muss sie auch einhalten, weil jedwede Verschuldung den inflationären Nachfrageüberhang noch weiter stärkt. Die Zeiten, in denen das Geld wie Manna vom Himmel zu fallen schien, sind vorbei.
Das Volk aber stöhnt über die hohen Energiepreise, es wird für viele Haushalte eng im Winter und die Regierung winkt mit neuen Rettungspaketen.
Darüber muss die Politik entscheiden, als Ökonom mag ich mich dazu gar nicht äußern. Ich sage nur: Dann muss die Regierung Ross und Reiter nennen und sagen wem man das Geld wegnehmen will, das man denen geben will, die jetzt unter hohen Energiepreisen leiden. Das sind wiederum fast alle. Da beißt sich die Katze in den Schwanz.
Wer bezahlt am Ende für die Krise? Wen werden die Wohlstandsverluste am härtesten treffen?
Sie werden uns alle treffen. Die einen mehr, die anderen weniger. Der Staat kann die Lasten umverteilen, die Summe der Lasten aber bleibt. Und wenn es die Politik mit Überschuldung probiert, stehen irgendwann die Sparer und Rentner auf, die durch die Inflation um ihr Vermögen gebracht werden. Irgendwer trägt die
Last am Ende. Der liebe Gott hilft da nicht.
Haben wir es mit einer kleinen Wohlstandsdelle zu tun, oder fürchten Sie einen dauerhaften Abstiegsprozess?
Der Wohlstandsverlust ist ein längerfristiger Prozess. Das hat mit der Demografie und der massiven Beschädigung der Wettbewerbsfähigkeit durch die grüne Energiewende zu tun. Wenn jene Energie, die die Leute von allein gekauft hätten, verboten wird, sodass alle auf eine andere Energie umsteigen müssen, die sie sonst nicht erworben hätten, macht uns das alle ärmer. Daneben führt die Inflation zu erheblichen Umverteilungseffekten: Die Schuldner werden reicher, die Gläubiger und die Schwachen werden ärmer, Lebensversicherungsverträge etwa verlieren an Wert. Ähnlich passiert das im Verhältnis zwischen Staaten, denken Sie nur an die Targetsalden, also die Kreditforderungen der Bundesbank im Euro-System. Die liegen bei fast 1200 Milliarden Euro. Bei acht Prozent Inflation gehen dem deutschen Staat im Jahr bald 100 Milliarden Euro verloren.
Hat die Inflation aus Ihrer Sicht den Höhepunkt erreicht, wie manche Optimisten prophezeien?
Nein. Ich glaube nicht, dass wir den Höhepunkt hinter uns haben. Das sieht man an den gewerblichen Erzeugerpreisen, die aktuell im Vergleich zum Vorjahresmonat um 37 Prozent gestiegen sind, und die haben gegenüber den Konsumentenpreisen im Schnitt einen Vorlauf von drei Monaten. Es steht uns also noch einiges Unheil bevor! Die Erzeugerpreise übertrugen sich in der Vergangenheit zwar nicht direkt auf die Konsumentenpreise, sondern nur zu etwa einem Drittel. Was ein Drittel von 37 Prozent
ist, kann sich jeder selbst ausrechnen.
Die Geldentwertung wird zweistellig?
Das ist zu erwarten.
Das Interview führte Georg Meck.
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