Hans-Werner Sinn, ehemaliger Präsident des ifo-Instituts, hält die Energiepolitik der Regierung für kontraproduktiv. Das stößt in der Kollegenschaft auf Kritik.
Energiewende und Klimaschutz, wie sie von der Bundesregierung betrieben werden, verschlimmerten nur die Situation. Mit dieser Kritik fand der Ökonom und ehemalige Präsident des ifo-Instituts Hans-Werner Sinn Platz im Boulevardblatt "Bild" – und auch ein vielfältiges Echo in der Kollegenschaft sowie im Bundeswirtschaftsministerium. Dies wollte sich zwar gegenüber heise online nicht direkt zu Sinns Kritik äußern, verweist aber unter anderem auf einen "überschätzten Einfluss" der abgeschalteten deutschen Atomkraftwerke auf den Strompreis.
Sinn sagte laut "Bild", Wind- und Sonnenstrom seien keine regelbaren Quellen, das Wetter sei unstetig. Die Energiewende könne leider nicht ohne fossile Energieträger bestreiten, "weil wir auf die Kernkraft verzichten". Dazu räumt das Wirtschaftsministerium gegenüber heise online ein, es sei eine "enorme Transformationsaufgabe", alle Kraftwerke künftig klimaneutral zu betreiben. Ein wichtiger Teil sei die Wasserstoffkraftwerk-Strategie, deren Rahmen die Bundesregierung nun mit der EU-Kommission abgesteckt habe. Dazu gehörten umfangreiche Investitionen in die Erzeugung, Verteilung und Speicherung von Wasserstoff und dessen Infrastruktur.
Konkreter zu Sinns These vom "Flatterstrom" äußerte sich Lion Hirth, Energieökonom an der Berliner Hertie School in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Er meint, Wind und Sonne könnten im Verbund mit Netzen, Speichern und einem intelligenten Strommarkt eine sichere Stromversorgung garantieren. "Das zeigen nicht nur zahllose wissenschaftliche Studien – das sagen ja auch Leute wie RWE-Boss Krebber", meint Hirth. "Sinns seit Jahren wiederholte Behauptung, erneuerbare Energien könnten keine stabile Energieversorgung sicherstellen, erinnert mich an die Kampagnen der Energiekonzerne aus den 1990ern."
Wasserstoff statt Öl
Zu dem in der EU geplanten Verbot von Kfz mit Verbrennermotor sagte Sinn, wenn in der EU nicht mehr Öl gekauft würde, fiele der Weltmarktpreis und andere kauften es. "Die OPEC reagiert nämlich nicht auf Preissenkungen mit Mengeneinschränkungen, wenn nur einige Länder ihren Verbrauch verringern. Das haben die letzten 40 Jahre eindeutig gezeigt."
Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrats, erwiderte in der FAZ darauf: "Selbst, wenn die ölexportierenden Länder ihr Öl weltweit billiger vermarkten, heißt das nicht, dass sie insgesamt mehr fördern als bisher, der Klimaschaden wird also nicht größer." Er werde vielmehr geringer, wenn ihnen alternative Erwerbsquellen angeboten würden, etwa der Export von Wasserstoff.
Schnitzer meint auch, das Verbrennerverbot schade nicht der deutschen Autoindustrie, wie es Sinn behauptet. Allerdings habe die Politik zu zögerlich auf den Umstieg auf die Elektromobilität gesetzt und die Industrie sich nicht konsequent genug umgebaut. Tesla und chinesische Unternehmen liefen nun den deutschen Herstellern den Rang ab.
Klima-Egoisten und Klima-Altruisten
Axel Ockenfels, Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn, meint hingegen, wenn eingespartes Ol im Verkehr einfach woanders verkauft werde oder Unternehmen wegen besonders ambitionierter nationaler Klimapolitik ins Ausland abwandern, "subventionieren die Anstrengungen der Klima-Altruisten die CO₂-Emissionen der Klima-Egoisten und senken damit auch deren Anreiz, zu kooperieren". Dann sei der Klimaeffekt "sehr gering oder sogar negativ". Im Kern sei das Klimaproblem ein Kooperationsproblem.
Sinn habe durchaus damit recht, "dass der verengte Fokus auf den nationalen und europäischen Klimaschutz am Ende dem Klimaschutz schade", meint Energieökonomin Veronika Grimm in der FAZ. Aber wegen der "sehr national fokussierten Klimaschutzdebatte" sei die Rolle von Energiepartnerschaften mit anderen Ländern schwer vermittelbar. Dabei verwies Grimm auf das Beispiel Wasserstoff, deren Produktionsanlagen in Partnerländern mit grüner Energie betrieben werden sollten.
"Emissionshandel funktioniert"
Sinns These, dass der CO₂-Ausstoß in Europa wegen des deutschen Atomausstiegs und der Kohleverfeuerung anstiegen, hält Moritz Schularick, Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, nicht für haltbar. Der europäische Emissionshandel funktioniere, sagte Schularick laut FAZ. In vielen Bereichen seien zudem grüne Energien bereits derart wettbewerbsfähig, dass sie auch woanders auf der Welt fossile Energieträger verdrängen würden.
Zur Rolle der Atomkraft erläuterte das Bundeswirtschaftsministerium gegenüber heise online, dass der Stromgroßhandelspreis im Schnitt vor dem deutschen Ausstieg aus der Atomkraft am 15. April dieses Jahres bei 114 Euro/MWh gelegen habe, danach bei 92 Euro/MWh. Wesentliche Gründe für den Rückgang seien die seit Jahresbeginn weiter gesunkenen Gaspreise, der saisonal niedrigere Stromverbrauch im Sommer und der saisonal höhere Anteil von erneuerbarem Strom im Sommer. "Preissetzend am europäischen Strommarkt sind aktuell und auf absehbare Zeit Gaskraftwerke", schreibt das Ministerium. "Daran hätte auch ein Weiterbetrieb der drei verbliebenen Kernkraftwerke nichts wesentlich geändert." Zudem hätten die drei AKW-Betreiberunternehmen selbst ausgeschlossen, die Atomkraftwerke wieder hochzufahren.
Nachzulesen auf www.heise.de.