Andere Klimapolitik, andere Einwanderung, höhere Zinsen: Wirtschaftsexperte und Ex-Ifo-Institut-Chef Hans-Werner Sinn hat im Mission-Money-Interview von FOCUS-MONEY fünf Forderungen aufgestellt, die Deutschlands Herausforderungen lösen sollen. Die Kernideen im Überblick.
Forderung 1: Drastische Zinserhöhung
„Der Zins müsste höher sein als die Inflationsrate“, fordert Sinn im Mission-Money-Interview . Bei derzeit um fünf bis sieben Prozent Inflation - Sinn glaubt, hohe Lohnsteigerungen könnten die Rate wieder anheben - und Leitzinsen von 4,5 Prozent, entspräche dies wohl einer Erhöhung um gut die Hälfte - mindestens.
Sorgen um die Wirtschaft macht sich Sinn bei einer so eindeutigen Zinserhöhung nicht: „Das Problem in Deutschland liegt nicht an der Nachfrage, es liegt an der Produktionskapazität.“ Energie und Facharbeiter fehlten, Firmen könnten gar nicht mehr produzieren. Daher sei es klug, die Nachfrage einzudämmen und weitere Inflation zu verhindern.
Eine Ausnahme gesteht Sinn zu: den Bau. Hohe Hypothekenzinsen bremsen Immobilienunternehmen und Häuslebauer, die Neubauzahlen brechen ein. Der Weg ins bezahlbare Eigenheim ist für viele Menschen ins Unerreichbare gerückt und senkt die Preise bestehender Immobilien – und damit die wichtigste Altersvorsorge vieler Familie. Höhere Zinsen dürften beide Effekte verstärken.
Nachteilsfrei bliebe eine Zinserhöhung also nicht. Er wolle nicht in der Haut von EZB-Chefin Christine Lagarde stecken, gibt Sinn daher zu.
Forderung 2: Zusatzrente für mehr Kinder
Der Arbeitnehmermangel bedroht den Wohlstand des Landes, sagt Sinn: Die Wirtschaft brauche jährlich 1,5 Millionen neue Arbeitskräfte. Migration allein löse das Problem nicht, weil Deutschland nicht so viele Menschen integrieren könne. Bleibe also nur mehr Nachwuchs.
„Die Deutschen haben vergessen, dass man Nachwuchs haben muss, um prosperierend weiter leben zu können“, sagt Sinn. So wie einer Zeit vor der Rente kinderlosen Menschen im Alter hungerten, hungere heute eine kinderlose Gesellschaft: „Da ist dann nichts mehr, wovon sie die Renten bezahlen können. Aber kein Mensch denkt daran.“
Lösen will Sinn das Dilemma durch ein Zusatzrente: Junge Menschen zahlen in eine Art Lebensversicherung ein, die sie bei Kinderlosigkeit im Alter absichert. Bekommen sie Kinder, bekommen sie das Geld schon früher ausgezahlt. „Das wäre sicherlich ein deutlicher Anreiz.“
Forderung 3: Wende in der Energiepolitik, kein Industriestrompreis
„Wenn Deutschland es schaffen soll, brauchen wir eine Revision unserer Klimapolitik“, fordert Sinn. Pläne, Strom innerhalb des knappen nächsten Vierteljahrhunderts fast ausschließlich aus Sonne und Wind zu erzeugen, seien „idiotisch“.
Sinn sagt, er halte den Klimawandel für ein ernstes Problem. Idealerweise löse es die Welt gemeinsam - Stichwort Welt-Klimaclub. In Ermangelung dessen solle Deutschland allein seinen Beitrag leisten. Dafür brauche es jedoch, wie er es nennt, „feinere Mittel“:
- Ausgeweiteter CO2-Preis statt Verbote für Öl-Heizungen, Verbrennerautos und Atomkraft. „Deutschland will aus der Kohle raus, Deutschland will aus dem Atom raus, das Gas schaltet uns Putin ab. Wovon sollen wir die Räder der Industriegesellschaft dann noch drehen?“ Der CO2-Preis löse die Probleme mit Marktmitteln.
- Mehr Grundlagenforschung bei grünen Technologien durch mehr Forschungsförderung: Neue Technologien lieferten den größten Beitrag, den Deutschland zur Energiewende beitragen können. „Durchbrüche werden kommen.Besser hier als anderswo.“
- Bau moderner, kernschmelzsicherer Atomkraftwerke (Flüssigsalz-Reaktoren), wie in den USA und China.
- Mehr Holzhäuser : Verwenden Neubauten Holz, statt dieses im Wald vermodern zu lassen, binden sie auch das darin enthaltene CO2. Sparen sie durch das Holz Beton, sparen sie das darin enthaltene CO2.
- Flüssiges CO2 speichern in Höhlen und unter dem Meeresboden.
Mittelfristig müsse Deutschland seine Energiepreise durch neue Technologien unter die Förderkosten von Erdöl senken: „Dann verschwindet das Erdöl von ganz allein vom Markt.“
Industriestrompreise lehnt Sinn als „Rezept zur Verarmung“ ab. Der Gewinn, den Firmen dadurch erzielen, sei minimal im Vergleich zu dem, was die Bürger dafür zahlen. „Wir können nicht mit Subventionen gegenhalten. Wir brauchen eine Kehrtwende der Energiepolitik.“
Forderung 4: Einwanderung stärker nach Qualifikation, weniger Steuern
Derzeit ziehe Deutschland zu schlecht ausgebildete Einwanderer an, sagt Sinn. „Was an der Existenz des Sozialstaats liegt.“ Zwar wollten Menschen zuerst arbeiten. Die Umverteilung locke aber auch jene ins Land, die diese Sicherheit schätzen, und vergraule Hochqualifizierte, die lieber in Ländern mit niedrigeren Steuern arbeiten. Die USA zögen etwa besser ausgebildete Migranten an als die Bundesrepublik.
Hier ignoriert Sinn zwar die Millionen niedrigqualifizierten illegalen Einwanderer, die teils seit Jahrzehnten in den USA leben und arbeiten. An seiner Lösung für höherqualifizierte Einwanderer ändert dies jedoch wenig:
- Sinn fordert ein Einwanderungs-Punktesystem wie in Kanada , dass Punkte vor allem nach Qualifikation vergibt. Das derzeitige Punktemodell der Regierung erleichtere eher Asylsuchenden aus Osteuropa die Einwanderung und müsse stärker auf Leistungsbereitschaft umgeformt werden. Wie er die unterschiedlichen geografischen Herausforderungen lösen will - Kanada grenzt ausschließlich an die USA und ist für illegale Migranten aus armen Ländern deutlich schwerer erreichbar - lässt Sinn in diesem Gespräch offen.
- Sinn fordert niedrigere Steuern. Hochqualifizierte wanderten lieber in Länder ein, in denen sie mehr von ihrem Gehalt behalten. Deutsche Hochqualifizierte wandern dorthin aus. Steuersenkungen lösten beide Probleme.
Forderung 5: Lohnzuzahlung statt Bürgergeld
Niedrigqualifizierte sollten statt mehr Bürgergeld eine staatliche Zuzahlung zum Gehalt erhalten. Dadurch arbeiteten mehr Menschen, was einen Markt für neue Geschäftsmodelle, die sich derzeit nicht lohnen, entstehen lasse. Etwa mehr Imbisse um die Ecke. Momentan sage der Staat: „Mein Geld bekommst du nur, wenn du nicht arbeitest.“ Das sei falsch. Es darf nicht nötig sein, dass man sich aus dem Arbeitsmarkt verabschiede, um Hilfe zu bekommen.
Sinn hält seine Forderungen nach niedrigeren Steuern und anderen Sozialleistungen für mehrheitsfähig. Abgesehen von einigen „Direktumverteilern, die nicht weiter nachdenken“, begegneten ihn in der Politik meist Menschen, für die Soziale Marktwirtschaft kein Schreckgespenst sei.
Nachzulesen auf www.focus.de.