Deutschland wird deindustrialisiert, meint Hans-Werner Sinn. Ein Grund dafür sei die politisch gewollte Wende zur Elektromobilität, sagt der Ökonom. Allerdings bringe dies für den Klimaschutz so gut wie nichts. Er hat klare Handlungsempfehlungen.
Hat Deutschlands Schlüsselindustrie, der Autobau, den Umstieg auf Elektromobilität verschlafen, wie so oft behauptet wird? Hans-Werner Sinn, ehemaliger Präsident des ifo-Instituts und einer der renommiertesten Ökonomen Deutschlands, hat eine klare Antwort.
„Der Begriff ‚Verschlafen‘ passt nicht, weil es ja nicht um eine Marktentwicklung ging“, sagt Sinn im Interview mit der „Welt“ . Stattdessen sei es politischer Willen gewesen, der nicht vorhersehbar war. Und: „Frankreichs Atomlobby und Autoindustrie wollten E-Autos schon lange, weil man da eine Chance sah, im Wettbewerb mit der deutschen Automobilindustrie wieder nach vorne zu kommen.“ Deswegen hätten sie mit den „grün-gesinnten Kräften“ der EU ein Verbrennerverbot durchgesetzt. meint Sinn.
Ähnlich sei es in China verlaufen, führt Sinn weiter aus. Die Chinesen hätten jahrelang vergeblich versucht, mit den hochkomplexen Motoren deutscher Hersteller zu konkurrieren und seien nun auf E-Autos ausgewichen. „Nun lacht man sich ins Fäustchen darüber, dass Deutschland seine Champions im Stall lassen muss und nur die E-Autos ins Rennen schicken darf.“
„Der Auspuff liegt nur etwas weiter entfernt – im Kohlekraftwerk“
Für die Entwicklung der deutschen Industrie sei das eine denkbar schlechte Entwicklung. „Der entscheidende Schritt zu einem Verbrennerverbot wurde schon 2018 durch eine drastische Verschärfung der CO2-Grenzwerte für Pkw-Flotten getan“, erklärt Sinn. Die Folge: Hersteller mussten zwangsweise E-Autos produzieren. Dabei sei allgemein bekannt, dass „der Auspuff nur etwas weiter entfernt liegt – im Kohlekraftwerk“.
Der Ökonom wird dabei deutlich: „Es war dieser faule Trick, der die Krise der Automobilindustrie auslöste. Diese Krise strahlt mittlerweile auf die gesamte Industrie aus und wird durch die Energiekrise noch verstärkt, die besonders die Chemieinudstrie trifft.“ Damit sei „der Keim der Deindustrialisierung gelegt“, urteilt Sinn.
Gleichzeitig sei der Effekt für den Klimaschutz praktisch nicht existent. Öl, welches nicht hierzulande verbraucht werde, werde eben woanders verbrannt, sagt Sinn. Das beweise der Markt – denn während die Produktion praktisch immer stabil blieb, schwankten die Preise wild. „Ging eine Weltregion in den Boom, hat sie mehr Öl gekauft und das Öl anderen Ländern zu steigenden Preisen entzogen.“ Umgekehrt führten Rezessionen zu weniger Ölkäufen, wodurch andere Länder wieder zum Zug kamen.
Ohne Klima-Clubs wird es nicht gehen
Darum werde Klimapolitik nur helfen, wenn Länder koordiniert vorgehen, argumentiert der Volkswirt. „Wenn die EU im Alleingang den Kauf von Ölprodukten verbietet, hat das keine Auswirkungen auf die Menge des weltweit verbrannten Öls und auf die weltweite CO2-Emission. Solche Verbote subventionieren über fallende Ölpreise nur die Wettbewerber auf den Weltmärkten, die genau das Öl verbrauchen, das die EU freigibt. Die Tanker machen einfach nur eine Kurve.“
Sinns Vorschlag: Klima-Clubs, welche das Ölkartell Opec durch konzentrierten Verzicht in die Knie zwingt. Leider, räumt Sinn ein, habe diese Idee vorläufig kaum eine realistische Chance, bleibt aber dennoch der einzige gangbare Weg. „Das europäische Gutmenschentum funktioniert beim Öl definitiv gar nicht. Es stützt die schmutzigen Konkurrenten und verschafft uns ein gutes Gewissen, sonst nichts“, merkt Sinn an.
Zur aktuellen Haushaltskrise und der Debatte um die Schuldenbremse hat Sinn eine klare Meinung. Lange Zeit hätten sich die europäischen Staaten mit der Druckerpresse finanziert. Doch bei den Sondervermögen des Bundes sei den Richtern der Kragen geplatzt - eine vernünftige Entscheidung. „Endlich haben sie der Regierung ein Stoppschild vor die Nase gesetzt. Sie muss jetzt priorisieren statt tricksen“, sagt Sinn. Das müsse nicht heißen, dass keine Investitionen in die Zukunft möglich seien. „Der Staat kann Investitionen durch Kürzungen im konsumtiven Bereich ausgleichen.“
Lohnzuschüsse statt Lohnersatz, fordert Sinn
Zudem plädiert Sinn darauf, den Sozialstaat zu reformieren. „Wir brauchen ein System, bei dem der Staat das Mitmachen statt des Wegbleibens prämiert. Er muss Lohnzuschüsse statt Lohnersatz zahlen. Die Devise muss sein, dass jeder, der arbeiten will, arbeiten kann und dann genug zum Leben hat“, fordert der Ökonom. So kämen wieder mehr Menschen in Arbeit und Brot.
Auch beim Bürgergeld pocht Sinn auf Änderungen. Zwar sei die Bemessung verfassungsrechtlich abgesegnet – doch „das Gericht hat nicht gesagt, dass der Staat keine Arbeit als Gegenleistung verlangen darf“, so Sinn, und weiter: „Es geht nicht an, dass wir zweieinhalb Millionen völlig arbeitsfähiger Menschen in Deutschland haben, die nicht arbeiten, während die Firmen händeringend nach Arbeitskräften suchen.“ Es sei ebenso Unding, dass ukrainische Flüchtlinge in Nachbarländern in den Arbeitsmarkt gehen und hierzulande im Bürgergeld landen würden.
Der konkrete Vorschlag des Ökonomen: „Wer vom Staat Geld will, sollte dafür auch bei seiner Kommune eine Leistung erbringen müssen.“ Das würde einerseits helfen, die Infrastruktur in Schuss zu halten. Auf der anderen Seite würde es laut Sinn Anreize setzen, sich auf dem privaten Arbeitsmarkt eine Beschäftigung zu suchen. Andere europäische Länder würden bereits solche kommunalen Hilfsjobs anbieten.
Und sollte ein Empfänger dieses Angebot ausschlagen, „dann braucht er das Geld offenbar nicht, weil er über andere Einkommensquellen verfügt“, sagt Sinn.
Nachzulesen auf www.focus.de.