Nach der Ankündigung von Bundeskanzlerin Angela Merkel den Parteivorsitz der CDU abzugeben, endet möglicherweise eine Ära. Wie beurteilen Sie die wirtschaftspolitische Bilanz der Kanzlerschaft Merkel?
Angela Merkel fing an mit der Ankündigung weiterer Reformen am Arbeitsmarkt, die über Schröders Reformen noch hinausgehen würden. Tatsächlich hat sie durch die Rente mit 63 und durch den gesetzlichen Mindestlohn Schröders Reformen ein Stück weit zurückgedreht. Außerdem hat sie eine Energiewende zum Zappelstrom aus Wind- und Sonnenlicht eingeleitet. Der Versuch, aus der Atomkraft und aus der Kohle zugleich auszusteigen, wird der Industrienation Deutschland nicht gut bekommen. Bei der Flüchtlingskrise und bei den neuerlichen EU-Beschlüssen gegen die deutsche Automobilindustrie zeigte die Kanzlerin einen bedrohlichen Macht- und Kontrollverlust. Beim Brexit war ihre Migrationspolitik das Zünglein an der Waage für die Entscheidung der Briten. Ich hätte mir eine bessere Bilanz gewünscht und bedauere sehr, dass sie nicht zustande kam, denn ich hatte anderes erwartet und schätze nach wie vor Angela Merkels unprätentiöse, sachliche Art. Ich fand es auch richtig, dass wir endlich einmal eine Bundeskanzlerin hatten.
Muss man Frau Merkel nicht hoch anrechnen, wie sie erst die Lehman-Krise und dann die Euro-Krise gemanagt hat?
Der Beschluss, die Sparkonten im Herbst 2008 als sicher zu erklären, war richtig. Das war es dann aber auch schon. Die nachfolgende Rettungskaskade über die fiskalischen Rettungsschirme und die Tolerierung der Rettungsaktionen durch die EZB haben die Portfolios der Finanzanleger gerettet und den Ländern Südeuropas geholfen, ihre Probleme vor sich herzuschieben. Italien und Griechenland zeigen, dass nichts, aber auch gar nichts erreicht wurde. Die Kanzlerin ließ sich, weil sie selbst wenig von den Dingen verstand, von der Finanzindustrie und Frankreich ins Boxhorn jagen. Die Entscheidung der Kanzlerin, ihrem Finanzminister Schäuble 2015 in den Rücken zu fallen, der ja schon 15 andere Finanzminister für eine Rettung Griechenlands außerhalb des Euro hatte gewinnen können, war grundfalsch, denn damit wurde die Chance einer Gesundung der griechischen Wirtschaft und einer Klärung der Klubregeln der Eurozone verpasst. Nun geht es mit einem wachsenden Strom an Gemeinschaftsgeld zugunsten der nicht mehr wettbewerbsfähigen Länder in Südeuropa immer weiter.
Haben Merkels Regierungen in den wirtschaftlichen Krisenzeiten genug den Rat von Ökonomen gesucht?
Die Kanzlerin hat den Rat von Verhaltensökonomen gesucht, die ihr erzählt haben, wie sie ihr Marketing verbessern könnte. Auch für Medienprofis hatte sie stets ein offenes Ohr. Umfragen zur Kontrolle ihrer Wirkung auf die Menschen liebte sie, Analysen zu den langfristigen Wirkungen ihrer rückwärtsgewandten Wirtschaftspolitik nicht – um hier einmal ein Gutachten des deutschen Sachverständigenrates zu zitieren. Mit den langfristigen Sachproblemen, die Volkswirte in den Vordergrund ihrer Betrachtungen stellen, wollte sie sich nicht belasten. Sie war die Kanzlerin des Hier und Jetzt.
Politisch wurde Angela Merkel ja vor allem das Management der Flüchtlingskrise 2015 immer wieder vorgeworfen. Manche sagen gar, es wurde ihr zum Verhängnis. Würden Sie diese Phase im Sommer/Herbst 2015 auch wirtschaftlich gesehen als Fehler bezeichnen?
Wenn man Menschen helfen will, kann man nicht noch erwarten, dabei ein Geschäft zu machen. Mich wundert nur, dass von Seiten der Regierung immer wieder argumentiert wurde, so sei es. Dass die Bevölkerung das nicht geglaubt hat, liegt auf der Hand.
Kommen wir in der Bewältigung der Flüchtlingskrise nicht gut voran? Immerhin ist der Anteil der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Flüchtlingen schon jetzt beachtlich hoch und unsere Wirtschaft braucht ja Migration …
Ja, es gibt Lichtblicke. Die exzellente Wirtschaftslage hat dazu geführt, dass viele Migranten Stellen fanden. Indes waren die Flüchtlinge, die zu uns kamen, schlecht ausgebildet und wurden zumeist noch nicht integriert. Wir haben nun 1,6 Millionen Hartz-IV-Empfänger aus Nicht-EU-Staaten. Und man vergesse nicht: Auch Migranten, die als Geringqualifizierte arbeiten, sind netto gerechnet Kostgänger des Staates, weil sie nur unterdurchschnittlich Steuern und Abgaben zahlen, doch mindestens durchschnittlich vom Potpourri der staatlichen Leistungen im Bereich der Infrastruktur, der Rechtspflege, der Bildung und der Sozialleistungen profitieren. Dass neue Migranten Wachstum schaffen, wenn sie arbeiten, ist zwar richtig. Nur gehört ihnen dieses Wachstum in der Marktwirtschaft selbst, weil es den Löhnen entspricht, die sie beziehen. Die Altsassen haben davon nichts.
Blicken wir nach vorn: Die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die deutsche Wirtschaft steht im Prinzip sehr gut da. Welche wirtschaftspolitischen Schritte sind nun erforderlich in der Bundesregierung?
Die radikale Steuerreform Donald Trumps, durch die die Körperschaftsteuer von 35 Prozent auf 21 Prozent gesenkt wurde, setzt die europäischen Staaten unter Druck. Deutschland sollte sich bemühen, die Anreize für eine Abwanderung von Unternehmen in die USA zu verringern. Wichtig ist auch eine Bildungsoffensive, um die jungen Leute fit für die neue Welt zu machen, die sich um die Zukunftstechnologien entwickelt. Gut ausgebildete Migranten, die den Staat entlasten, anstatt ihm auf der Tasche zu liegen, sollte man versuchen ins Land zu holen.
Das Interview führte Martin Kaelble.
Nachzulesen auf www.capital.de.