Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. April 2019, S. 20
Unsere zusammen mit Hans-Dieter Karl im ifo-Schnelldienst veröffentlichte Studie zum CO2-Ausstoß der Elektroautos hat viel Wirbel verursacht. Beim Vergleich zweier typischer Autos gleicher Größenklasse (Tesla Model 3 mit 75 kWh Batterie und Mercedes C220 d) kamen wir zu dem Schluss, dass das E-Auto beim deutschen Strommix einen nur 11 bis 28 Prozent größeren CO2-Ausstoß je km mit sich bringt. Hier reagieren wir in aller Kürze auf die uns entgegengebrachte Kritik, weil sie zum Teil auf einer falschen Wahrnehmung unserer Annahmen und Rechnungen basiert.
Man warf uns vor, wir hätten den CO2-Ausstoß des Diesel bewusst untertrieben, indem wir die Autos auf der Basis des Fahrzyklus NEFZ verglichen haben, der der Realität bekanntlich nicht gerecht wird und inzwischen durch den WLTP-Zyklus ersetzt wurde. So ist es aber nicht, denn wir haben auch für den Tesla die offiziellen NEFZ-Daten verwendet. Sie sind gegenüber einer realen Fahrsituation in gleicher Weise verzerrt wie die Diesel-Daten. Imrealistischen Fahrbetrieb bei hohen Geschwindigkeiten kann der Diesel gegenüber NEFZ und WLTP eher noch Vorteile herausholen. Leider konnten wir nur NEFZ-Daten verwenden, weil Tesla die WLTP-Daten zum Beginn dieses Jahres, als wir die Studie erstellten, noch nicht im Netz veröffentlicht hatte.
Uns wurde unter Hinweis auf einen Medienbericht vorgeworfen, dass wir eine schwedische Metastudie zum CO2-Ausstoß bei der Batterieproduktion verwendet haben. Der Bericht hatte zu Recht darauf hingewiesen, dass der in den Medien kolportierte Wert von 170kg CO2 je kWh Batteriekapazität falsch war.Richtig seien140 kg. Wir haben für den günstigen Fall mit 145 kg gerechnet, wie der Studie direkt zu entnehmen ist. Das läuft auf 73 Gramm je km bei einer Lebensdauer der Batterie von 150000 km hinaus. Auch Agora Verkehrswende berichtet, dass die meisten Studien auf Werte zwischen 100 und 200 kg je kWh kommen. Manche Hersteller behaupten, eine Lebensdauer der Batterien von 300000 km seien realistisch. VW geht bei seinen E-Autos von 200000 km aus. Hohe Werte lassen sich in der Regel nur bei optimierten Ladezyklen erreichen. Wird häufig schnell geladen, weil man weiterkommen will, erhitzen sich die Batterien, und die Reichweite sinkt. Eine 2018 in "Nature Energy" veröffentlichte Studie kommt zum Schluss, dass die Hersteller inzwischen akzeptieren, dass sie die angestrebten 1300 bis 2000 Ladezyklen nicht erreichen werden.
Haben wir den Energieeinsatz bei der Motorenproduktion unberücksichtigt gelassen? Nein, das Thema wird explizit unter Angabe von Zahlen in unserem Text diskutiert. Dabei beziehen wir uns auf eine Studie des Instituts für Energie-und Umweltforschung Heidelberg, nach der sich der CO2-Ausstoß bei der Produktion der elektrischen Komponenten des E-Autos und der Produktion von Motor und Getriebe beim Diesel in etwa die Waage halten. Wir haben auch eine Sensibilitätsrechnung für den Fall angestellt, dass diese Aussage nicht stimmt. Diemöglichen Abweichungen sind minimal.
Haben wir mit falschen Daten für den deutschen Strommix gearbeitet? Tatsächlich haben wir mit einem CO2-Ausstoß von 0,55kg pro kWh Strom gerechnet, während das Umweltbundesamt auf einen Wert von unter 0,5 kommt. Der Unterschied erklärt sich dadurch, dass Letzteres ohne Vorketteneffekte bei den fossilen Brennstoffen rechnet, während wir die offiziell von der EU verwendeten Vorketteneffekte hinzurechnen.DieVorketteneffekte berücksichtigen wir indes auch beim Dieselverbrauch und skalieren ihretwegen den NEFZ-CO2-Ausstoß des C220 d von 117g/km auf 141g/km hoch. Da der Strom in Deutschland nur zur Hälfte aus fossilen Quellen stammt, schlagen die Vorketteneffekte beim Strom auch nur zur Hälfte zu Buche. Das E-Auto wird insofern durch diesen Rechenschritt begünstigt statt benachteiligt, wie uns unterstellt wurde.
Überhaupt haben wir das E-Auto nicht "schlechtgerechnet", sondern durch verschiedene Annahmen optimistischer beurteilt, als es möglich gewesen wäre, um dem Vorwurf zu begegnen, der uns dann trotzdem gemacht wurde. So haben wir nicht berücksichtigt, dass der Dieseltank die doppelte Reichweite der unterstellten Batterie im E-Auto hat. Allein schon die Korrektur dieses Mankos würde mehr ausmachen als die Verdoppelung der unterstellten Batterie-Laufzeit. Dann haben wir unberücksichtigt gelassen, dass die Transformatoren und Gleichrichter an den Ladesäulen bis zu 10 Prozent der Energie verbrauchen, wenn schnell geladen wird. Auch den Stromverbrauch für die Heizung des E-Autos, der durch die Rekuperation nur zu einem Teil kompensiert wird, haben wir unter den Tisch fallen lassen. Den Vorwurf, unsere Annahmen zum Nachteil des E-Auto gesetzt zu haben, weisen wir mit Nachdruck zurück.
Vielleicht lohnt sich ein Blick auf eine von VW veröffentliche Studie, die den E-Golf mit dem GolfTDI vergleicht. Nach dieser Studie, über die die FAZ am Donnerstag berichtete, stößt das E-Auto beim deutschen Energiemix je Kilometer 142 Gramm CO2 aus und der Diesel 140 Gramm. Von einem Vorteil des E-Autos kann also entgegen manch anderer kommunikativer Aufbereitung der VW-internen Rechnungen nicht die Rede sein. Und der Wert von142 Gramm ist auch nur deshalb so niedrig, weil der Golf eine viel kleinere Batterie als der Tesla hat und mit 253 km nur auf die halbe Reichweite kommt.Der Golf TDI fährt gemäß WLTP-Daten mehr als 1000 km mit einer Tankfüllung.
Nimmt man nur einmal eine Verdoppelung der Reichweite des E-Golf an, um den Abstand zur Diesel-Variante zu verringern, so würde sich nach den Informationen, die VW selbst geliefert hat, der CO2-Ausstoß dieses Autos auf mindestens 170 g/km vergrößern. Das sind 21 Prozent mehr als beim Diesel. VW kommt so gesehen zu fast identischen Werten wie wir.
Wir stehen im Übrigen nicht in einer geschäftlichen Beziehung mit der Automobilindustrie oder der Energiewirtschaft, und unsere Studie ist keine Auftragsarbeit. Was uns trieb, war allein das akademische Forschungsinteresse und die Irritation darüber, dass die EU bei ihrer Flottenregulierung die Elektroautos rechnerisch mit einem Ausstoß von null ansetzt. Wir interpretieren diese Regulierung als den Versuch von Herstellern und Staaten, die bei E-Autos und Kernkraft gut aufgestellt sind, sich durch eine Koalition mit umweltbewussten Kräften einen Wettbewerbsvorteil auf dem europäischen Automobilmarkt zu verschaffen.
Christoph Buchal ist Professor für Physik an der Universität Köln
Hans-Werner Sinn ist ehemaliger Präsident des Münchener ifo-Instituts
Online nachzulesen auf www.faz.de
Weiterführende Links
Langfassung der Stellungnahme (Christoph Buchal, Hans-Dieter Karl und Hans-Werner Sinn, WirtschaftsWoche, 26. April 2019)
Studie „Kohlemotoren, Windmotoren und Dieselmotoren: Was zeigt die CO2-Bilanz?“, (Christoph Buchal, Hans-Dieter Karl, Hans-Werner Sinn, ifo Schnelldienst, 2019.)
Nachdem der Link zur VW-Studie "Klimabilanz von E-Fahrzeugen & Life Cycle Engineering" (24. April 2019) eine Zeit lang nicht mehr funktionierte, ist die fragliche Studie jetzt wieder unter einem neuen Link direkt bei VW hier einsehbar. In dem Internetblog "VW Umweltziele" sind außerdem historische Dokumente zu VW-Umweltzielen (die von VW mittlerweile gelöscht wurden) aufgelistet.