Wirtschaftswoche, 21. Februar 2011, Nr. 8, S. 35; online erschienen unter dem Titel „Deutschland drohen neue Belastungen“, www.wiwo.de, 21. Februar 2011.
Zwei Rücktritte hoher Repräsentanten des Staates innerhalb von nur neun Monaten; zwei Fachleute für Staatsfinanzen; zwei Volkswirte. Zwei Männer, die Probleme mit der Bundesregierung hatten. Zwischen Köhler und Weber gibt es mehr Gemeinsamkeiten, als uns lieb sein kann. Köhler trat zurück, nachdem man ihm das deutsche Gesetz zur Absicherung der bedrängten Euro-Länder auf den Tisch knallte, aber er schwieg. Weber hat aus seinem Protest nie einen Hehl gemacht. Er hat bis zum Schluss gekämpft und ist zurückgetreten, anstatt sich verbiegen zu lassen. Der Maastrichter Vertrag ist passé. Die Bundesrepublik Deutschland ist auf Schleuderkurs.
Die Bundesregierung wird von vielen EU-Ländern, insbesondere auch Frankreich, bedrängt, den heute schon gefährdeten Staaten mehr als nur Liquiditätshilfen für temporäre Zahlungsprobleme zu gewähren. Vergangene Woche hat sie schon einer Ausweitung der Rettungspakete zugestimmt, und in Brüssel geht man davon aus, dass sie nun für geringe Gegenleistungen auch die Mittel zum Rückkauf der Altschulden freigeben wird. Dann haben wir die lange verschmähten Euro-Bonds. Die Unterschiede liegen im Semantischen.
Neben der möglichen Ansteckung Deutschlands über die Banken und Versicherungen wird nun der Ansteckungsweg über die Staatsfinanzen ausgebaut. Deutschland war bislang schon mit etwa 220 Milliarden Euro an der Haftung beteiligt. Darin enthalten sind 147,4 Milliarden für die Luxemburger Zweckgesellschaft, 11,3 Milliarden für den neuen Fonds der EU, 14,9 Milliarden für die parallel dazu gewährten IWF-Hilfen, 22,3 Milliarden für Griechenland, 1,8 Milliarden für die IWF-Hilfe an Griechenland sowie 20,7 Milliarden für die EZB-Käufe maroder Staatsanleihen.
Die beschlossene Verdoppelung des Schirms der Luxemburger Zweckgesellschaft bedeutet eine Aufstockung der deutschen Haftung, womöglich um weitere 147,4 Milliarden. Die gesamte Haftungssumme bei den offiziellen Paketen läge dann bei 366 Milliarden Euro. Sollte beabsichtigt sein, dass die EZB ihre Bestände an Staatspapieren an die Luxemburger Zweckgesellschaft verkauft, so wären die genannten 20,7 Milliarden Euro wieder abzuziehen, was immer noch eine deutsche Haftungssumme von 345 Milliarden Euro implizieren würde, nicht weniger als 115 Transrapidstrecken von je drei Milliarden Euro.
Noch mehr Risiken Aber das ist, wie nun bekannt wurde, beileibe nicht alles. Die Deutsche Bundesbank hatte Ende des Jahres 2010 für etwa 326 Milliarden Euro Nettoforderungen gegenüber anderen Notenbanken des Euro-Systems. Es handelt sich dabei um eine Art Kontokorrentkredit, der anderen Ländern gewährt wird und im Wesentlichen aus Forderungen im Rahmen des Zahlungsverkehrs für Großbeträge besteht (TARGET 2). Dieser Kredit sollte eigentlich nur die täglichen Salden beim internationalen Zahlungsverkehr ausgleichen, doch hat er sich in der Krise, als die am offenen Markt aufgenommenen Kredite teuer und knapp wurden, gewaltig aufgebläht. Noch Ende 2006 hatte der Forderungsbestand bei nur fünf Milliarden Euro gelegen. Etwa 320 Milliarden Euro sind in nur vier Jahren hinzu gekommen. Allein im vergangenen Jahr nahmen die Forderungen pro Monat netto um mehr als zwölf Milliarden Euro zu. Bei der Festlegung der Regeln für den europäischen Zahlungsverkehr im Euro-System ging man davon aus, dass es sich um vernachlässigbare Beträge handeln würde. Deshalb hatte man seinerzeit keine Begrenzung für diese Kredite vorgesehen. Was jedoch inzwischen passiert ist, macht die Fachleute fassungslos. Wenn die Länder, deren Banken die Kredite gegeben wurden, zahlungsunfähig werden, haftet Deutschland. Wohin man auch schaut: Es tun sich Abgründe auf.
Optimisten glauben, dass die neuen Rettungsaktionen nur dazu dienen, die alten Ansprüche, die nun im Risiko stehen, abzusichern, und insofern die Kosten, die auf Deutschland zukommen, nicht weiter erhöhen werden. Aber diese Hoffnung ist zu schön, um wahr zu sein. Je mehr Geld fließt, desto länger leben die überschuldeten Länder über ihre Verhältnisse, desto länger bleiben die Außenhandelsdefizite erhalten, und desto mehr ist verloren. Gutes Geld dem schlechten hinterherzuwerfen war noch nie eine besonders gute Idee. Je mehr man hergibt, desto weniger kommt zurück.
Es könnte kommen wie in Irland. Im September 2008 spannte Irland einen riesengroßen Rettungsschirm über seinen Banken auf, die in Schwierigkeiten gekommen waren. Es gehe darum, ein überzeugendes Signal zur Beruhigung der Märkte zu setzen, so hieß es damals. Beansprucht werde das Geld ja ohnehin nicht. Zwei Jahre später waren die Banken pleite, und der irische Staat musste selbst gerettet werden.
Die deutsche Bundeskanzlerin verlangt nun im Austausch für die deutschen Hilfen mit Verve, was Frankreich schon immer wollte: eine Art Wirtschaftsregierung für die Euro-Zone. Die soll nach deutscher Vorstellung eine Schuldenbremse durchsetzen. Das wäre gut. Aber die Franzosen und viele andere wollen die Lohnstückkosten beobachten lassen und Erhöhungen erzwingen, wenn ein Land wie Deutschland, wie sie meinen, zu hohe Außenhandelsüberschüsse hat. Erschaudernd sollten wir Köhler und Weber ein Denkmal errichten.
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