Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Februar 2012, Nr. 49, S. 14.
Ulrich Bindseil von der Europäischen Zentralbank folgt angelsächsischen Interessenvertretern, die gegen bloße Unterstellungen argumentiert haben, anstatt meine Argumente so aufzugreifen, wie ich sie gebracht habe. Die Fehlinterpretationen der Kritiker haben Timo Wollmershäuser und ich schon in einem Arbeitspapier (www.ifo.de/Paper-Juni2011) dargelegt. Wieso Bindseil, der stellvertretende Generaldirektor Finanzmarktoperationen der EZB, sie in seinem Beitrag für diese Zeitung (F.A.Z. vom 21. Februar) stereotyp wiederholt, bleibt sein Geheimnis. Kann so ein rationaler Diskurs erfolgen? Welch eine Absurdität zum Beispiel, mir zu unterstellen, ich hätte eine Kreditklemme in Deutschland aufgrund der Target-Kredite behauptet!
Die Target-Kredite entstanden, weil sich der Südwesten Europas mit Billigung des EZB-Rates die elektronische Notenpresse geliehen und Geld wie Heu gedruckt hat. Das Geld floss zu uns, um hier Güter zu kaufen oder Schulden zu tilgen. Das war keine Kreditklemme, sondern eine Kreditschwemme. Freilich hat der überquellende Kredit die deutschen Banken veranlasst, weniger Kredit von der Bundesbank zu holen oder ihren eigenen Kredit der Bundesbank anzudienen. Insofern messen die Target-Salden, wie ich vor zehn Monaten in dieser Zeitung erstmals erläutert habe, eine öffentliche, internationale Kreditvergabe zwischen den Notenbanken des Zentralbankensystems. Sie kommt den öffentlichen Krediten über die EFSF nahe und ist im Wesentlichen fiskalischer Natur. Daran gibt es nichts zu rütteln, gleichgültig welche Nebelkerzen die EZB in dieser Sache noch werfen möchte.
Von Substanz ist die Frage, ob die Target-Kredite getilgt werden sollten. Ich habe kein "Glattstellen", sondern eine Tilgung der Salden wie im amerikanischen System gefordert. Immerhin ist das amerikanische System trotz der Tilgung noch nicht zusammengebrochen, wie Ulrich Bindseil es eigentlich befürchten müsste.
In den Vereinigten Staaten gibt es zwölf Distrikte der Notenbank "Fed", und zwischen ihnen gibt es Target-ähnliche Salden (ISA-Salden). Diese Salden müssen jeden April getilgt werden, indem die "District-Fed", die ihre Druckerpresse im Übermaß betätigte, für das netto abfließende Geld handelbare Wertpapiere, die sie nicht selbst schaffen kann (gold-backed securities), bilateral an die jeweils anderen District-Feds überträgt. Dazu werden Eigentumsanteile an einem Clearing-Portfolio der Fed, das bundesstaatliche Wertpapiere enthält, zwischen den District-Feds verschoben.
Bei der Berechnung der Tilgungsleistung verfährt man freilich so, dass der durchschnittliche Zuwachs der Target-Schulden des vergangenen Jahres gegenüber dem Wert zum letzten Stichtag und nicht etwa der Endbestand zu tilgen ist. Dieses Detail impliziert, dass Target-Salden auch nach dem Stichtag stehenbleiben können. Dennoch wird der Anstieg der Salden ganz erheblich gedämpft.
Das zeigt die obenstehende Abbildung. Sie vergleicht den gesamten Zeitverlauf der Summe aller Target- und ISA-Forderungen in Relation zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt. Man erkennt sehr deutlich, dass die Salden in den Vereinigten Staaten während der Finanzkrise wesentlich langsamer anstiegen als in der Eurozone. Das liegt zum einen daran, dass es in Amerika unattraktiv ist, die Target-Kredite in Anspruch zu nehmen, und die defizitären District-Feds versuchen, ihre Schulden selbst zu reduzieren, bevor sie im April Anteile am Clearing-Portfolio verlieren. Die deutlich sichtbare Abnahme der Salden in den Monaten vor dem April 2009 ist auf diesen Effekt zurückzuführen. Zum anderen kommt eine Bremswirkung durch die erzwungene Tilgung zustande, wenn es nicht gelingt, die Salden durch eigene Maßnahmen rechtzeitig abzubauen. So haben im April 2010 im Umfang von etwa 190 Milliarden Dollar ISA-Tilgungen stattgefunden. Auch im April des Jahres 2011 wurde getilgt, aber nur wenig, denn die ISA-Zuwächse waren im Vorjahr laufend gefallen und erst zu Jahresbeginn wieder gestiegen.
Ende 2011 lagen die amerikanischen Salden bei 337 Milliarden Dollar oder 2,3 Prozent des BIP, während die Target-Forderungen im Eurosystem Ende November 2011 782 Milliarden Euro oder 8,5 Prozent des BIP der Eurozone ausmachten. Relativ gesehen waren die europäischen Salden also etwa viermal so groß wie die amerikanischen, und dies, obwohl die Finanzkrise in den Vereinigten Staaten begann und die Fed viel mehr Geld in die Wirtschaft gepumpt hat als die EZB. Wollte man der Bundesbank für die während der Krise aufgebauten Target-Forderungen (Mai 2006 bis April 2012) eine Tilgung nach den amerikanischen Regeln zubilligen, so könnte sie nun schätzungsweise mit etwa 320 Milliarden Euro an goldbesicherten Wertpapieren rechnen.
Die Frage ist freilich, wie man das amerikanische System auf Europa übertragen könnte. Sicherlich wäre es keine Lösung, den Defizitländern die Tilgung mit normalen Staatspapieren aus eigener Herstellung zu erlauben. Dann käme man, wie Jörg Krämer von der Commerzbank richtig feststellt, vom Regen in die Traufe.
Die European Economic Advisory Group at CESifo - acht Ökonomen aus sieben Ländern - hat in ihrem elften Jahresbericht, der jetzt veröffentlicht wird, vorgeschlagen, in der Eurozone ein System von kurzfristigen staatlichen Pfandbriefen (Euro Standard Bills) zu schaffen, die nach einheitlichen Kriterien vom jeweiligen Nationalstaat mit Immobilien oder vorrangigen Ansprüchen auf zukünftige Steuereinnahmen besichert sind. Diese Pfandbriefe können nach Meinung des Rates zur jährlichen Tilgung der Target-Salden verwendet werden.
Eine einfache Minimallösung, die ebenfalls Wirkung entfalten könnte, hat der frühere Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger vorgeschlagen. Er will die Target-Salden mit progressiv gestaffelten Strafzinsen belasten, die dann von den Defizitländern an die Überschussländer abgetreten werden. Auf jeden Fall braucht die Eurozone ein System von Stoßdämpfern, welche die extremen Ausschläge bei den Target-Krediten abfedern. Der Überziehungskredit beim privaten Girokonto ist auch nicht beliebig zu haben.
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