Sylter Rundschau, 1./2. September 2018, S. 23
Mit Hans-Werner Sinn (70) hatten die Kampener Literaturtage einen ihrer diesjährigen Höhepunkte. Sinn, dessen Autobiographie "Auf der Suche nach der Wahrheit" gerade erschienen ist, erzählte im Gespräch mit Sylter Rundschau Chefredakteur Michael Stitz über seinen Werdegang vom Kind aus ärmlichen Verhältnissen zum international renommierten Ökonom. Schwerpunkt des Dialogs waren aber die aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungenund politischen Diskussionen wie die über die Rente und die Probleme durch die Migration. Hier ein Auszug von dem Gespräch, das vor knapp 300 interessierten Zuhörern im Kaamp-Hüs für unterhaltende und informative 90 Minuten sorgte.
Herr Sinn, die Große Koalition hat sich gemeinsam auf ein neues Rentenpaket einigen können. Sind die getroffenen Verabredungen der Koalitionäre aus Ihrer Sicht tragfähig und richtungsweisend?
Die weitere Verbesserung der Mütterrente halte ich für richtig, da es ohne Kinder keine Rente gibt. Mit der Mütterrente wird ein Konstruktionsfehler unserer Rentenversicherung zumindest partiell überweunden. Gefährlich ist aber die Zusage, für die Zukunft Beitragssätze und Rentenniveaus halten zu wollen, weil das ein Versprechen zu Lasten Dritter ist, also der Steuerzahler, die die wachsende Lücke zwischen Beitragseinnahmen und Rentenausgaben werden schließen müssen. Denn eines ist klar: Die Demographie schlägt zu und wird es der Rentenversicherung unmöglich machen, eine drastische Erhöhung des Beitragssatzes oder eine drastische Senkung des Rentenniveaus in den nächsten 10 bis 20 Jahren zu vermeiden, wenn keine Hilfe von Außen kommt.
Was sollte ein heute 40-Jähriger tun, um seine Altersversorgung zu sichern?
Wenn Sie heute 40 sind, haben Sie die Hauptsache schon nicht mehr in der Hand, nämlich noch Kinder zu bekommen. Das ist das große Problem. Jetzt gibt es nur noch eine Möglichkeit: Sie können noch sparen, um die Lücke, die entstanden ist, dadurch, dass sie zu wenig in Kinder investiert haben, zu schließen. Es gilt eine harte Wahrheit: Um im Alter versorgt zu sein, muss man entweder in seine Kinder investieren oder sparen. Eine Gesellschaft, die weder das eine noch das andere tut, muss hungern. Es sei denn, der liebe Gott schickt gut ausgebildete Migranten, die die Rechnung übernehmen. Doch die Migranten, die wir haben, sind ebenfalls Kostgänger des Staates und führen nicht zur Entlassung, sondern zu einer Belastung des Staates.
Würden Sie sagen, dass wir viel restriktiver mit dem Thema Migration umgehen müssten?
Das ist zunächst ein humanitäres Thema, das sich der ökonomischen Betrachtung verschließt. Ökonomisch ist die Migration der letzten Jahre ein großes Verlustgeschäft für den Staat, denn wer unterdurchschnittlich verdient, zahlt auch nur unterdurchschnittlich viele Steuern und erhält deshalb mehr Ressourcen vom Staat als er finanziert. Die bisherigen Migranten der ersten und zweiten Generation verdienen durchschnittlich weniger Einkommen als der Durchschnitt der Gesellschaft. Sie sind also Kostgänger des Staates. Vorteile ergeben sich allerdings insofern, als die Reichen nun billigeres Dienstpersonal bekommen.
Die Bundeskanzlerin versucht jetzt, mit einigen afrikanischen Staaten so zu verhandeln, dass die in ihren Ländern die ökonomischen Ursachen der Flucht nach Europa eindämmen, indem mit unserer finanziellen Unterstützung dort die Wirtschaft gestärkt wird. Ein sinnvoller Weg?
Frau Merkel versucht, die jeweiligen Potentaten dafür zu bezahlen, dass sie ihre Leute zurückhalten. Das mag funktionieren. Es gibt darüber hinaus die fromme Hoffnung, dass man durch Geldleistungen die betroffenen Volkswirtschaften selbst stimulieren kann, so dass der Migrationsanreiz reduziert wird. das wird nicht funktionieren, weil Geldleistungen in aller Regel zur Lähmung der Selbstheilungskräfte führen.
Was hat unsere Entwicklungspolitik überhaupt bisher erreicht?
Echte Entwicklungspolitik wäre es, den Ländern Afrikas die Chance zu geben, ihre Produkte so, wie sie sind, zu uns zu liefern, anstatt sie durch Tausende von Vorschriften über Produkteigenschaften abzublicken, die man in Afrika nicht erfüllen kann. Würde man den europäischen Agrarprotektionismus aufgeben und allen Ländern Afrikas ungehemmten Zugang zu unseren Märkten ermöglichen, hätten die Afrikaner eine reale Chance, den Standard zu heben und die Migrationsanreize zu verringern.
Schaut man auf die weltweiten politischen Verhältnisse und die damit verbundenen wirtschaftlichen Maßnahmen, kann man den Eindruck gewinnen, dass gerade kein Stein auf dem anderen gelassen wird. Stichwort Trump und die Zölle oder die wirtschaftliche Entwicklung in der Türkei. Droht uns Chaos auf den Weltmärkten?
Trump hat mit seiner Zollpolitik sehr viel Unruhe geschaffen und Ängste in der deutschen Wirtschaft geschürt, die trotz des Mexiko-Deals auch noch nicht ganz überwunden sind. Man muss hoffen, dass zwischen Europa und den USA ein Freihandelsabkommen geschlossen werden kann. Wenn das gelänge, wäre es eine Lösung. Die Türkei ist extrem gefährdet, weil sie in Fremdwährungskrediten stark verschuldet ist. Dadurch droht dort eine Finanzkrise, die eine Kettenreaktion in der EU auslösen könnte.
Das Interview führte Michael Stitz