„Deutschlands klügster Professor“ macht Schluss: Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, sagt in seiner letzten Prognose Wachstum voraus – doch bekanntlich ist bei ihm längst nicht alles Gold, was glänzt.
Bekanntlich soll man gehen, wenn es am schönsten ist. Insofern scheint Hans-Werner Sinn alles richtig zu machen. Sein Ifo-Institut gilt heute, kurz vor seiner Pensionierung, als eine der ersten Adressen für Wirtschaftsforschung, die Konjunktur läuft, die Zahl der Arbeitslosen hat sich binnen eines Jahrzehnts fast halbiert – und Sinn ist bekannter denn je.
Am Mittwoch stellte „Deutschlands klügster Professor“, wie ihn der Boulevard betitelt, in Berlin das letzte Mal die Ifo-Konjunkturprognose vor. Für kommendes Jahr rechnet er mit einem leicht höheren Wirtschaftswachstum, ein Plus von 1,9 Prozent. Immerhin. Sinn wäre nicht Sinn, wenn er die positiven Nachrichten nicht mit Mahnungen garnieren würde. Die Euro-Krise ist nach seiner Ansicht noch nicht ausgestanden. Der Flüchtlingsansturm noch lange nicht bewältigt.
Sinn schilderte das alles gewohnt pointiert. Er habe sich als Ifo-Chef immer in einer „Brückenfunktion zwischen Elfenbeinturm und Politik“ gesehen, sagt er. „Ich werde wahrscheinlich den öffentlichen Diskurs vermissen.“
Sein zugespitzt vorgetragenen Thesen haben Sinn in den vergangenen Jahren auch immer wieder Kritik eingebracht. Und auch mit den Konjunkturprognosen lag das Ifo-Institut nicht immer richtig.
Gleichwohl waren die Münchner Ökonomen meist etwas treffsicherer als die Regierungsvolkswirte. Seit dem Amtsantritt von Sinn im Jahr 1999 traf Ifo mit seiner Winterprognose das Wirtschaftswachstum des folgenden Jahres fast immer besser als das Bundeswirtschaftsministerium. Insbesondere in der jahrelangen Schwächephase in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts erwiesen sich die Regierungsprognosen systematisch als zu optimistisch.
Zugegeben, Ifo hatte bei dem Wettlauf stets einen kleinen Vorsprung. Denn während die Regierungsprognose meistens Ende Oktober veröffentlicht wird, kommen Sinn und seine Kollegen erst rund sechs Wochen später und haben somit einen Informationsvorsprung.
Hans-Werner Sinn wird Anfang März 68 Jahre alt, Ende März scheidet er aus seinem Amt aus. Dann übernimmt Clemens Fuest das gemachte Haus. Schon die vergangen Monate waren eine Sinn-Abschiedstournee. Hier ein Auftritt, dort noch eine Ehrung. So wurde er am Dienstag noch rasch vom Hochschulverband zum „Hochschullehrer des Jahres“ gekürt. „Sinn ist ein Wissenschaftler, der allein der Rationalität verpflichtet ist und politischen Opportunismus nicht kennt“, heiß es in der Lauditio.
Die mahnenden Worte des markanten Professors werden zwar viele in Berlin vermissen, manch Politiker wird aber etwas erleichtert sein. Vor allem mit seinem knallharten Griechenland-Kurs machte er sich in der Regierung keineswegs nur Freunde. So schimpfte Finanzminister Wolfgang Schäuble in Richtung Ifo: „Ich finde, Milchmädchen dürfen Milchmädchenrechnungen vorlegen.“ Bei Professoren sehe das anders aus. „Mit der Autorität von akademischen Titeln und von wissenschaftlichen Instituten, die mit viel Geld vom deutschen Steuerzahler subventioniert werden“ sei hingegen „eine besondere Verantwortung verbunden“.
„Ich bin nicht gegen die Euro-Rettung. Ich glaube nur nicht, dass das, was gemacht wurde, den Euro rettet“, verteidigte Sinn nun seine scharfe Kritik. So einflussreich und wortgewaltig er auch sein mag, so umstritten ist er. Mit manchen Vorhersagen lag er falsch, etwa die „Basar-Ökonomie“, in der Deutschlands exportlastige Industrie immer weniger produziert.
Jetzt muss er sich in der Flüchtlingsfrage Parteilichkeit vorwerfen lassen. „Deutsche Firmen sehen Flüchtlinge vor allem als Hilfsarbeiter“, kommentierte Ifo seine eigenen Umfrageergebnisse. Tatsächlich sehen das 41 Prozent der Befragten so. Aber immerhin 37 Prozent sehen in den Migranten Potenzial für Auszubildende und immerhin 22 Prozent für qualifiziert Tätigkeiten. Die Tatsache, dass die Umfrage keine Dienstleister umfasste, verbarg Ifo in einer Fußnote – fragte man dort, so dürften die Resultate wohl besser sein; schließlich sind die Anforderungen an Personal oft geringer als in der Industrie.
Sinn aber will auch bei seinem letzten Auftritt als Ifo-Chef in der Hauptstadt nichts zurücknehmen. „Im Großen und Ganzen“, sagt er mit Blick auf seine Jahre als Ifo-Chef, „bereue ich nichts.“
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