Auf einem schwarzen Sofa in Berlin sprachen Philosoph Richard David Precht und Ökonom Hans-Werner Sinn über Griechenland und Europa. Das Spannende: Sie haben die gleiche Vision, ziehen aber komplett unterschiedliche Schlüsse.
Hans-Werner Sinn und Richard David Precht. Zwei Vornamen, ein Nachname und doch trennt die beiden mehr als der Bindestrich. Auf der einen Seite der libertäre Ökonomie-Professor, auf der anderen Seite der linke Philosoph.
Was beide wiederum verbindet, ist die in ihren Berufsständen sonst eher wenig ausgeprägte Vorliebe ihre Ansichten öffentlich zu vertreten. So auch am Mittwoch in Berlin. Thema der Diskussion der Leibniz-Gemeinschaft: Griechenland und Europa.
Was haben die Gelehrten zu sagen?
Am gleichen Abend berieten in Brüssel die Finanzminister der Euro-Gruppe, ob und wie Griechenland noch im Euro zu halten ist. Selbst die sonst eher nüchterne Deutsche-Presseagentur hatte am Montag zuvor von der „Woche der Entscheidungen“ geschrieben.
Was hatten Wirtschaftswissenschaftler und Philosoph also vom Podium aus nach Brüssel zu schicken? Interessanterweise vor allem eine gemeinsame Vision: die Vereinigten Staaten von Europa.
Gemeinsame Vision vom starken Europa
Die beiden so unterschiedlichen Männer auf dem Sofa im Berliner Leibniz-Zentrum, Sinn im schwarzen Dreiteiler, Precht in beigem Sommeranzug, sind gleichermaßen der Meinung, dass Europa politisch stärker zusammenrücken muss.
Precht nannte dabei unter Zustimmung von Sinn drei große Projekte der Zukunft, die nur in einem starken Europa zu schaffen seien: der Aufbau einer von den USA emanzipierten EU-Außenpolitik inklusive einer eigenen Armee, die Bewältigung der Flüchtlingskrise auch vor Ort und die Digitale Revolution, die die Industrie umkrempeln werde, wie die industrielle Revolution einst auch, mit all ihren Härten.
Mehr Europa muss folglich das nahezu alternativlose Ziel für die Zukunft sein. Das sagen beide. Nun zum aktuellen Problem: Was folgt aus diesen Zielen für die aktuelle Krise, für den Euro, für Griechenland?
Hier ziehen Precht und Sinn diametral verschiedene Schlüsse. Sinns Standpunkt ist seit langem bekannt: Ein Grexit würde den Griechen und dem Rest Europas gut tun. Er sieht im Euro keine Chance für Griechenland wieder wettbewerbsfähig zu werden.
Eine zumindest temporäre Rückkehr zu Drachme würde dagegen dafür sorgen, dass der Lebensstandard, also Preise und Löhne, auf das Niveau kämen, die der Produktivität des Landes entsprächen. Der Tourismus würde wieder aufblühen und die örtliche Wirtschaft profitieren, da Importprodukte zu teuer würden.
Sinn: Grexit ist wie die Sommerzeit
Im Euro seien die nötigen Anpassungen des Lebensstandards nur sehr schwer möglich. „Die Rückkehr zur Drachme ist wie die Sommerzeit“, sagt Sinn. Sicherlich könne man die Tatsache, dass im Sommer die Sonne früher aufgeht, nutzen, indem jeder mit seinem Arbeitgeber und seinen Freunden spricht und seine Termine eine Stunde nach vorne verschiebt. Aber die Zeitumstellung sei dann doch die leichtere Lösung.
Ähnlich ist es bei einer Rückkehr zur Drachme. Müsste Griechenland innerhalb des Euro seine Preise und Löhne abwerten, müsste auch jeder Schuldner, ob Privatperson oder Unternehmen, seine bestehenden Kredite neu verhandeln. Das würde bei einer neuen Währung schlicht und einfach quasi über Nacht geschehen.
Precht: Grexit ist gefährlich – für die ganze EU
Schöne neue Drachmen-Welt für Griechenland also? Richard David Precht ist da skeptisch. „Griechenland wird dann quasi zu einem Agrarstaat mit ein bisschen Tourismus“, so Precht. Er glaube nicht, dass eine solche massive Abwertung des Lebensstandards ganz ruhig verlaufe und die Griechen dann einfach den heimischen Joghurt statt den teuren aus Deutschland kaufen würden und es das war.
Vielmehr sei für den Fall eines Grexits damit zu rechnen, dass eine noch viel linksradikalere oder eine rechtsradikale Regierung an die Macht komme. Auch über die Zuverlässigkeit Griechenlands als Partner in Europa könne man sich dann nicht sicher sein, sowohl gegen Russland als auch die aufstrebende Regionalmacht Türkei.
Für die weitere Einigung Europas, die auch Sinn als „eine der obersten Prioritäten der deutschen Politik“ sieht, sei das Fallenlassen von Griechenland ein vollkommen falsches Signal, meint Precht. Man solle in diesen schweren Zeiten lieber Solidarität innerhalb der Staatengemeinschaft üben, über ein Schuldenmoratorium nachdenken und Geld investieren, bei einem sonnenreichen Land wie Griechenland beispielsweise in erneuerbare Energien.
Sinn: Euro stiftet keinen Frieden
Doch Sinn hält dagegen: Der Euro sei eben kein Mittel der europäischen Einigung und des Friedens geworden. Er könne sich nicht daran erinnern, dass es in Europa zu seinen Lebzeiten, Sinn ist Jahrgang 1948, schon einmal so viel Streit und böse Worte zwischen europäischen Staaten gegeben habe, wie jetzt in der Euro-Krise.
Und zu den Grexit-Folgen für Griechenland? Ein Staatskonkurs mit einer Abwertung habe historisch meist relativ schnell zu neuem Wachstum geführt, so Sinn. Außerdem sei die aktuelle Lage mit einer Arbeitslosigkeit von 25 Prozent eine ebenso große Gefahr.
Beide sicher: Das Durchwursteln geht weiter
Hoffnung auf eine baldige Lösung der Krise machen sich beide trotzdem nicht. Prechts Vermutung: Statt größerer europäischer Ziele zu formulieren, werden sich die Politiker auf Sicht weiter „durchwursteln“: noch einen Aufschub gewähren, noch etwas Geld zusteuern, vielleicht den IWF aus der Gläubigergruppe nehmen und so weiter.
Sinn widerspricht ihm nicht. Politiker denken eben in Wahlperioden. Er sagt aber auch: „Nur weil Politiker handeln, wie sie handeln, ist das noch lange nicht gut.“
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