Wirtschaftswoche Denkfabrik, 25. Januar 2019, S. 43.
Deutschland hat im Verkehrswesen bald südeuropäische Verhältnisse. Immer wieder kommt es zu Verzögerungen im Flugverkehr, weil irgendwer streikt. Mal sind es die Fluglotsen, dann die Kapitäne und ihre Mitarbeiter im Cockpit, dann die Reinigungskräfte und nun das Sicherheitspersonal. Anders als bei herkömmlichen Betrieben kämpfen rivalisierende Fachgewerkschaften um Anteile an der betrieblichen Wertschöpfung – und verringern sie dadurch.
Bei der Bahn ist es ähnlich. Dort wechseln sich die Gewerkschaft der Lokführer und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG bei den Streiks ab. Und wenn nicht gerade gestreikt wird, herrscht der Schlendrian. Selten fahren Züge wirklich pünktlich, häufig gibt es erhebliche Verspätungen. Millionen von Kunden haben den Schaden in Form von geplatzten Terminen und Zeitverlusten. Wenn man sich an einer Stelle des Bahnsteigs aufgestellt hat, um auf seinen Platz zu kommen, heißt es immer wieder, dass die Zugfolge umgedreht worden sei, was zu langen Sprints über den Bahnsteig zwingt. Klimaanlage im Sommer? Wenn man Glück hat. Speisewagen? Wenn das Personal überhaupt da ist und die Lebensmittel geliefert wurden.
Die Verhältnisse schreien zum Himmel. In der Schweiz macht man sich lustig über die Deutschen, denn in unserem Nachbarland fahren die Züge pünktlich, und die Technik funktioniert. Auch in Deutschland war das früher so, doch sind diese Zeiten lange vorbei.
Problem Spartengewerkschaft
Die Ursachen für die deutschen Probleme sind vielschichtig, und natürlich gibt es gravierende Managementfehler. Besonders signifikant ist jedoch die Kombination aus hohem Kündigungsschutz, Streikrecht und der Machtfülle der Arbeitnehmerschaft. Die Möglichkeit der Blockade des Apparates durch Fachgewerkschaften führt zu einem besonders aggressiven Streikverhalten und ruft eine Erosion der beruflichen Disziplin hervor. Das kann sich Deutschland nicht mehr länger leisten.
Die Fachgewerkschaften sind aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnlos, denn sie schädigen nicht nur die Kunden der Verkehrsbetriebe. Vielmehr schädigen sich diese Gewerkschaften auch gegenseitig, indem sie den Betrieb häufig lahmlegen und die Dienstleistungen der Unternehmen, in denen sie tätig sind, verteuern. Im Ergebnis schadet das dem Absatz mehr, als wenn monopolistische Preise gesetzt würden.
Kurzum: In der Summe erzeugen Fachgewerkschaften wegen der ihnen inhärenten Aggressivität bei Lohnverhandlungen eine kleinere Lohnsumme und höhere Produktpreise, als es eine einheitliche Gewerkschaft täte. Sie sollten zusammengelegt werden.
Man könnte noch weiter gehen. Wir sollten in Deutschland ernsthaft überlegen, bei Lokführern und dem Sicherheitspersonal an Flughäfen wieder zum Beamtenstatus überzugehen. Als die Bundesbahn vor ihrer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft noch ein echtes Staatsunternehmen war, das an den Schaltstellen des Verkehrsbetriebes beamtete Stellen vorsah, waren die Züge wesentlich pünktlicher als heute. Sicher, die Schaffner bringen einem heute Kaffee, und das Unternehmen, das zu 100 Prozent im Staatsbesitz ist, tritt nicht mehr so hoheitlich auf wie seinerzeit. Aber das ist keine Kompensation für die ewigen Verspätungen und den Schmutz auf den Bahnhöfen.
Beamte können nicht streiken, und sie haben die Pflicht, ihren Dienst gewissenhaft und pünktlich zu erledigen. Der Staat übernimmt eine angemessene Daseinsvorsorge, zögert aber nicht, bei Vergehen Disziplinarmaßnahmen zu verhängen. Die staatlichen Anreizsysteme, die in einem Jahrhunderte währenden Evolutionsprozess ausgeklügelt wurden, funktionieren durchaus. Es war ein Fehler, sie mit der Bahnprivatisierung leichtfertig aufs Spiel zu setzen. In strategischen Bereichen der Wirtschaft, bei den Schaltstellen des Verkehrs und auch im Bereich des Sicherheitspersonals, sei es an Flughäfen oder beim Zugverkehr, hat deshalb das Beamtentum auch heute seine Berechtigung.
Viele wissen nicht, dass ein rudimentärer Zugverkehr bei Streiks der Lokführer-Gewerkschaft nur deshalb aufrechterhalten werden konnte, weil aus der alten Zeit der verbeamteten Lokführer noch viel Personal übrig geblieben ist. Dessen Arbeitsleistungen wurden der Bahn im Zuge von Dienstleistungsverträgen zur Verfügung gestellt. Was wird passieren, wenn auch diese übrig gebliebenen Beamten eines Tages pensioniert werden?
In einer größeren Studie, die ich bereits 2006 zusammen mit Marko Köthenbürger und John Whalley veröffentlichte, haben wir eine Reihe von Fachleuten aus verschiedenen Ländern über die Privatisierungserfolge ihrer Heimatländer berichten lassen. Das Ergebnis: Die Privatisierung hat überall dort, wo es möglich war, Konkurrenz herzustellen, gut funktioniert und die Effizienz messbar verbessert. Wo faktisch private Monopole entstanden, vor allem im Bahnwesen, waren die Ergebnisse niederschmetternd.
Wie es scheint, hat sich Deutschland in die Reihe der fehlgeschlagenen Bahnprivatisierungen eingereiht.