Genug ist genug

In der Coronakrise sind staatliche Hilfen richtig. Doch dürfen die Maßnahmen von Politik und EZB nicht zu einem Fass ohne Boden werden.
Hans-Werner Sinn

WirtschaftsWoche Nr. 20, 8. Mai 2020, S. 43.

Whatever it takes? Getrieben vom Schwung der eigenen Worte verlieren derzeit manche Politiker Maß und Mitte, wenn sie ihre Füllhörner an eine vom Coronavirus gebeutelte Wirtschaft ausschütten. Es ist richtig und wichtig, dass der Staat die Unternehmen rettet, die wegen der politisch verordneten Transaktionsverbote in Schwierigkeiten kommen. Ebenso ergibt es Sinn, Beschäftigungsverhältnisse mithilfe des Kurzarbeitergelds zu sichern. Auch das geplante Budgetdefizit des Bundes von etwa fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist in einer Krise wie dieser vertretbar. Problematisch sind aber die vielen sonstigen Ausgaben, Kredithilfen und Bürgschaften, die noch hinzukommen.

Nach neuester Zählung haben Bund und Länder insgesamt 1,034 Billionen Euro an Ausgaben, Krediten und Kreditbürgschaften für die Rettungsmaßnahmen in Bewegung gesetzt. Das ist etwa ein Drittel des deutschen BIPs 2020, wenn man dessen vom Internationalen Währungsfonds (IWF) erwartete Schrumpfung von sieben Prozent einrechnet. Eine solch gigantische Summe ist ohne historische Parallele in Friedenszeiten.

"Die Rettungsmaßnahmen von Bund und Ländern werden etwa einem Drittel des deutschen Bruttoinlandsprodukts 2020 entsprechen".

Zu bedenken ist auch, dass Deutschland gedrängt wurde, einen europäischen Fonds für Kurzarbeitergeld und allerlei weitere Ausgabenprogramme der Europäischen Union mitzutragen. Bislang wurden schon 540 Milliarden Euro vereinbart, und in Kürze soll ein neuer Riesenfonds von 1,5 Billionen Euro aufgelegt werden - für den Deutschland vermutlich im Umfang von 300 Milliarden Euro geradestehen muss.

Die EU ist bei der Durchsetzung ihrer Wünsche nicht zimperlich. Sie erwartet, dass sich Deutschland an Rettungsaktionen für die europäische Konkurrenz beteiligt, wenn es eigene Firmen retten will.

DRUCK AUS FRANKREICH
Die Forderung nach Finanzhilfen wurde vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron in einem Interview mit der "Financial Times" mit dunklen und fast schon ultimativ wirkenden Drohungen als  Gegenleistung für deutsche Exporte erhoben. Wieder einmal stehen französische Interessen auf dem Spiel.
Bereits Amtsvorgänger Nikolas Sarkozy hatte im Mai 2010, als Griechenlands Konkurs in letzter Sekunde abgewendet wurde, nach Aussage des damaligen spanischen Ministerpräsidenten Zapatero mit dem EU-Austritt gedroht, falls sich Deutschland verweigere.
Kein Wunder: Laut der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ist das direkte Exposure französischer Gläubiger gegenüber italienischen Schuldnern heute vier Mal so groß wie jenes von Deutschland.

Durch den politischen Druck ließe sich auch erklären, warum die neue Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, nur wenige Tage nach ihrer ersten Pressekonferenz von der Aussage abrückte, dass es nicht die Aufgabe der EZB sei, die Zinsspreads im Euro-Raum zu verringern.
Stattdessen kündigte sie ein neues Kaufprogramm (PEPP) für Wertpapiere im Umfang von 750 Milliarden Euro an.

Zusammen mit den bereits beschlossenen Lockerungsaktionen lässt diese Summe die  Zentralbankgeldmenge 2020 um 1,1 Billionen Euro ansteigen. Das bedeutet eine Vervierfachung im Vergleich zu 2008. Auch vor dem Hintergrund des aktuellen Urteils des Bundesverfassungsgerichts ist dies eine bedenkliche Politik. Nach traditioneller Lehrmeinung ist damit nicht notwendigerweise eine Inflation verbunden, wenn die Zinsen bereits bei null angekommen sind. Die Sicherheit des Geldwertes lässt sich gleichwohl bezweifeln. Erstens wurde die Nullzinsgrenze längst geschleift. So vergibt die EZB bereits heute langfristige Refinanzierungskredite an die Banken zu einem Zins von minus einem Prozent.

Zweitens wurde, als Lagarde noch IWF-Präsidentin war, bereits die Idee entwickelt, im Zuge der Einführung eines elektronischen Zentralbankgeldes auch das Bargeld regelmäßig zu entwerten und mit einem negativen Zins zu versehen. Das ließe den Geldwert genauso erodieren wie eine echte Inflation und würde eine Flucht in Sachwerte auslösen - die die Inflation dann losträte. Drittens ließe sich der gewaltige Geldüberhang kaum wieder reduzieren, wenn die Inflation in Gang gekommen ist. Dazu müsste die EZB ja die Billionen von Staatspapieren, die sie unter Missachtung des Artikel 123 des Vertrags über die  Arbeitsweise der Europäischen Union erworben hat, verkaufen. Das triebe die Kurse in den Keller und brächte die Mittelmeerstaaten ins Wanken.

Dass Ex-EZB-Präsident Mario Draghi jüngst gegenüber der "Financial Times" erklärte, Deutschland habe schließlich auch den Ersten Weltkrieg mit Schulden finanziert, beruhigt in diesem Zusammenhang nicht wirklich. Als Folge geriet Deutschland bis 1923 in eine Hyperinflation, die das Bürgertum verarmen ließ und es so weit radikalisierte, dass es nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933 einem Rattenfänger auf den Leim ging.

Das Zusammenspiel von ausufernden staatlichen Hilfsprogrammen und expansiver Geldpolitik ist hochriskant.

Es ist daher an der Zeit innezuhalten - um nicht von der epidemiologischen Krise in die Staatskrise zu schlittern.

 

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