Wie geht es 2021 mit der Wirtschaft weiter, zur deren Output viele von uns durch unsere Arbeit beitragen und von der wir alle leben? Während Markus Krall den Zusammenbruch des Bankensystems mit Hyperinflation für Ende 2020 vorausgesagt hatte, hat sein Kollege Hans-Werner Sinn in seiner sehr sehenswerten Weihnachtsvorlesung die Prognose vorgetragen, 2021 und 2022 käme es noch zu keiner Inflation. Wieso kommen die beiden klugen Beobachter der Wirtschaftslage zu so widersprüchlichen Ergebnissen?
Krall ist in der Volkswirtschaftslehre ein Außenseiter, der sich in seinem Denken nicht nur der Neoklassik, sondern auch der Österreichischen Schule der Volkswirtschaftslehre bedient. Sinn ist ein sehr kluger und kritischer Denker, vor allem aber ein Anhänger der Neoklassik und ein Ökonom des Establishments. Versuchen wir hier eine Verbesserung des Ausblicks auf 2021 durch die Synthese der beiden Perspektiven. Beide Ökonomen sind sich einig, dass die Gelddruckerei im derzeitigen Ausmaß toxisch ist, beide glauben, dass dies zur Zombifizierung der Wirtschaft und zur Inflation führt. Die Frage ist nur: Wann?
Die Bilanz der EZB ist von 900 Milliarden im Jahr 2004 auf 7 Billionen zum Ende 2020 angeschwollen. Dieses Geld schafft die Zentralbank aus dem Nichts, um damit ziemlich direkt und vertragswidrigerweise Staats- und Unternehmensanleihen zu kaufen. Sie tut dies angeblich, um ihr Inflationsziel von 2 Prozent zu erreichen, doch schafft sie das nicht und kann es auch gar nicht schaffen, was Sinn mit der Liquiditätsfalle erklärt. Was geschieht da?
Die EZB druckt elektronisches Zentralbankgeld und kauft damit Staatsanleihen, die die Geschäftsbanken jeweils gerade eben den Staaten der Eurozone abgekauft haben. Die EZB lagert diese Anleihen nun bei sich. Die Banken hingegen erhalten das Geld, dadurch steigt die Geldmenge. Was passiert nun mit dem Geld? Ein Teil davon wird in den Wirtschaftskreislauf gegeben und landet über verschiedene Mechanismen bei verschiedenen Anlegern oder Kreditnehmern der Banken, die mit dem Geld Immobilien und Aktien kaufen. Dies hat zu einer Hausse an der Börse geführt, die meisten Titel dort sind wahrscheinlich sehr hoch oder zu hoch bewertet. Bei den Immobilienpreisen haben wir dadurch bereits eine inflationäre Blase, die Preise sind seit 2008 um 70–120 Prozent gestiegen, während es kaum eine Inflation der Verbraucherpreise gab.
Die Geldflutung der letzten Jahrzehnte
Doch ein großer Teil des Geldes wird nicht ausgegeben, sondern gehortet. Denn weil der Zins Null oder gar negativ ist, ist die einfache Geldanlage nicht rentabel, und bei vielen Investitionen drohen die Transaktionskosten höher zu ein als die Verzinsung. Außerdem fürchten viele Marktteilnehmer zu recht die Krise und sparen daher ihr Geld als Sicherheit. So horten die Bürger, Unternehmen und vor allem auch die Banken Billionen von Euro in bar oder auf Konten, die Banken lassen das Geld auf ihren Konten bei der Zentralbank liegen.
Dies kann laut Sinn an der unterschiedlichen Steigerungsgeschwindigkeit des Zentralbankgeldes und der Geldmengen M1 bis M3 abgelesen werden: Während das Zentralbankgeld mit exponentieller Geschwindigkeit wächst, wachsen die Geldmengen M1 bis M3, die etwas enger an die Realwirtschaft gekoppelt sind, nur linear und langsam. Die Differenz der Geldmengenbeschleunigung zeigt die Hortung des emittierten Zentralbankgeldes an. Ein Großteil des Geldes wird derzeit dem klassischen Kreislauf von Erwirtschaftung, Konsum, Besteuerung und Staatsausgaben entzogen und wirkt nicht inflationär. Ein Teil treibt die Inflationierung der Immobilienpreise, die wir beobachten.
Einig sind sich Sinn und Krall, dass die Geldflutung der letzten Jahrzehnte zuerst in Japan, doch nun auch in der EU, dem Vereinigten Königreich und den USA eine Zombiewirtschaft hervorgebracht haben, in der es kein Produktivitätswachstum mehr gibt, weil Firmen, deren Geschäftsmodell sich überlebt hat, am Absterben gehindert werden und dadurch Ressourcen binden, die einer produktiveren Nutzung entzogen werden. Sie sind nicht mehr in der Lage, in innovative Technologien zu investieren, viele sind kaum noch rentabel und können ihren Schuldendienst nur mit Mühe leisten.
Firmen, die noch hohe Gewinne erzielen und in der Lage zur Produktivitätssteigerung durch Investitionen wären, ziehen es vor, durch Aktienrückkäufe den aktuellen Aktienkurs zu steigern und vernachlässigen die langfristigen Investitionen. Alexander Horn hat das Problem im Detail analysiert. Das gedruckte Geld erzeugt keinen Wohlstand, sondern es hemmt das Wirtschaftswachstum, indem es maßgeblich zur Zombifizierung der Wirtschaft beiträgt. Das Gelddrucken verteilt auch Vermögen um: Gewinner damit vollzogenen monetären Staatsfinanzierung, die die Zinsen künstlich senkt, sind die einerseits die Schuldner, die weniger zahlen müssen. Andererseits auch die Inhaber von Realwerten, deren Vermögen durch die Realgüterinflation im Verhältnis zu anderen Gütern aufgewertet werden.
Im Eurosystem sind es auch Exporteure, die an EZB-TARGET-Debitoren Waren und Dienstleistungen verkaufen. Verlierer sind Kleinsparer, die es sich nicht leisten können, von der Realwertinflation bei Immobilien und Aktien zu profitieren. Sie verlieren jährlich viele Milliarden an Zinsen auf ihre Ersparnisse und Lebensversicherungen. Es findet ein Vermögenstransfer von unten nach oben statt. Darin sind sich Krall und Sinn einig.
Inflation und Schulden
Einig sind sie sich auch, dass die ständige Gelddruckerei ein inflationäres Potenzial besitzt. Uneinig sind sie sich allerdings in der Frage, wie und wann es sich manifestieren wird. Aus Sicht Sinns erst dann, wenn die Wirtschaft wieder Fahrt aufnimmt und das Geld nicht mehr gehortet, sondern ausgegeben wird, weil die Anleger es vor dessen Entwertung durch Inflation benutzen wollen oder es schlicht und ergreifend brauchen, um die steigenden Preise zu zahlen. Dann fließt das überschüssige Geld aus den Horten in den Kreislauf und es kommt es zu einer massiven Inflation, die die EZB nicht mehr stoppen kann, weil sie das Geld nicht mehr aus dem Kreislauf herausbekommt.
Inflation bedeutet, dass die Geldmenge im Kreislauf schneller steigt als die Menge an Waren und Dienstleistungen. Um das zu stoppen, müsste die EZB die Staats- und Unternehmensanleihen aus ihren Beständen verkaufen – doch wenn sie das tut, verfallen deren Nennwerte und es explodieren deren Zinsen. Das ist aus zwei Gründen nicht möglich:
Erstens würden die Staaten, die sich ständig refinanzieren müssen, dann sofort unter der Zinslast bankrott gehen – Italien hat derzeit eine Staatsverschuldung von über 150 Prozent des BIP, Griechenland 200 Prozent (trotz Schuldenschnitts, sonst wäre die Schulden nun bei ca. 260 Prozent), Frankreich knapp 120 und Spanien 123 Prozent.
Zweitens würde der Preisverfall bei den Staatsanleihen die Banken und die Versicherer ruinieren, die diese Anleihen halten, da sie massive Abschreibungen auf diese Vermögenswerte vornehmen müssten. Manche Banken und Versicherer halten sehr viele solcher toxischen Aktiva, beispielsweise in Japan, aber auch in zahlreichen Mittelmeerländern Europas. Daher ist es gar nicht der Plan der EZB, die Anleihen jemals zu verkaufen. Konsequenterweise wollten italienische Ökonomen die Anleihen einfach annullieren. Sie argumentieren, dass der Staat ja als Eigentümer der EZB sowieso die Zinsen erhält, die er ihr für seine Schulden zahlt. Was spricht dagegen?
Eine vertragswidrige Schuldenunion
Erstens besteht ein Ungleichgewicht zwischen Staatsanteilen an der EZB und Verschuldung: Das Gros der Schulden dort haben die Mittelmeerländer und Frankreich, die dafür auch Zinsen zahlen, doch den Staatsbanken der Deutschen, der Beneluxländer und Finnlands, von denen die EZB kaum Anleihen hält, gehört knapp die Hälfte der EZB. Ein Schuldenerlass würde also den Schuldnerländern nutzen, die Zinsen zahlen, zulasten der Gläubigerländer, die die Zinsen (so mager sie derzeit auch sind) erhalten. Die Streichung setzt einen einheitlichen Fiskalstaat in der Euro-Zone voraus, den es jedoch nicht gibt. Stattdessen gibt es nur eine vertragswidrige Schuldenunion, deren rechtswidriger Charakter bei dieser Streichung noch einmal überdeutlich gemacht würde.
Doch zweitens – und das ist noch viel wichtiger – würde, wie Sinn betont, eine Streichung der Schulden der EZB die Möglichkeit nehmen, die Anleihen später wieder zu verkaufen, um Geld aus dem Kreislauf zu holen. Damit würden die Schulden bei der Streichung sofort in obligatorische zukünftige Überschussliquidität übersetzt. Sie würden sich dann bei der späteren, unvermeidlichen Inflation als Enteignung der Bürger schlagartig manifestieren. Das ist es, was die italienischen Ökonomen fordern, und es entspricht der tradierten Mentalität der Mittelmeerstaaten, die sich schon immer durch Geldentwertung auf Kosten ihrer Bürger finanziert haben.
Doch Krall denkt schon viel weiter als Sinn, da er die Zombifizierung der Wirtschaft für weiter fortgeschritten hält als jener. Er geht davon aus, dass 2021 ein Fünftel bis ein Drittel aller Unternehmen pleite gehen werden, weil bereits heute 15 bis 20 Prozent der Unternehmen kaum noch rentabel oder gar schon insolvent sind und nach seiner Meinung andere, die ihre Kreditoren sind, mitreißen werden. Auch Clemens Fuest, der Nachfolger Sinns am ifo-Institut, betont, dass der Anteil maroder Unternehmen hoch ist und 2021 viele pleite gehen werden, was zu einem deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit führen wird. Krall glaubt, dass das Bankensystem darunter zusammenbrechen wird, weil die Banken bei Massenpleiten so viele Aktiva (Unternehmenskredite) abschreiben müssen, dass ihr Eigenkapital aufgebraucht wird. Aus seiner Sicht müsste der Staat dann zur Rettung der Banken so viel Geld in Umlauf bringen, dass die Geldschwemme größer wäre als die Hortung. Was wäre in seinem Szenario der Inflationsmechanismus? Die Wirtschaft wird 2021 oder 2022 kaum einen inflationären Galopp antreten, wie Sinn zu recht vorhersagt.
Eine Warenkorbinflation könnte jedoch bei einer Verknappung von Alltagsgütern bei steigender Nachfrage entstehen: Selbst wenn die Wirtschaft 2021 weiter schrumpft, könnten viele Menschen gezwungen sein, Käufe nachzuholen, auf die sie 2020 verzichtet haben, beispielsweise mittel- bis langlebige Konsumgüter wie Geschirr, Kleidung, Haushaltsgeräte oder Autos. Derzeit wegen des Zusammenbruchs der Nachfrage in 2020 riesige Ersparnisse. Falls die Nachfrage nach solchen Gütern steigt, die Wirtschaft sie aber nicht liefern kann, weil Lieferketten unterbrochen sind oder 2020 Produktionskapazitäten heruntergefahren wurden, kann es zu Preisanstiegen trotz Rezession kommen. Dies kann Inflationserwartungen wecken und eine die inflationäre Spirale auslösen, wir bekämen Stagflation wie in den 1970ern oder gar eine Depressionsinflation. Dann würde sich verwirklichen, wovor Sinn und Krall beide warnen. Wann solche Dynamiken eintreten, kann keiner vorhersagen, noch liegt das Gros des inflationären Potenzials in den Geldhorten der Liquiditätsfalle.
Wenn sich Kralls oder Sinns Vorhersagen materialisieren und wir den Krall’schen Bankencrash mit Inflation oder die Sinn’sche Inflation bekommen, bleibt als einziger Ausweg die temporäre Einführung staatlichen Vollgeldes (der Finanzsozialismus), was neulich bereits dargestellt wurde. Bis dahin kann der Staat aber durch weiteres Gelddrucken und damit finanzierte Subventionen und Interventionen noch eine Menge Zeit gewinnen. Wieviel? Das kann niemand vorhersagen, denn die Volkswirtschaft ist ein komplexes System, für das exakte Vorhersagen unmöglich sind. Derzeit ahnen die Bürger noch nicht, was auf sie zukommt. Deswegen ist die Legitimität der Regierung sehr hoch. Das ändert sich schnell, wenn das Geld nicht mehr bis zum Monatsende reicht, um das Nötigste zu kaufen.
Nachzulesen auf www.achgut.com.