Handelsblatt, 30. Dezember 2020.
Kann man wirklich gefahrlos aus der Druckerpresse leben, wie es die Vertreter der Modern Monetary Theory (MMT) meinen. Kann man es dann den Staaten überlassen, das viele Geld durch Steuererhöhungen wieder einzusammeln, sollte es eine Inflation geben?
Der Chefökonom des Handelsblatts, Bert Rürup, scheint dies zu glauben. Die traditionelle Ökonomie, die einen solchen Optimismus für unbegründet hält, bezichtigt er der „Eselei“. Sie werde von der Realität der Notenbanken überholt.
Führende Ökonomen der Welt wie Kenneth Rogoff oder Lawrence Summers sehen das freilich ganz anders. Sie nennen die MMT „modernen monetären Unsinn“ oder „Voodoo-Ökonomik unserer Zeit“. Tatsächlich steht das von der MMT beschriebene Verhalten nicht nur im offenen Widerspruch zum Vertrag von Maastricht, sondern auch zu der Beobachtung, dass die Staaten der Euro-Zone stets mehr Schulden gemacht haben, als sie durften.
Dass sie das aus den Druckerpressen des Euro-Systems entliehene Geld jemals wieder zurückgeben würden, um mit steigenden Zinsen eine Inflation zu bekämpfen, die ja den Realwert ihrer Schulden auf angenehme Weise dezimieren würde, ist eine Illusion, die sich mit empirischen Erfahrungen nicht deckt. Die Position der traditionellen Ökonomie seit Keynes ist ganz anders, als Rürup sie karikiert.
Nach dieser Position erzeugt der von der EZB erzeugte Geldüberhang während der Krise keine Inflation, weil er in der „Liquiditätsfalle“ landet, also gehortet und nicht der Nachfrage zugeführt wird. Wenn also die EZB in der Krise durch Gelddruck eine Inflation erzeugen will, tut sie etwas, was sie nicht kann und nicht darf – und was nach einem Memorandum der Ex-Zentralbank-Gouverneure um Otmar Issing lediglich dazu dient, überschuldete Staaten vor steigenden Zinsen zu schützen.
Die EZB handelt fahrlässig
Die Horte sind in der Krise gewaltig gewachsen. Das zeigt ein Vergleich verschiedener Geldaggregate, einmal mit dem Geld der Banken, das bei den Notenbanken liegt (M0), und einmal mit dem Kreditgeld, das die Banken für ihre Kunden selbst unter Verwendung ihrer Horte geschaffen haben (M1).
Die Relation dieser Größen hat sich gegenüber der Vorkrisenzeit verdoppelt, weil die Banken das neue Zentralbankgeld nicht in Kredite umgemünzt haben. Das alles erkennt man nicht an Diagrammen wie jenem neben Rürups Text im Handelsblatt, die sich auf ein Geldaggregat beziehen, das die Horte der Banken gar nicht umfasst.
Das Problem des vielen Geldes ist nicht, wie es mir Rürup andichtet, dass es ursächlich Inflation erzeugt, sondern ein anderes: Wenn es, aus welchen Gründen auch immer, zu einer Inflation kommt – vielleicht weil sich nach der Überwindung der Pandemie neuer Optimismus verbreitet –, kann die EZB sie durch eine Rückführung der Geldmenge nicht mehr zügeln.
Denn sie müsste dafür Staatspapiere im Wert von 3,5 Billionen Euro wieder verkaufen, was Staaten und Banken in Schwierigkeiten brächte. Die EZB handelt fahrlässig, weil sie die Inflationsbremse des Euro-Systems mit ihrer ultra-expansiven Geldpolitik beschädigt, wenn nicht zerstört.
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