Der scheidende Direktor des Münchner IFO-Instituts, Hans-Werner Sinn, zerzaust in seinem Buch «Der Euro» die Rettungsmassnahmen für Südeuropa.
Der 68-jährige Hans-Werner Sinn gehört zu den bekanntesten Ökonomen Deutschlands. Manche bezeichnen ihn sogar als den einflussreichsten. Seine heftige Kritik an der Europäischen Zentralbank (EZB) hat allerdings bisher nicht gefruchtet. Unter ihrem Chef Mario Draghi hat die EZB die notleidenden südeuropäischen Länder mit immer höheren Summen unterstützt. Sinn bezeichnet diese Unterstützung aus rechtlichen und aus ökonomischen Gründen als ungerechtfertigt. In seinem Buch «Der Euro – Von der Friedensidee zum Zankapfel» schildert er die Geschichte der europäischen Einheitswährung und beleuchtet die Fehler, die seiner Meinung nach begangen wurden. Der Grundfehler war demnach, dass Länder wie Griechenland in den Euro aufgenommen wurden, obwohl bei sauberer Analyse die nötigen Voraussetzungen nicht erfüllt waren.
In den Anfangsjahren profitierten die südeuropäischen Länder zwar von der Einheitswährung. Statt galoppierender Inflation und kontinuierlicher Abwertungen brachte der Euro ihnen Stabilität und tiefe Zinsen. Der Vorteil, den die tiefen Zinsen brachten, wurde aber nicht zum Sparen genutzt, sondern er wurde «verfrühstückt», wie sich Sinn ausdrückt. Durch den steigenden Konsum verschuldeten sich die Griechen und andere Südeuropäer immer stärker. Nach Ausbruch der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise war der Schuldenberg nicht mehr zu bewältigen.
Nun trat das ein, wovor viele Ökonomen vor der Einführung des Euro gewarnt hatten: Wenn sich die Konjunktur in den Mitgliedländern unterschiedlich entwickelt, sollten die Schwächeren ihre Währung abwerten können, um im Export konkurrenzfähiger zu werden. Das aber ist mit einer Einheitswährung nicht möglich. Eine Alternative wäre die Senkung von Löhnen und Preisen im Inland. Aber gerade Griechenland ist laut Sinn so stark verschuldet, dass sich das Problem auf diese Weise nicht lösen lässt.
Für den streitbaren Münchner Professor ist deshalb klar: Die reicheren Länder aus dem Norden Europas müssen den Griechen einen Teil der Schulden erlassen. Im Gegenzug muss das Land den Euro verlassen. Der liberale Ökonom Hans-Werner Sinn kommt somit zum selben Schluss wie der frühere linke griechische Finanzminister Yanis Varoufakis: Dieser hatte auf den Schuldenschnitt gepocht und den Euro-Austritt vorbereitet. Die Mehrheit seiner Syriza-Partei und wohl auch die Mehrheit der griechischen Bevölkerung schreckte aber vor diesem radikalen Schritt zurück. Varoufakis musste die Regierung verlassen.
In einem sind sich Sinn und Varoufakis aber gänzlich uneinig: Trotz des Schuldenschnitts fordert Sinn gleich harte Sparmassnahmen wie die Troika aus EU, EZB und IWF.
Auszeit für Griechenland
In seinem Buch schlägt Sinn einen ähnlichen Weg vor, wie ihn der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble ins Spiel gebracht hatte: Griechenland soll für einige Jahre austreten und sich dann wieder fit machen für die Rückkehr. Das Trainingslager wäre das Europäische Währungssystem EWS II: Darin können potenzielle neue Mitglieder während zweier Jahre beweisen, dass sie die Maastricht-Kriterien für den Euro erfüllen, bevor sie aufgenommen werden.
Ein Staatsbankrott mit anschliessender Schuldentilgung und dem Austritt aus dem Euro wäre laut Sinn besser als die Fortführung der Rettungspolitik durch EU, IWF und EZB. Natürlich würde die neue Währung, beispielsweise die griechische Drachme, stark abgewertet. Die sozialen Probleme würden am Anfang grösser. Hier müssten die reichen EU-Mitglieder mit Notprogrammen einspringen. Aber Sinn zeigt sich überzeugt, dass sich die Abwertung rasch positiv auswirken würde. Ausländische Güter wären teurer, weshalb die Griechen vermehrt einheimische Waren konsumierten. Griechische Güter würden im Ausland billiger, der Export würde steigen. Ferien in Griechenland würden für Ausländer günstiger, die Folge wäre ein Boom im Tourismus.
Weder die Europäische Zentralbank noch die deutsche Regierung sind Sinn aber bisher gefolgt. Die EZB kauft weiterhin Staatsanleihen, um Südeuropa zu stützen. Und die EU unter Führung Deutschlands wehrt sich gegen einen Schuldenschnitt. Hans-Werner Sinn wird im Frühjahr als Leiter des Münchner IFO-Instituts für Wirtschaftsforschung zurücktreten. Aber seine Kritik an der Politik der EZB wird kaum verstummen.
Hans-Werner Sinn: Der Euro – Von der Friedensidee zum Zankapfel. Verlag Hanser 2015. 500 Seiten. Fr. 35.90