Presseartikel von Hans-Werner Sinn, Wirtschaftswoche, Nr. 40/2014, 29.09.2014
Mit den angekündigten Käufen von kreditbesicherten Wertpapieren übernimmt die Europäische Zentralbank die Ausfallrisiken der Banken und überträgt sie auf die Steuerzahler. Damit überschreitet die EZB erneut ihr geldpolitisches Mandat. Die Bundesregierung ist verpflichtet, dagegen vorzugehen.
Gegen den Protest der Bundesbank greift die Europäische Zentralbank (EZB) den Banken Südeuropas ein weiteres Mal unter die Arme. Sie will ihnen einen Teil ihrer toxischen Kreditforderungen gegen den privaten Sektor abnehmen, um sie für die Bankenunion fit zu machen. Dazu sollen die Banken ihre Kreditforderungen zu ABS-Papieren bündeln und an die EZB verkaufen. Am liebsten würde die EZB nur die besseren Tranchen dieser Papiere erwerben und der Europäischen Investitionsbank den Schrott überlassen. Da aber die Politik nicht mitmacht, wird sie sich die Hände selbst schmutzig machen müssen – und zur Bail-out-Behörde mutieren.
Die EZB begann als eine Zentralbank, die Geldpolitik betreibt. Sie gewährte den nationalen Mitgliedszentralbanken das Recht, lokalen Geschäftsbanken gegen hohe Sicherheiten kurzfristig gerade so viel Geld zu leihen, wie als Transaktionsmittel in den jeweiligen Ländern benötigt wurde. Aber schon als im Jahr 2008 die Finanzkrise ausbrach, gewährte sie den Ländern Südeuropas und Irlands fiskalische Ersatzkredite für die wegbrechenden privaten Kredite, die aus dem Ausland gekommen waren. Sie erlaubte es den nationalen Notenbanken der sechs europäischen Krisenländer nicht nur, das Geld zu drucken und an die Banken zu verleihen, das für die Liquiditätsversorgung im Inneren benötigt wurde, sondern gab ihnen eine Druckerlaubnis für weitere 1000 Milliarden Euro (Target-Kredit). Damit konnten die Bürger dieser Länder ihre Auslandsschulden tilgen sowie ausländische Vermögenswerte und Güter erwerben.
Dann wies der EZB-Rat die Notenbanken seiner Mitgliedsländer an, den Krisenstaaten für 223 Milliarden Euro direkt Kredit zu gewähren (SMP-Programm), und gab ein unbegrenztes Schutzversprechen für deren Staatspapiere ab (OMT-Programm). Das senkte die Zinsen, zu denen sich die Krisenländer verschulden konnten, und setzte die Verschuldungslawine wieder in Gang.
Diese Maßnahmen dienten dem Bail-out, also der Rettung überschuldeter Banken und Staaten sowie ihrer internationalen Gläubiger. Sie lenkten aber auch neues Investitionskapital wieder dahin, wo es eigentlich nicht hinwollte, weil sich Investoren bereits die Finger verbrannt hatten.
So umfassend die Maßnahmen waren, sie könnten sich gegenüber dem, was nun kommt, als zweitrangig erweisen. Die EZB betritt mit der direkten Kreditvergabe an den Privatsektor ein wesentlich größeres Feld als jemals zuvor. Dass der EZB-Präsident ankündigt, er wolle die EZB-Bilanz schon im ersten Schritt um eine Billion Euro erhöhen, zeigt, wohin die Reise geht.
Viele private Kreditnehmer Südeuropas, allen voran Unternehmen der Bau- und Immobilienwirtschaft, stehen nach dem Platzen der Immobilienblase am Rande der Pleite. Mit ihnen tun es ihre Banken. Mit den ABSKäufen werden die absehbaren Abschreibungsverluste der Banken sozialisiert – und es werden Risiken von vielen Hunderten von Milliarden Euro von den Gläubigern dieser Banken auf die Steuerzahler in der Euro-Zone übertragen. Die EZB mutiert, wie Jürgen Stark, der ehemalige Chefvolkswirt der EZB feststellt, zur Bad Bank.
Die EZB begründet ihre ABSKäufe mit einer angeblichen Deflationsgefahr. Doch angesichts einer immer noch vorhandenen, wenn auch schwachen Inflation (die Kerninflationsrate liegt bei 0,9 Prozent), wirkt dieses Argument vorgeschoben. Im Übrigen ist die Deflation für Südeuropa keine Gefahr, sondern notwendige Voraussetzung für die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit. Es geht in Wahrheit um eine fiskalische Rettungsmaßnahme, die in den Bereich der Wirtschaftspolitik gehört und der EZB nicht zusteht. Abermals überschreitet die EZB ihr Mandat, das dem Vertrag von Maastricht zufolge auf die Geldpolitik beschränkt ist und wirtschaftspolitische Maßnahmen explizit untersagt. Eine Mandatsüberschreitung hatte das Bundesverfassungsgericht bereits wegen des OMT-Programms konstatiert.
Doch wiederum dürfte die Politik stillhalten und die Mandatsüberschreitung dulden und öffentlich verharmlosen. Wie schon beim OMT-Programm werden die Regierungen der Euro-Zone der EZB sogar dankbar sein, dass sie sich nicht mit ihren knausrigen Parlamenten herumschlagen müssen. Das „whatever it takes“ hätte Mario Draghi nie gewagt, wenn er dafür im Juni 2012 nicht die Rückendeckung der Regierungschefs und speziell von Angela Merkel erhalten hätte. So jedenfalls die Aussage des ehemaligen italienischen Regierungschefs Mario Monti am 18. September 2014 in Rom.
Das Problem ist nur, dass das Verfassungsgericht der Bundesregierung im Februar ausdrücklich verboten hat, Mandatsüberschreitungen tatenlos zuzusehen, geschweige denn sie zu billigen. Sie ist vielmehr verpflichtet, dagegen vorzugehen. Tut sie es nicht, kann sie jeder Bürger vor dem Verfassungsgericht