Presseartikel von Hans-Werner Sinn, Handelsblatt, 20.07.2009, Nr. 136, S. 6
Wer den Klimawandel bremsen will, muss verstehen, wie die Ressourcenanbieter agieren
Die europäische Umweltpolitik setzt auf grünen Strom, um die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen zu reduzieren. Dabei übersieht sie, dass nicht nur die Nachfrage, sondern auch das Angebot dieser Brennstoffe den Kohlendioxidausstoß bestimmt. Letztlich legen die Eigentümer der Ölfelder, Gasfelder und Kohlenminen fest, wie viel Kohlenstoff aus der Erde geholt und in die Luft geblasen wird. Und diese Eigentümer haben in den letzten Jahren auch deshalb solch riesige Mengen an fossilen Brennstoffen gefördert, weil sie der Zerstörung ihres Marktes durch die grüne Politik zuvorkommen wollten, ein Phänomen, das ich das Grüne Paradoxon genannt habe. Nur die rasche Einführung eines weltumspannenden Emissionshandelssystems kann das Grüne Paradoxon wirksam verhindern. Deutsche und europäische Alleingänge sind kontraproduktiv.
Nun hat der deutsche Umweltminister im Handelsblatt erstmals das kollektive Schweigen der Umweltpolitiker gebrochen und auf das Angebot an fossilen Brennstoffen Bezug genommen. Das ist begrüßenswert. Schade ist freilich, dass er die Bedeutung des Angebots mit zwei untauglichen Argumenten herunterzuspielen versucht.
Das erste Argument zieht er aus der Beobachtung, dass die Opec ihr Angebot heute zurückschraubt, weil die Rezession die Nachfrage nach Öl und den Ölpreis reduziert hat. Dies zeige, dass das Angebot von der Nachfrage gesteuert werde, also sorge auch die grüne Politik dafür, dass das Öl im Boden bleibe.
Dieses Argument ist falsch, weil es temporäre mit permanenten Nachfrageeffekten gleichsetzt. Zwar stimmt es, dass eine temporäre Nachfragesenkung mitsamt dem durch sie erzeugten Preisverfall die Anbieter veranlasst, weniger Öl zu fördern und das Öl lieber aufzubewahren, bis sich die Preise wieder erholt haben. Die grüne Politik senkt die Nachfrage nach Öl aber nicht temporär, sondern dauerhaft. Die Preise sind dauerhaft niedriger, als es ohne diese Politik der Fall gewesen wäre. Die Ölscheichs können deshalb nichts gewinnen, wenn sie ihr Angebot aufschieben. Im Gegenteil, wenn sie befürchten müssen, dass die Preissteigerungsrate dauerhaft verringert wird, weil die Politik im Laufe der Zeit immer grüner wird, werden sie ihr Angebot sogar noch vorziehen.
Das zweite Argument lautet, schon bald seien Wind- und Sonnenstrom billiger als Preise und Förderkosten fossiler Brennstoffe, so dass der Ausstieg aus dem Zeitalter der fossilen Energie kurz bevorstehe. Auch dieses Argument ist falsch, denn die Preise fossiler Brennstoffe sind keine Kosten-, sondern Knappheitspreise, die weit über den Förderkosten liegen. In den Golfstaaten betragen die Förderkosten je Fass Öl inklusive Explorationkosten einen bis 1,50 Dollar, also nur ein Vierzigstel bis Sechzigstel des Marktpreises.
Förderkosten haben mit den Marktpreisen so wenig zu tun wie die Preise alter Rembrandts mit dem Lohn des Malers. Im Laufe der Zeit werden die Ölpreise immer weiter steigen, weil das Angebot hinter dem Wirtschaftswachstum zurückbleibt, und zugleich wird sich die Förderung sukzessive auf die schwerer erreichbaren Förderstätten verlagern, was die Förderkosten vergrößert.
Aber dennoch werden die Preise stets meilenweit von den Förderkosten entfernt bleiben. Die Vorstellung, die Förderung durch die grüne Politik der EU drosseln zu können, indem man die Preise schon bald unter die Förderkosten senkt, ist abwegig. Einen solch massiven Preisverfall wird man schon deshalb nicht erzeugen können, weil der Strom die fossilen Kohlenwasserstoffe im Verkehrswesen, vor allem im Luftverkehr, nur schwerlich wird ersetzen können.
Selbst wenn es gelänge, die Preise fossiler Brennstoffe mittels grüner Technologien so zu begrenzen, dass eines Tages die Förderkosten darüber liegen, würde das Grüne Paradoxon nur verstärkt. So wird bereits die Ankündigung von Desertec, 2050 immerhin ein Siebtel des deutschen Stroms bereitzustellen, den Eigentümern der Kohlenminen Beine machen. Unter allen Umständen werden sie versuchen, so viel Kohle wie möglich zu verkaufen, bevor der Sonnenstrom zum echten Konkurrenten für den Kohlestrom wird.
All diese Erwägungen kommen in der deutschen Umweltpolitik nicht vor. Sie basiert auf der falschen Theorie, dass die Nachfrage das Angebot dominiert, und ignoriert die intertemporalen Strategien der Ressourceneigner. Dennoch opfern die Deutschen einen Teil ihres Wohlstands, geben zig Milliarden Euro für die Förderung alternativer Energien aus und glauben, damit den Klimawandel zu verlangsamen, obwohl sie ihn vermutlich beschleunigen.
HANS-WERNER SINN ist Chef des Ifo-Instituts in München.