Hans-Werner Sinn, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität München sowie Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, sprach anlässlich des von Deloitte Nürnberg organisierten Executive Dinner am 1. Juli 2009 über „Kasino-Kapitalismus“. In diesem Rahmen wurde das nachfolgende Gespräch mit Deloitte (Dr. Claus Buhleier) geführt.
Herr Sinn, Sie machen für die aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise den „Kasino-Kapitalismus" verantwortlich. Wo sehen Sie die Ursachen der Krise und was verstehen Sie unter „Kasino-Kapitalismus"?
Ein Grund für die aktuelle Krise, die noch längst nicht ausgestanden ist, liegt in einem institutionellen Schwindel, an dem die amerikanischen Ratingagenturen, die lasche Regulierung der Investmentbanken, das US-Rechtsinstitut der regressfreien Kredite und nicht zuletzt die amerikanische Wohnungspolitik ihren Anteil hatten. Die andere Ursache besteht darin, dass bei den Banken die Haftungsbeschränkung der Kapitalgesellschaft über alle Maßen ausgenutzt wurde. Die Banken machten extrem riskante Geschäfte, sie spielten mit dem Geld ihrer Kunden auf den Weltkapitalmärkten Roulette und besaßen lediglich drei, vier Prozent Eigenkapital im Verhältnis zu ihrer Bilanzsumme. Das ist viel zu wenig. Zwar waren die Banken damit in der Lage, Renditen von 25 bis 40 Prozent zu erwirtschaften. Doch der Preis war ein hohes Verlustrisiko, welches das bisschen Eigenkapital bei Weitem überstieg. Die Erträge der Banken resultierten zum großen Teil aus einem kasinoähnlichen Spiel, bei dem die Gewinne der guten Jahre privatisiert und die Verluste der schlechten Zeiten an externe Gläubiger sowie den Staat sozialisiert wurden. Daher meine Begriffsprägung „Kasino-Kapitalismus".
Wie schätzen Sie die Lage der Banken und das Ausmaß der in den Bankbilanzen noch notwendigen Wertberichtigungen auf zweifelhafte Wertpapiere ein?
Nach meiner Einschätzung wurde erst ein geringer Teil der tatsächlich notwendigen Wertberichtigungen vorgenommen. In den Bilanzen deutscher Banken stehen die strukturierten Papiere zu großen Teilen noch zu wesentlich höheren Werten als den tatsächlichen Marktwerten in den Büchern. Viele deutsche Banken haben derzeit eine zu geringe Eigenkapitaldecke, um die drohenden Wertberichtigungen aufzufangen. Statt aber die Eigenkapitaldecke durch staatliche Hilfe aufzustocken, ziehen es die Banken vor, ihre Bilanzen wieder in Ordnung zu bringen. Sie reduzieren dabei ihre Kreditvolumina und sparen sich auf Kosten der übrigen Wirtschaft gesund. Das Ergebnis ist die aktuell restriktive Kreditvergabe, die sich bis zur Kreditklemme steigern kann.
Wie sehen Sie die Lösungsmöglichkeiten für diese Probleme?
Die von der Regierung eingeschlagene Lösung der Auslagerung von schlechten Wertpapieren auf sogenannte „Bad Banks" zur Bewältigung der aktuellen Bankenkrise sehe ich kritisch. Wenn sie den Steuerzahler, wie behauptet wird, nichts kosten, können sie auch nicht helfen. Und wenn sie, wie ich befürchte, den Steuerzahler doch teuer zu stehen kommen, dann fände ich es besser, der Staat würde Aktien im Ausgleich für die Hilfe erhalten. Der Steuerzahler hat nichts zu verschenken. Die Geheimniskrämerei, die Banken und Staat derzeit betreiben, trägt nicht zur Vertrauensbildung und Wiederherstellung des Interbankenmarktes bei. Es muss alles auf den Tisch. Dann wird man sehen, wie viel Geld die Banken brauchen und wie viele Aktien der Staat dafür gerechterweise erhalten sollte. Nur eine schnelle Rekapitalisierung der Banken gewährleistet, dass dann die Unternehmen genug Kredite bekommen und die Wirtschaft flüssig bleibt. Nach der Krise soll der Staat seine Anteile wieder verkaufen, denn der Staat hat zwar Geld, ist aber ein schlechter Banker.
Welchen Handlungsbedarf sehen Sie mittel- und langfristig?
Mittel- und langfristig sind aus meiner Sicht international harmonisierte, wesentlich höhere Eigenkapitalquoten notwendig. So sollte die Kernkapitalquote der Banken, mit der Kredite und verbriefte Wertpapiere unterlegt werden, von derzeit vier auf acht Prozent erhöht werden. Ergänzend halte ich die Hinwendung zu einer vorsichtigeren Bilanzierung nach dem Vorbild des Niederstwertprinzips des deutschen HGB für notwendig sowie ein Verbot der extrem spekulativen Leerverkäufe. Eingeführt werden müssen auch enge gesetzliche Grenzen für Zweckgesellschaften, Hedgefonds und das Geschäft mit Kreditversicherungen (sog. Credit Default Swaps).
Das Interview führte Dr. Claus Buhleier