Wie Hans-Werner Sinn die Finanzkrise veranschaulicht – Volles Haus bei Vortrag in Osnabrück
Ist Deutschland noch zu retten?“, hat Hans-Werner Sinn schon gefragt und über „Basar-Ökonomie“ geschrieben. Nun ist – passend zur Finanzkrise – „Kasino-Kapitalismus“ sein Thema. Und wieder versteht es der Finanzwissenschaftler, komplizierte Zusammenhänge zu veranschaulichen – zum Beispiel mit einer heißen Kartoffel.
Beim ersten Osnabrücker Wirtschaftsdialog der Neuen Osnabrücker Zeitung und der Universität Osnabrück benutzte der Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung dieses Bild gestern Abend in der überfüllten Aula der Uni, um die Entstehung der aktuellen Finanzkrise zu erklären. Wie heiße Kartoffeln wurden nach seinen Worten Finanzpapiere von einer Bank zur anderen weiterverkauft, um damit verbundene Risiken aufzuteilen und zu übertünchen. Ihm sei von Fällen berichtet worden, in denen solche Papiere bis zu 60-mal neu verbrieft worden seien, sagte Sinn: „Und auf jeder Stufe gab es schöne Gebühren für die Banken.“
Die Risiken aber wurden unüberschaubar, und das hatte nach Einschätzung des Ökonomen durchaus System. „Denn das Zeug, das da verkauft wurde, war nichts wert.“ Weitergereicht wurden zweifelhafte Kreditansprüche gegenüber US-Immobilienkäufern, die Häuser erwerben konnten, ohne große Risiken einzugehen: „Sie erhielten regressfreie Darlehen. Das heißt: Die Banken hatten keinen Anspruch gegen das Privatvermögen des Käufers, sondern nur gegen das Objekt.“ Im Zweifelsfall, etwa bei finanziellen Problemen des Hausbesitzers, lag das Verlustrisiko also bei den Banken. Und diese verkauften die Kreditansprüche deshalb wenn möglich an andere weiter.
Aber auch die Hausbesitzer haben gezockt, so Sinn: „Gemeinsam mit den Banken spekulierten sie auf steigende Immobilienpreise. Und durch Verkäufe oder immer neue Hypotheken finanzierten sie ihren Konsum.“ Das ging so lange gut, bis die Immobilienpreise vom Steig- in den Sinkflug übergingen. „Da platzte der amerikanische Traum vom eigenen Haus für jedermann.“ Eine zweifelhafte Rolle schrieb Hans-Werner Sinn auch den Rating-Agenturen zu, die nicht rechtzeitig vor den heraufziehenden Gefahren gewarnt hätten. Die spektakulär untergegangene US-Investmentbank Lehman Brothers habe eine Woche vor der Pleite noch eine A-Bewertung erhalten, berichtete Sinn und urteilte: „Banken und Rating-Agenturen steckten unter einer Decke.“
International sind nach Zählung von Sinn im vergangenen Jahr 83 Banken verschwunden, „das heißt in Konkurs gegangen, übernommen oder teilverstaatlicht worden“. Die Folgen der Finanzkrise werden nach Einschätzung des Wissenschaftlers noch lange zu spüren sein. „Ein Ende der Krise ist nicht absehbar, dies ist erst ihr Beginn“, meinte Sinn.
Seine Empfehlungen für die Zukunft sind eindeutig. Er fordert, den Banken eine höhere Eigenkapitalquote vorzuschreiben, damit ihr Verlustrisiko wächst „und die Anreize zum Zocken sinken“. Sogenannte Bad Banks zur Auslagerung fauler Papiere hält er für eine „bad idea“ (schlechte Idee). Angeblich würden sie den Steuerzahler nichts kosten. Doch dann könnten sie auch nicht helfen, analysierte Sinn.
Der Staat sollte den Banken seiner Ansicht nach zwar Geld geben, um die Finanzwirtschaft wieder auf Trab zu bringen und eine Kreditklemme für die Realwirtschaft zu vermeiden, muss dafür aber Aktien erhalten. „Wir haben keine Veranlassung, den Banken etwas zu schenken. Das ist nicht in Ordnung. Ehrlicher ist es, der Staat beteiligt sich“, so Sinn unter kräftigem Applaus.