Der Ökonom Hans-Werner Sinn zur Finanzkrise und zu den Rezepten für eine stabilere Zukunft
Gy. Wer auch in Büchern direkte Bezüge zu aktuellen politischen und wirtschaftlichen Themen sucht, wird beim Lesen des kürzlich erschienenen Buches «Kasinokapitalismus» viele Gelegenheiten wahrnehmen können und vielleicht rasch an die Stelle auf Seite 234 mit der Überschrift «Warum der Staat Opel nicht retten darf» springen. Der auch im breiten Publikum bekannte deutsche Ökonom Hans-Werner Sinn, Professor an der Universität München und Direktor des Ifo-Instituts, hat die Finanz- und Wirtschaftskrise vom Ursprung in den USA praktisch bis an den «aktuellen Rand» aufgearbeitet. Die Publikation richtet sich an eine breite Leserschaft, was sich in einer anschaulichen Sprache, dem Schildern von Ereignissen und auch in griffigen Untertiteln wie «Recht auf Lotto: Das Gesetz Clintons», «Die neuen Schuldenkönige», «Müssen wir Italien freikaufen?» oder «Brandschutz im Dschungel» zeigt.
Gegen eine hoheitliche Rettung von Opel
Sinns Meinung zu Opel ist klar und steht in Widerspruch zur jüngsten politischen Entwicklung: Wenn der Staat einzelne Firmen wie Opel rette, verfälsche er den Markttest und verringere er den Wohlstand der Deutschen, denn das entsprechende Geld werde anderen Verwendungen entzogen. Der Staat dürfe sich nicht erpressen lassen, indem Opel die Belegschaft in Geiselhaft nehme; wenn er einmal nachgebe, sei die Büchse der Pandora geöffnet. Ähnlich kritisch ist Sinn gegenüber der Abwrackprämie für Autos.
Vertrauen in den Staat
Diese Passagen aus dem neunten von elf Kapiteln stehen freilich nicht für das ganze Buch. Erstens gilt der grösste Teil der Publikation den Fehlentwicklungen im Finanzsektor, nicht der Realwirtschaft, und zweitens ist Sinn über weite Strecken keineswegs so skeptisch gegenüber staatlichem Handeln. Er traut dem Staat grundsätzlich ziemlich viel zu. Er kritisiert zwar die seinerzeitige amerikanische Politik mit all den Anreizen für Schuldenmachen und aggressive Kreditvergabe, und das siebte Kapitel heisst «Politikversagen», aber im Grunde dominiert da der Vorwurf, die Politik habe den Banken, Immobilienfirmen, Versicherern, Hedge-Funds und andern zu viel Spielraum gelassen. Die Selbstregulierung der Märkte habe versagt, nicht nur bei der Überwachung vieler Akteure wie Investmentbanken, Spezialvehikel oder Hedge-Funds. Über Basel-II-Regeln habe man trickreich Eigenkapital-Anforderungen gedrückt, mit Fair-Value-Bewertungen prozyklische Wirkungen programmiert und die Haftung stark beschränkt, praktisch Kasino-mässig.
Der Wettbewerb zwischen nationalen Regulierungen habe auch nicht funktioniert, weil sich die Länder da auf einen «Laschheitswettbewerb» eingelassen hätten, um ja keine Geschäfte zu verlieren. Sinn spricht sich mit Blick auf Rettungsmassnahmen und Umbau des Finanzsystems denn auch klar für hoheitliche, stark international koordinierte Massnahmen aus. Um die Nachfrage anzuregen, seien kreditfinanzierte staatliche Konjunkturpakete nötig – auch wenn Kapitel 10 über steigende Staatsverschuldung und gefährdete Staaten besorgt formuliert ist. Bei Nachfrageausfällen und übermässiger Neigung zum Horten von Geld, so Sinn, sei eben keynesianische Medizin angebracht. Zudem gebe es den Widerspruch zwischen keynesianischen und neoliberalen Ansätzen nicht mehr, da die Theorie des temporären Gleichgewichts nachfrage- und angebotsseitige Ansätze vereinbar mache.
Eigenkapital-Problem nicht entschärft
Kritisch sieht Sinn die Bad-Bank-Lösung in Deutschland und in den USA, da diese das Eigenkapital-Problem nicht entschärfe; er plädiert eher für Mittelzuschuss und entsprechende Beteiligung des Staates, um die nötige Rekapitalisierung des Bankensystems zu erreichen. Er skizziert eine Art Masterplan und plädiert unter anderem für höhere Eigenkapitalquoten und Risikogewichte, schärfere Überwachung und strengere Regulierung, für neue Bonussysteme oder die Rückkehr zum Niedrigstwertprinzip bei der Bilanzierung.