Hans-Werner Sinn zeigt, wie Zockerei in die Krise führte
Es war einmal ein argloser Ökonom, der in einer britischen Zeitung das Unternehmen X lobte. Am nächsten Tag rief ein Mann an und warnte: Der Wirtschaftsforscher solle gefälligst seine Zunge hüten und nicht ohne Weiteres das Unternehmen X loben, sonst werde es für ihn teuer. Der Anrufer war der Rechtsanwalt eines Hedgefonds. Der Fonds hatte mit einer Versicherung eine Wette darauf abgeschlossen, dass das Unternehmen bald pleitegeht - und die Fondsmanager fürchteten nun, die Wette zu verlieren. Es sind Geschichten wie diese, mit denen Hans-Werner Sinn seine Thesen untermauert. In seinem neuen Buch "Kasino-Kapitalismus" attackiert er die Zockerei in der Finanzbranche und zeigt, wie man künftige Krisen verhindern könnte.
Der Autor: Sinn zählt zu den renommiertesten deutschen Ökonomen. Der 61-jährige Volkswirt ist Professor an der Münchener Ludwig-Maximilians-Universität und Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung. Sinn hat diverse Bücher veröffentlicht.
Der Inhalt: Sinn sieht den Hauptgrund für die Finanzkrise in zu laschen Eigenkapitalvorschriften für Banken und Fonds. Seine Formel ist einfach: "Wer kein Eigenkapital hat, haftet nicht, und wer nicht haftet, zockt." Denn kommt es zu Verlusten, haften die Aktionäre nur mit dem wenigen Kapital, was noch auf den Konten ist. Ist eine Bank sehr wichtig, springt sogar die Regierung ein und übernimmt die Verluste. Laut Sinn zockte die Finanzbranche auf diese Art in einem Glücksspiel, in dem sie praktisch nichts verlieren kann.
Um künftige Krisen zu verhindern, müsse das Haftungsprinzip auch in der Finanzbranche gelten. Der Staat müsse die Banken dazu zwingen, ausreichend Eigenkapital vorzuhalten - im Notfall, indem er sich selbst an den Geldhäusern beteiligt. Um aus dem Tief zu kommen, hält Sinn zudem eine Schuldenpolitik für sinnvoll, sofern sie zeitlich begrenzt und wohldosiert ist. Mehr als das solle der Staat nicht tun: Eine staatliche Rettung von Opel kritisiert Sinn genauso scharf wie die Abwrackprämie.
Wie gut ist dieses Buch? "Kasino-Kapitalismus" ist nicht das erste Buch, das sich mit der Finanzkrise beschäftigt, aber es gehört eindeutig zu den besseren. Der Autor schafft es, die Komplexität der Krise auf einige zentrale Fehlentwicklungen herunterzubrechen, auch wenn seine Vorschläge für mehr Eigenkapitalvorschriften nicht völlig neu sind. Sinns Forderungen werden manchen Leser zunächst erstaunen, denn er gilt eigentlich als Verfechter des freien Marktes. Sinn macht die Spielregeln für die Krise verantwortlich, nicht aber die Spieler und schon gar nicht das Spiel selbst. So geißelt er nicht etwa die horrenden Managergehälter, sondern nur die Fehlanreize des Systems. Damit macht er es sich allerdings ein bisschen einfach.
Von Sebastian Siegloch