Raus aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm, rein in die Talk-Shows: Das ist seine Devise. Hans-Werner Sinn polarisiert wie kein anderer deutscher Ökonom. Nach 17 Jahren an der Spitze des ifo-Instituts geht er nun in Pension. Am Freitag verabschiedeten sich Politik und Wirtschaft.
Hans-Werner Sinn hat heute nicht das Wort. Er ist Thema. Der Professor sitzt in der voll besetzten Aula der Ludwig-Maximilians-Universität neben seiner Frau Gerlinde und lauscht Politikern und Ökonomen, die sein Leben und Schaffen Revue passieren lassen. Der Professor mit dem markanten Bart zählt zu den bekanntesten deutschen Ökonomen. Keine Frage: Für Gewerkschafter und Linke ist er ein rotes Tuch. Für seine Anhänger dagegen Inspiration und Vorbild – „ein kluger Kopf, der Risiken früh erkennt und auch benennt“.
Im Alter von 33 Jahren kam Sinn als Professor nach München, später lehrte er in Stanford und Princeton. Bis heute hat er Generationen junger Volkswirte ausgebildet und geprägt – erst im vergangenen Dezember wurde er dafür (als erster Volkswirt überhaupt) zum „Hochschullehrer des Jahres“ gekürt. 1999 übernahm Sinn die Leitung des Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo). Das bis dahin weitgehend unbekannte Institut erlangte unter seiner Leitung internationales Ansehen. Heute ist der monatlich veröffentlichte ifo-Geschäftsklimaindex der wichtigste Frühindikator für die deutsche Wirtschaft.
Das sei sein Verdienst, betont Bundesbank-Präsident Jens Weidmann in seiner Laudatio. Er lobt den Ökonomen als herausragenden Wissenschaftler, der die politische Debatte über Jahrzehnte mit geprägt habe. Hans-Werner Sinn sei ein Mann, der nicht nur eine Meinung, sondern Überzeugungen habe, so Weidmann. Im Buch „Kaltstart“ (das Sinn gemeinsam mit seiner Frau schrieb) habe er bereits Anfang der 1990er- Jahre richtig vorausgesagt, dass die Lohnerhöhungen in den neuen Bundesländern zu mehr Arbeitslosigkeit führen werden. Später sei er einer der Wegbereiter von Gerhard Schröders Agenda 2010 gewesen. „Und das Rezept hat funktioniert: Die Arbeitslosigkeit sank und die Beschäftigung stieg“, lobt Weidmann. Sinn habe es zudem stets verstanden, akademische Argumente der Öffentlichkeit näher zu bringen. „Nur er schafft es, Themen wie die komplizierte Target-Problematik aufzugreifen und einen Bestseller zu landen.“
Ob Eurokrise, Flüchtlinge oder Mindestlohn: Die Thesen von Hans-Werner Sinn, die er in zahlreichen Büchern begründet hat, sind umstritten. Von ihm stammen Sätze wie „Der Euro war ein historischer Fehler“, „Die Einwanderung ist ein Verlustgeschäft“ oder „Der Mindestlohn ist ein Irrweg.“ Doch kritische Stimmen sind am heutigen Tag kaum zu hören.
Neben dem Bundesbank-Präsidenten stehen 30 weitere Redner auf der Bühne. Dutzende Professoren aus aller Welt sind zu Ehren des scheidenden ifo-Chefs angereist. „Deine Stimme wird heute mehr gebraucht als jemals zuvor – in der akademischen und in der öffentlichen Welt“, geben sie ihm mit auf den Weg. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble ist zu Gast. Er hält einen Vortrag zum Thema „Europa – Zwischen Wunsch und Wirklichkeit“. „Ich bin für wissenschaftlichen Rat immer dankbar“, sagt er mit Blick auf Sinn, um danach zum Rundumschlag auszuholen. Über zehn Stunden dauert das wissenschaftliche Symposium und der anschließende Festakt. Eine würdige Abschiedsfeier für den Großökonomen, der Ende März mit 68 Jahren in den Ruhestand geht.
Anfang April tritt dann Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, Sinns Nachfolge am ifo-Institut an. Sinn hat bereits im Dezember bei seiner Abschiedsvorlesung angekündigt, dass er sich dann aus der Tagespolitik heraushalten will. Nun ja, er wolle es zumindest versuchen. „Ich möchte forschen und Bücher schreiben und mich um mein Privatleben kümmern“, kündigte er kürzlich an. Seine Frau habe sich zum Glück noch nicht scheiden lassen.
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