«Das Grüne Paradoxon» Hans-Werner Sinn, der «Papst des Neoliberalismus», kritisiert die Klimapolitik - und trifft den Nagel auf den Kopf. Man sollte ihn ohne falsche Ängste lesen.
Ende dieses Jahres soll in Kopenhagen das neue Abkommen gegen den Klimawandel verabschiedet werden. Dass das erste solche Abkommen, das Kioto-Protokoll, es nicht schaffen wird, die Emissionen zu senken, ist jetzt schon klar. Das liegt sicher nicht daran, dass nichts geschähe. Es geschieht das Falsche: Statt den Klimawandel zu stoppen, scheinen viele Massnahmen lediglich dazu geeignet, aus der vorgeblichen Bekämpfung des Klimawandels Profit zu schlagen.
Das ist eine der Aussagen, die Hans-Werner Sinn in seinem Buch «Das grüne Paradoxon» macht - und er zeigt mit viel ökonomischer Theorie, weshalb die Klimapolitik versagt. Dass wir Sinn empfehlen, mag erstaunen: Sinn ist einer der knallharten Fürsprecher einer liberalen Wirtschaftsordnung - «Papst des Neoliberalismus» nannte ihn die Onlinezeitschrift «Telepolis», einen «Sado-Monetaristen» das «Magazin». Sinn verglich auch die jüngste Kritik an ÖkonomInnen seiner Schule mit der Judenhetze der Nazis (wofür er sich entschuldigt hat); soziologische Einordnungen und Gedanken über eine gerechtere Gesellschaft findet man bei ihm keine, ist doch aus seiner Sicht der Markt per se gerecht, wenn man ihn denn liesse. Sinn schiesst sich mit Vorliebe auf linke und namentlich grüne Politik ein, er befürwortet AKWs und gilt als klimapolitischer Bremser - sowohl bei Umweltbewegten, die ihn hassen, wie auch etwa bei der NZZ-Wirtschaftsredaktion, die ihm eine ganze Seite widmete, weil er ihre eigene verharmlosende Haltung zu bestätigen scheint.
Aber diese Wahrnehmung ist falsch. Wer wie Sinn über sein Schlusskapitel das Motto setzt «Für Martin Luther als Dank für den Apfelbaum», der weiss, worum es geht: Luthers Apfelbaum war ein Trost gegen den Weltuntergang.
Dass Sinn missverstanden wird, mag nur spiegelbildlich dafür stehen, dass auch er seine GegnerInnen nicht sehr präzis wahrnimmt: Ist doch, was er «grüne Politik» nennt, keineswegs «grün» in parteipolitischem Sinn, sondern Mehrheitsmeinung von Grün bis CDU, von Nicolas Sarkozy bis Barack Obama. Man mag darüber hinweglesen wie auch über seine wirtschaftsliberalen Glaubenssätze samt dazugehöriger Wortwahl, und man mag feststellen, dass Sinn im Kapitel zur Atomkraft seine eigenen Hauptargumente ignoriert - er müsste sonst keine «Stromlücke» befürchten. Doch ungeachtet all dessen findet man interessante Aussagen, die so plausibel und fast schon trivial sind, dass man sich (einmal mehr) die Augen reibt darob, dass das nicht Allgemeingut ist.
Nämlich: Öl, Gas und Kohle, die aus dem Boden geholt werden, werden auch verbrannt. Deshalb muss jede Klimapolitik daran gemessen werden, ob es ihr gelingt, dass weniger davon aus dem Boden geholt wird. Klimapolitik «kann nur versuchen, das Tempo, in dem die fossilen Brennstoffe abgebaut werden, zu beeinflussen (...). Eine andere Wahl hat sie nicht.» Mit anderen Worten: Es geht darum, das Angebot zu verknappen. Aber das Angebot, so Sinn, geht vergessen - in der Politik wie in der Wissenschaft. Alle Massnahmen zielen darauf ab, die Nachfrage zu senken, indem sie zum Beispiel aufwendig die Energieeffizienz zu steigern suchen oder erneuerbare Energien via Einspeisevergütung selbst in Zeiten fördern, in denen der Markt übersättigt ist. Die KlimapolitikerInnen vergessen, dass eine punktuelle Senkung der Nachfrage dazu führt, dass das gesparte Öl trotzdem auf den Markt kommt - und zusätzlich, einfach woanders, verbraucht wird. LobbyistInnen von Sonnen- und Windkraft lesen das nicht gerne.
Für ein Kioto ohne Löcher
Laut Sinn führen Sparanstrengungen in einem Teil der Welt sogar zu einem Mehrverbrauch insgesamt - weil die RessourcenbesitzerInnen aus Angst vor schärferen, die Preise drückenden Massnahmen ihre Ressourcen schneller abbauen, als sie das sonst tun würden. Andere ÖkonomInnen widersprechen ihm zwar mit dem Argument, dass Einsparungen der einen nur teilweise durch den Mehrkonsum der anderen obsolet gemacht würden. Aber seis drum: Die Politik pflegt jegliche Kompensation der Sparanstrengungen zu ignorieren.
Für Sinn gibt es nur einen Weg: ein weltumspannendes Nachfragekartell - also ein Kioto-Abkommen für die ganze Welt und ohne Schlupflöcher, eine faktische Teilenteignung der RessourcenbesitzerInnen durch die Uno. Das sei zwar letztlich «ein Stück Kommunismus», mit all den Risiken von Machtmissbrauch, Schwarzmarktbildung und so weiter - aber, sagt der Neoliberale Sinn: «Es könnte sein, dass der Menschheit nichts anderes übrig bleibt.»
Mehr noch: Als einzige zusätzliche Strategie empfiehlt Sinn eine weltweit koordinierte, an der Quelle zu erfassende Kapitalgewinnsteuer, die es für die RessourcenbesitzerInnen weniger attraktiv macht, ihre Vorräte rasch abzubauen und die Gewinne anzulegen. Als Nebeneffekt würde eine solche Steuer die Steueroasen austrocknen. So was schlägt sonst nur Attac vor.
Von Marcel Hänggi