Umweltökonomik: Hans-Werner Sinn warnt vor einsamen Sonderweg / Mit CO2-Einsparung lässt sich das Klima nicht retten
Hans-Werner Sinn ist nicht der erste Autor, der sich der Widersinnigkeiten und schweren Folgen von politischem CO2-Wahn, geschürter interessengebundener Klimawandel-Hysterie und unsinniger Klimaschutzpolitik in einem Buch annimmt. Doch in der Person des Präsidenten des Ifo-Instituts hat sich erstmals ein namhafter deutscher Wirtschaftswissenschaftler als Buchautor zu diesen Themen zu Wort gemeldet. Merkwürdigerweise allerdings gibt sich auch Sinn dem Glauben hin, die Menschheit könne das Klima „schützen". Auch er nimmt es als gegeben hin, dass der befürchtete Klimawandel eine Erderwärmung und nicht eine Abkühlung bringt und dass menschenverursachtes Kohlendioxid (anthropogenes CO2) als „Treibhausgas" dafür verantwortlich ist.
Doch dieser Haltung mögen Kundigere als Sinn entgegentreten - Meteorologen, Klimatologen, Chemiker, Physiker und andere Naturwissenschaftler. Aber seltsam ist es schon, wenn ein hochintelligenter Wissenschaftler wie Sinn ergeben am politisch korrekten Zeitgeist klebt und Vorstellungen folgt, die auf den Widerspruch von immer mehr Wissenschaftlern stoßen. Man fragt sich, warum das geschieht.
Wenn auch auf dieser brüchigen Glaubensgrundlage stehend, hat Sinns Kritik gleichwohl Hand und Fuß und die nötige Schärfe. Er macht klar, dass grüne Ideologen Deutschland mit Biodiesel, Sonnen- und Windstrom „auf einen einsamen Sonderweg" führen und „dass wir die einzigen sind, die am Atomausstieg festhalten".
Selbst die Schweden, einst Vorreiter gegen die Kernkraft, seien schon zurückgerudert, und auf der ganzen Welt würden im großen Stil Kernkraftwerke gebaut. Deutschland spiele hier Geisterfahrer auf der Autobahn und finde es paradox, dass alle anderen in die falsche Richtung führen. Beim GS-Gipfeltreffen im Juli 2008 in Japan habe Deutschland mit seiner Forderung, die Klimaprobleme durch Windflügel und Solaranlagen zu lösen, mutterseelenallein auf der Bühne gestanden.
Angesichts dieser und anderer Eigenbrötlereien fragt Sinn: „Wissen wir eigentlich, was wir tun? Ist das alles nur blinder Aktionismus zur Befriedigung einer neuen grünen Religiosität?" Was mag sonst dahinterstecken? Diese Frage bleibt offen. Nicht offen bleibt dies: Der Klimaschutz, schreibt Sinn, „drückt durch die horrenden Kosten den Lebensstandard der Deutschen in einem solchen Ausmaß, dass eine nüchterne ökonomische Nutzen-Kosten-Rechnung des Geschehens vonnöten ist, die über die gefühlsbetonte Semantik der öffentlichen Debatte hinausgeht". Anders formuliert: Wenn schon Klimaschutz - ob Irrweg oder nicht, dann bitte ökonomisch sinnvoll.
Der Wert des Buches liegt im wesentlichen darin: Es macht klar, dass die so überaus kostspieligen deutschen Aktionen zum Einsparen von CO2. das "Weltklima kein bisschen retten können. Der mit dem Kyoto-Abkommen installierte internationale Handel mit CO2-Emissionszerrifikaten „lässt jeglichen Effekt der deutschen Förderung grünen Stroms verpuffen, weil das, was wir an fossiler Energie einsparen, statt dessen anderswo konsumiert wird".
Die Zertifikate, die in Deutschland durch CO2-Einsparung mittels Wind- und Solarstrom frei und in andere Länder verkauft werden, erlauben es diesen anderen Ländern, genausoviel zusätzliches CO2 in die Luft zu blasen, wie die deutsche Wirtschaft eingespart hat. Die deutsche Emissionssenkung hilft dem Klima nicht. „Der Nettoeffekt ist für Europa und die Welt null Komma null." Oder noch konkreter: Jeder weitere Windflügel und jede neue Solaranlage „kurbelt im gleichen Umfang, wie hier Strom erzeugt und die Emission von Treibhausgasen vermieden wird, die Produktion entsprechender Treibhausgase im Rest Europas an".
Außerdem fühlen sich die Eigentümer von Öl, Kohle und Erdgas durch immer mehr Umweltschutzpolitik bedroht, weil sie ihnen das künftige Geschäft verdirbt. Daher kommen sie der Bedrohung zuvor und fördern ihre Bodenschätze schneller. Sinns Folgerung: „Statt den Klimawandel zu bremsen, beschleunigen wir ihn. Das ist das grüne Paradoxon, das diesem Buch seinen Titel gab."
Würde die breite Öffentlichkeit von dieser Widersinnigkeit erfahren und die deutschen Politiker zur Umkehr zwingen, würden sich die Befürworter und Subventionsgewinnler von Solar- und Windkraft von diesem Schlag nicht mehr erholen. Und Sinn holt zum nächsten Schlag aus: „Was würde es eigentlich bedeuten, wenn sich Deutschland entschlösse, die Förderung der grünen Energien von heute auf morgen einzustellen?" Dann würden kaum noch Wind- und Solaranlagen gebaut. Dann würde Deutschland wieder ganz auf die konventionellen Kraftwerke zurückgreifen. Dadurch würde keine einzige Ton- ne CO2 zusätzlich in die Luft geblasen, „weil ja für Europa insgesamt nicht mehr Zertifikate da sind".
Trotzdem will Sinn das Klima partout retten, nur anders und sehr theoretisch: mit einem lückenlosen Nachfragekartell für fossile Brennstoffe („Super-Kyoto") oder mit einer Quellensteuer auf diese Rohstoffe, bezogen auf die mit ihnen er- zielten Kapitalerträge. Der Ifo-Chef will damit erreichen, dass die Rohstoffländer den Abbau dieser Rohstoffe hinauszögern statt beschleunigen und somit den Klimawandel verlangsamen. Alles das ist hochkompliziert, hier nicht darstellbar und global politisch ohnehin nicht durchsetzbar. Klimapolitik illusionsfrei? Nein, typisch deutsch: sendungsbesessen, perfektionssüchtig, ziemlich verrückt. Mag sich der interessierte Leser selbst damit herumschlagen. KLAUS PETER KRAUSE