Deutschland: Aufruhr im Basar

Presseecho, Die Presse, 11 Jan 2006, p. 21

Der Ökonom Hans-Werner Sinn treibt deutsche Linke zur Weißglut. Am Mittwoch hält er einen Vortrag in Wien.

VON OLIVER GRIMM

WIEN. Juli 2005, Sondersendung der ARD zum Arbeitsmarkt. Mitten im Bundestagswahlkampf offenbart der frühere SPD-Chef und nunmehrige Proponent der Linkspartei Oskar Lafontaine seine Begabung für verkürzte Argumente und knackige Sager. Deutschland sei doch Exportweltmeister, sagte Lafontaine. Er könne kein Problem Deutschlands mit der Globalisierung erkennen, das in zu hohen Lohnkosten begründet sei.

Eine Aussage, die auch Hans-Werner Sinn, den Leiter des renommierten Münchner Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo, tief beeindruckt hat. Und so beginnt sein aktuelles Buch mit dieser Szene: "Das Argument saß. Es genügte der 30-Sekunden-Logik des Fernsehens", heißt es gleich zu Beginn in "Die Basarökonomie".

Allerdings beschränkt sich Sinns Bewunderung für Lafontaine bloß auf dessen politisches Talent. In der Beurteilung der deutschen Wirtschaftslage stellen Lafontaine und Sinn nämlich die beiden Pole der öffentlichen Debatte dar.

Der frühere deutsche Finanzminister Lafontaine argumentiert, solange die deutschen Exporte so stark stiegen wie in den vergangenen Jahrzehnten, dürften, ja müssten die Löhne der deutschen Industriearbeiter im gleichen Maße steigen. Wenn die Deutschen nach den eher zurückhaltenden Lohnrunden seit Mitte der neunziger Jahre wieder mehr verdienten, würden sie auch mehr konsumieren, was der deutschen Wirtschaft zugute käme.

Dem kann der 57-jährige Sinn, der 1999 die Leitung des Ifo übernahm und es erfolgreich sanierte, nichts abgewinnen. Er stellt ihr seine "Basar-These" entgegen: Die deutschen Löhne seien im globalen Vergleich zu hoch, darum werde in Deutschland wie auf einem Basar zusehends nur mehr endgefertigt, zusammengeschraubt, mit "Made in Germany" etikettiert.

Das sei zwar erfreuliches Zeichen des internationalen Ansehens deutscher Ingenieurskunst - zugleich aber der Grund für die hartnäckig hohe Arbeitslosigkeit. Weil im Export die höchsten Renditen zu erzielen sind, können dort hohe Löhne bezahlt werden. In arbeitsintensiven, weniger gewinnträchtigen Branchen geht das angesichts polnischer oder chinesischer Konkurrenz nicht - und genau dort gingen und gehen die meisten Industriejobs verloren.

Hier setzt Sinns Kritik an: Mindestlöhne und Arbeitslosengeld seien zu hoch und machten es für viele Arbeitslose unattraktiv, sich einen neuen Job zu suchen. Sein Rezept gegen dieses "Aus-dem-Job-subventionieren" ist eigentlich auch eine Subvention - und zwar jene schlecht qualifizierter Jobs. Oder wie er es selbst gewohnt pointiert formuliert: "Jeder muss arbeiten, und sei es zu einem Hungerlohn. Wenn es nicht reicht, gibt der Staat etwas dazu."