Wie viel "Deutschland" steckt in einem Porsche?
Der Ökonom Hans-Werner Sinn behauptet: Wir sind zwar Exportweltmeister, kaufen dafür aber kräftig ein. Stimmt das? Unser Autor hat nachgerechnet.
FERDINAND DUDENHÖFFER
Kräftiges Wachstum, satte Gewinne: Seit Jahren fährt das Unternehmen Porsche auf der Überholspur. Gerne schwimmt Firmenlenker Wendelin Wiedeking dabei gegen den Strom. Während Opel, VW oder Mercedes in Deutschland Beschäftigte abbauen, betont Wiedeking immer wieder, dass er kein Problem mit den deutschen Löhnen habe. Stattdessen stockt Porsche die Belegschaft auf, verzichtet auf Subventionen ("Luxus braucht keine Stütze") und hat sich dennoch zu einer Gewinnmaschine entwickelt: Von 100 Euro Umsatz bleiben 18 Euro Gewinn vor Steuern in der Kasse. Was machen die Stuttgarter besser als Toyota oder BMW?
Mit seinen Modellen Cayenne und Boxster ist es Porsche gelungen, einen großen Umsatz- und Ertragssprung zu machen, ohne Kapazitätsrisiken in Kauf zu nehmen. Denn in Wahrheit werden beide Fahrzeuge zu wesentlichen Teilen von Produktionsdienstleistern im Ausland gebaut. Beim Cayenne fertigt Porsche nach eigenen Angaben noch zwölf Prozent in seinen deutschen Werken, und auch beim Boxster beträgt der Eigenfertigungsanteil weniger als 20 Prozent.
Während der Cayenne nahezu fix und fertig aus dem VW-Werk in Bratislava kommt, dient beim Boxster der finnische Partner Valmet als "atmender" Kapazitätsteil: Sinkt die Nachfrage nach dem Boxster, stehen nicht in Deutschland, sondern bei Valmet in Finnland die Bänder still. So wurden nur 13Prozent aller in den Jahren 2000 bis 2004 hergestellten Boxster in Deutschland produziert. Der große Rest kommt aus Finnland.
Vergleicht man die Fertigung des Cayenne und des Boxster mit anderen Premium-Fahrzeugen, wie der Mercedes-S-Klasse oder dem BMW-7er, ist der bei Porsche zu notierende Deutschlandanteil an der Fertigung sogar sehr gering. Die äußerst hohe Gewinnspanne bei seinen Fahrzeugen resultiert bei Porsche vor allem aus der Nutzung seiner Markenwerte. Der Mehrwert beim Porsche Cayenne besteht also in großen Teilen aus einer Marketingleistung. Das Produkt selbst wird nahezu komplett zugekauft.
Das bedeutet auch: Ein Porsche Cayenne wie Boxster enthält wesentlich weniger deutsche Wertschöpfung als die Mercedes-S-Klasse oder der BMW-7er. Der in Deutschland erzeugte Fertigungskostenanteil differiert bei Porsche enorm von dem anderer Hersteller. Dies zeigt der Vergleich der Werke von Porsche und BMW in Leipzig. Während BMW einen eigenen Karosserierohbau, eine eigene Lackieranlage und eine eigene hochmoderne Komplettmontage betreibt, sind die Stuttgarter lediglich mit einer manufakturorientierten Teilmontage in Leipzig dabei. Das in Bratislava vorgefertigte Fahrzeug wird in Sachsen lediglich in kleinen Teilen "veredelt".
Der Cayenne illustriert eine neue Ausrichtung bei Porsche. Das Unternehmen kauft zunehmend im preisgünstigen Ausland ein, das Fahrzeug wird dort komplettiert und dann in Deutschland "aufgebaut". Die Strategie besteht darin, mit sehr niedrigen Wertschöpfungstiefen und Kapazitätsrisiken gewaltige Renditen - vor allem durch die Nutzung des Markennamens - zu erzielen. Ein sehr stringentes Kosten-Management tut sein Übriges zu der hohen Gewinnmarge dazu. Und das bedeutet konkret: den Einkauf wesentlicher Teile und Komponenten im billigeren Ausland.
Wie hoch aber ist der Auslandsanteil an den Fertigungskosten beim Cayenne nun tatsächlich? Diese Frage lässt sich auch von Porsche selbst nicht exakt beantworten. Der Grund liegt in der international weit verästelten Zulieferpyramide. Die fix und fertig lackierte und innen ausgestattete Cayenne-Rohkarosse wird bei VW in Bratislava gefertigt und zur Komplettierung nach Leipzig transportiert. Zugeliefert werden in Bratislava Pressteile von Magna, Stoff und Leder vom Zulieferer Eissmann, Holzzierteile von Novem, Alu-Zierteile von Erbslöh, Sitze von Johnson Controls, Sitzverstellungen von Brose, Armaturen von Faurecia und so weiter und so fort. Man kommt schnell auf mehr als 30 Zulieferer, die ihrerseits zirka 50Prozent des eingesetzten Materials von Unterlieferanten erhalten. Und natürlich haben auch die Unterlieferanten ihre Werkstoff-Lieferanten.
Ein verschlungenes Gebilde, dass es schier unmöglich macht, jede Bezugquelle nach Inland und Ausland präzise zu unterscheiden. Bei der Berechnung des Deutschland-Anteils beim Cayenne hilft auch die Tatsache nicht weiter, dass ein Großteil der Zulieferer ihren Firmensitz in Deutschland hat. Denn gut die Hälfte der Beschäftigten der deutschen Zulieferer werkeln wiederum im Ausland: Bei Bosch sind es 54 Prozent, bei Continental über 60 Prozent, beim Kühlungsspezialist Behr 61 Prozent und beim Mittelständler Kostal gar 67 Prozent. Ein deutscher Name auf der Zuliefererliste bedeutet also noch lange nicht, dass auch in Deutschland gefertigt wird.
Versuchen wir also, die Frage nach dem Deutschland-Anteil mit einer Beispielrechnung zu beantworten: Ein Porsche Cayenne kostet im Mittel ungefähr 61000 Euro. Nach gängigen Kalkulationsmethoden kann man dabei von Produktionskosten in Höhe von 34000 Euro ausgehen. Da Porsche einen deutschen Fertigungsanteil von zwölf Prozent nennt, kann man also rund 30000 Euro der Cayenne-Produktionskosten dem Werk in Bratislava zurechnen und etwa 4000 Euro dem Werk in Leipzig.
Wie setzt sich nun zum Ersten der Bratislava-Teil von 30000 Euro zusammen? Nach gängiger Praxis entstehen 25 Prozent im VW-Werk in Bratislava und 75 Prozent bei Zulieferern, also 22500 Euro. Unterstellen wir weiter, dass zwei Drittel der in Bratislava verbauten Zulieferteile nicht aus Deutschland kommen. Auch diese Annahme ist realistisch, wenn wir uns die Beschäftigtenzahlen der deutschen Zulieferer vor Augen halten. Die Teile werden stattdessen rund um die Welt zugekauft - etwa Platinen für elektrische Steuerungen in China, Schalter aus Ungarn oder der Ukraine. Als Zwischenergebnis unserer Rechnung erhalten wir dann: Ein Anteil von 22500 Euro des Cayenne-Preises (7500 Euro plus 15000 Euro aus Zulieferungen) wird aus Tätigkeiten außerhalb Deutschlands in Bratislava zugesteuert.
Zum Zweiten bleibt die Porsche-Wertschöpfung in Leipzig zu berücksichtigen. Hier ist zu beachten, dass ein Großteil der Wertschöpfung von 4000 Euro, nämlich 75 Prozent oder 3000 Euro, aus der Motormontage in Zuffenhausen kommt. Davon kauft Porsche in Zuffenhausen zu etwa drei Vierteln Motorkomponenten zu: Steuergerät, Kurbelwelle, Nockenwelle, Kolben, Pleuel, Motorblock - insgesamt: 2250 Euro. Unterstellen wir, dass ein Drittel dieser Zulieferwertschöpfung jenseits deutscher Grenzen erfolgt. Dies entspräche dann 750 Euro in der Beispielrechnung. Damit ergibt sich im Beispiel insgesamt eine Auslandssumme von 23250 Euro. Mit anderen Worten: Gut 68 Prozent des Produktionswertes eines Cayenne entstehen im Ausland.
Fazit: Wendelin Wiedeking hat ein äußerst erfolgreiches System aufgebaut, das mit relativ wenig deutscher Arbeit ein Höchstmaß an Gewinnen erzielt. Eine Meisterleistung in der Kunst des Managements: Das Wiedeking-System verlagert die Kapazitätsrisiken ins Ausland und hält die eigenen Fertigungstiefen niedrig. Das bedeutet aber gleichzeitig: Auch Porsche setzt aufgrund der hohen Kosten hierzulande nur wenig "Deutschland" in der Wertschöpfung ein - auch wenn Porsche-Lenker Wiedeking das noch so vehement bestreitet. Zwei Drittel eines Porsche Cayenne kommen aus dem Ausland. Das Unternehmen bietet sich damit als bestes Beispiel an für die Basarökonomie-These des Ifo-Präsidenten Hans-Werner Sinn: Die Deutschen sind zwar Exportweltmeister, kaufen bei der Produktion aber kräftig dazu.
Unser Autor ist Geschäftsführer des Prognose-Instituts B & D Forecast in Leverkusen sowie Direktor des Center Automotive Research (CAR) an der FH Gelsenkirchen.