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Presseecho, Wirtschaftswoche, 23.12.2011, S. 18

KONJUNKTUR | Der Aufschwung ist vorbei. Die Weltwirtschaft verliert an Fahrt, die Euro-Krise verunsichert Unternehmen und Konsumenten. Folgt nach dem Boom der Absturz in die Rezession?

 

Für die Beschäftigten der BMW-Werke in München und Regensburg fällt das Weihnachtsfest in diesem Jahr besonders kurz aus. Weil sich die Bestellungen der Kunden bei den Händlern stapeln, verkürzt der bayrische Autokonzern die Werksferien auf eine Woche. "Die Nachfrage nach unseren Fahrzeugen ist bis zuletzt gestiegen, von der Euro-Krise spüren wir nichts", heißt es in der Münchner BMW-Zentrale. Die Kapazitäten in den Werken sind zu mehr als 110 Prozent ausgelastet, die Absatzaussichten für die nächsten Monate bestens. Gut laufen die Geschäfte auch bei der Konkurrenz in Stuttgart. Dank satter Auftragsbestände wollen Mercedes und Porsche ihre Bänder über den Jahreswechsel so kurz wie möglich stoppen.

Nicht nur bei den Autoproduzenten, auch im Maschinen- und Anlagenbau sorgen volle Auftragsbücher für gute Laune zum Weihnachtsfest. "Wenn ich im Büro bin, ist der Tag in Ordnung. Das ändert sich erst, wenn ich abends den Fernseher anmache", sagt Hubert Lienhard, Chef des Maschinenbauers Voith aus dem baden-württembergischen Heidenheim mit » »Blick auf die Euro-Krise. Der Anbieter von Papiermaschinen, Gasturbinen und Kupplungen kann nach eigenen Angaben mit seinem hohen Bestand an Aufträgen Maschinen und Mitarbeiter länger als ein Jahr lang auslasten. Lienhard rechnet daher auch für das nächste Geschäftsjahr mit steigenden Umsätzen und Gewinnen.

Euro-Krise, nervöse Finanzmärkte, stotternde Weltkonjunktur - für viele Unternehmen scheint das kein Thema zu sein. In einer Umfrage, die das Münchner ifo Institut exklusiv für die WirtschaftsWoche unter knapp 600 Unternehmen durchgeführt hat, rechnen zwar 76 Prozent der Befragten 2012 mit einem langsameren Wirtschaftswachstum (siehe Seite 25). Doch nur zwölf Prozent fürchten eine Rezession. So hat sich denn auch das Geschäftsklima im Dezember zum zweiten Mal in Folge aufgehellt.

HOHE GEWINNE GENUTZT.

Der Grund für den Optimismus: Die Unternehmen haben sich in den vergangenen Jahren fit gemacht, ihre Kernkompetenzen gestärkt, ihre Produkte verbessert und sich auf die schnell wachsenden Märkte in Schwellenländern wie China und Brasilien fokussiert. Aufträge, Produktion und Beschäftigung sind häufig schon wieder so hoch wie vor der Lehman-Pleite. Die hohen Gewinne haben die Betriebe genutzt, um ihre Finanzen aufzubessern.

Die Frage ist nur: Reicht das, um einen Abschwung der Weltwirtschaft ohne Blessuren zu überstehen? Denn die Signale, dass die Weltkonjunktur rasant an Fahrt verliert, sind unübersehbar. In Europa befinden sich viele Länder in der Rezession, den Schwellenländern geht die Puste aus, in China droht die Immobilienblase zu platzen, und die USA fallen als Lokomotive für die Weltkonjunktur aus. "Der Aufschwung ist vorbei, 2012 wird kein erfreuliches Jahr", sagt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln im WirtschaftsWoche-Streitgespräch (siehe Seite 26). Möglicherweise kommt es noch schlimmer. Vergangene Woche warnte die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, vor einem Absturz in eine Weltwirtschaftskrise wie in den Dreißigerjahren.

Noch hoffen die Betriebe hierzulande, mit ihren hohen Auftragsbeständen den Abschwung zu überbrücken. Doch das könnte sich als Illusion erweisen. "Gehen die Aufträge weiter zurück, wird das unweigerlich auf die Produktion durchschlagen", sagt Olaf Wortmann, Konjunkturexperte beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA). Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, warnt: "Die erfolgsverwöhnte deutsche Wirtschaft wird 2012 nicht immun sein gegen eine Rezession im Euro-Raum."

Wie heftig der Abschwung ausfällt, hängt vor allem von zwei Faktoren ab: Dem weiteren Verlauf der Weltkonjunktur und der Euro-Krise. Mit einem Exportanteil von 50 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist Deutschland wie kaum ein anderes Industrieland abhängig vom Wohl und Wehe seiner Handelspartnerländer. Die Konjunktur steht auf des Messers Schneide.

Seit dem Ausbruch der Finanzkrise haben die USA, Deutschlands wichtigster Exportmarkt außerhalb Europas, ihre Funktion als globale Konjunkturlokomotive verloren. Zwar blieb den Staaten ein Rückfall in die Rezession bisher erspart. Im Jahresschlussquartal könnte die Wirtschaft sogar um ein Prozent gegenüber dem Vorquartal wachsen. Doch das ist in erster Linie auf Sondereffekte zurückzuführen. "Die Konjunktur lebt derzeit von den Lagerinvestitionen und den Autoverkäufen", sagt Harm Bandholz, US-Chefökonom von UniCredit. Die Autohersteller holen nach, was sie wegen der Lieferunterbrechungen infolge des Tsunamis und der Atomkatastrophe in Japan im Frühjahr aufschieben mussten.

Anfang nächsten Jahres, fürchtet Bandholz, werde das US-Wachstum unter die Marke von 0,5 Prozent sacken. Bremsklotz Nummer eins ist die hohe Arbeitslosigkeit. Auch wenn sich der Arbeitsmarkt zuletzt etwas gebessert hat, bleibt er weit hinter der Dynamik in früheren Aufschwüngen zurück. Nach Ansicht von Bart van Ark, Chefökonom des Conference Board, eines von Unternehmen getragenen Forschungsinstituts, hat sich die Arbeitslosigkeit strukturell verfestigt. "Die Baisse am Immobilienmarkt und die Verlagerung industrieller Arbeitsplätze ins Ausland machen vor allem der Mittelschicht zu schaffen, der wichtigsten Stütze für den privaten Konsum", sagt van Ark. Die Zeiten, in denen der US-Konsument der Motor für die globale Konjunktur war, seien "definitiv vorbei".

Die Schulden des Staates, die bald die Marke von 100 Prozent des BIPs überschreiten, bremsen den Konsum zusätzlich. Spätestens nach den Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr muss die Regierung den Rotstift zücken, die Bürger werden dann den Gürtel enger schnallen.

Hoffnungen auf ein baldiges Ende der Baisse am Immobilienmarkt wurden bisher enttäuscht. Das Überangebot an Häusern, das durch Zwangsversteigerungen noch verstärkt wird, drückt weiterhin auf die Preise. Die Bürger fühlen sich ärmer und halten sich beim Konsum zurück. Die Ökonomen des Finanzdienstleisters IHS Global Insight rechnen damit, dass die Häuserpreise um weitere fünf bis zehn Prozent sinken werden. Conference-Board-Ökonom van Ark sagt den USA für 2012 daher ein Wirtschaftswachstum von weniger als zwei Prozent voraus.

CRASH IN ASIEN?

Ob die Schwellenländer die USA als globale Konjunkturlokomotive ersetzen können, ist fraglich. In den vergangenen Jahren haben sie zwar 80 Prozent zum weltweiten Wirtschaftswachstum beigetragen. Wegen der hohen Teuerungsraten haben die Zentralbanken jedoch die Zinsen erhöht. Das bremst nun die Konjunktur.

Vor allem China könnte sich zum Sprengsatz für die Weltwirtschaft entwickeln (siehe Seite 24). Am Immobilienmarkt des Riesenreichs hat sich in den vergangenen Jahren eine gigantische Preisblase entwickelt. Ein Apartment in chinesischen Städten kostet im Schnitt das Acht- bis Zehnfache eines Jahreseinkommens, in Peking und Shanghai ist es sogar das 30-Fache. Zum Vergleich: In den USA erreichten die Immobilienpreise zum Höhepunkt der Blase 2005 gerade mal das 5,1-Fache eines durchschnittlichen Jahreseinkommens.

Jetzt aber scheint die Korrektur nahe. Im November sanken die Häuserpreise in mehr als der Hälfte der 70 größten Städte. "Chinas Immobilienblase platzt", warnt Andy Xie, unabhängiger Ökonom in Shanghai und früher Staranalyst der US-Investmentbank Morgan Stanley. Xie, der die Asienkrise, das Platzen der Dotcom-Blase und der US-Immobilienblase richtig prognostiziert hat, glaubt, dass die Häuserpreise im Reich der Mitte in den nächsten drei Jahren um 50 Prozent einbrechen.

Platzt die Blase, wird das nicht nur China spüren, dessen Wirtschaftsleistung zu 13 Prozent auf Bauinvestitionen beruht. Wegen der globalen Verflechtungen der Bauwirtschaft mit wichtigen Sektoren wie der Rohstoffindustrie droht die gesamte Weltwirtschaft in den Abwärtsstrudel zu geraten. "Chinas Immobiliensektor ist die wichtigste Branche für die gesamte Weltwirtschaft", konstatiert Jonathan Andersen, Ökonom der Schweizer Bank UBS.

Schon eine moderate Wachstumsdelle in China würde Deutschlands Wirtschaft unter Druck bringen, zeigen Berechnungen des Kieler Ökonomen Carsten-Patrick Meier. Der Geschäftsführer des Forschungsinstituts Kiel Economics hat ausgerechnet, dass ein um fünf Prozentpunkte schwächeres Wachstum der Industrieproduktion in China - dies entspricht der Einbuße während der Asienkrise - das Wachstum des deutschen Bruttoinlandsprodukts um 0,5 Prozentpunkte verringert. Bei der ohnehin niedrigen Wachstumsrate von rund 0,5 Prozent, die Experten für 2012 erwarten (siehe Seite 20), würde das reichen, um Deutschland an den Rand der Rezession zu befördern.

Aber auch wenn der Crash in China ausbleibt, muss sich die deutsche Industrie auf schwächere Geschäfte in den Schwellenländern einstellen. Indiens Wirtschaft, die drittgrößte Asiens, wird nach Ansicht von Experten statt wie anvisiert um zehn nur um sechs Prozent wachsen. In Brasilien stagniert die Wirtschaft, wichtige Frühindikatoren sind schon im Rezessionsbereich.

»Eskaliert die Euro-Krise, dürfte es auch für die Schwellenländer faustdick kommen. Die ostasiatischen Schwellenländer stehen bei europäischen Banken mit 430 Milliarden Dollar in der Kreide, das entspricht etwa sechs Prozent ihres BIPs. 70 Prozent der Kredite haben eine kurze Laufzeit und können rasch fällig gestellt werden. Ziehen die europäischen Banken ihr Kapital aus Asien ab, könnte das eine Kreditklemme in der Region auslösen. Dann brächen die Investitionen dort ein - und die Nachfrage nach deutschen Maschinen und Anlagen rutschte in den Keller.

EUROPA IN DER REZESSION.

Für die deutschen Exporteure wäre das bitter, zumal sich ihre Absatzchancen auf den wichtigsten Märkten in Europa eintrüben. Die Wirtschaft in den Krisenländern Portugal, Italien, Irland, Griechenland und Spanien befindet sich auf Talfahrt. Auch in Frankreich und den Niederlanden, den wichtigsten Absatzmärkten in Europa, schrumpft das BIP. Die staatlichen Sparprogramme dürften die Talfahrt beschleunigen. Nach Berechnungen der DekaBank kostet die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte die Euro-Zone im nächsten Jahr 0,6 Prozentpunkte Wachstum. Insgesamt werde die Wirtschaft der Währungsunion daher um 0,4 Prozent schrumpfen.

Es könnte noch schlimmer kommen. Bis Mitte nächsten Jahres müssen die Banken in Europa ihre Eigenkapitalquoten (das Verhältnis von Stammkapital und einbehaltenen Gewinnen zu risikogewichteten Aktiva wie Krediten) auf mindestens neun Prozent anheben. Die Finanzinstitute haben bereits durchblicken lassen, dass sie rund ein Drittel des zusätzlichen Kapitalbedarfs durch den Abbau ihrer Aktiva erwirtschaften wollen. Experten fürchten daher, dass sie ihre Vermögen und Kreditforderungen um rund eine Billion Euro zurückfahren könnten. Eine Kreditklemme wäre dann kaum noch zu verhindern.

Kleinen und mittleren Unternehmen in den Peripherieländern fällt es schon jetzt schwer, an Kredite zu kommen. In einer Umfrage der Europäischen Zentralbank (EZB) klagten fast 50 Prozent der Unternehmen in Griechenland und Spanien über zunehmende Schwierigkeiten, Kredite von den Banken zu bekommen. In Portugal waren es 38, in Irland 35 Prozent. Dagegen beschwerten sich in Deutschland nur 14 Prozent der Betriebe über eine wachsende Zurückhaltung der Banken.

Klemmt es bei den Krediten, spüren das die deutschen Exporteure, die 40 Prozent ihrer Waren in die Euro-Länder liefern, sofort. Im Oktober brachen die Ausfuhren um 3,6 Prozent gegenüber dem Vormonat ein, Hauptgrund war die schwächere Nachfrage aus dem Euro-Raum. Die Ökonomen der Commerzbank erwarten für 2012 nur noch ein Miniplus bei den Exporten von einem Prozent. Angesichts des Wachstums des Welthandels von knapp vier Prozent droht Deutschland damit Weltmarktanteile zu verlieren.

Soll die Konjunktur nicht abschmieren, muss die Inlandsnachfrage die Lücke füllen, die die Exporte reißen. Bisher haben die Unternehmen kräftig in Maschinen und Anlagen investiert. Doch damit dürfte es bald vorbei sein. Zwar bleiben die Zinsen für Unternehmenskredite vorerst niedrig. Die trüben Absatzaussichten im Ausland und die Verunsicherung durch die Euro-Krise legen sich jedoch wie Mehltau auf die Investitionslaune der Firmen. So will ein Viertel der vom ifo Institut befragten Manager ihre Investitionen im nächsten Jahr herunterfahren. Nur 22 Prozent planen, mehr zu investieren als in diesem Jahr. Experten rechnen daher für 2012 nur mit einem Anstieg der Ausrüstungsinvestitionen zwischen null und drei Prozent.

Geringfügig besser sieht es für die Bauinvestitionen aus. Allerdings unterscheidet sich die Lage der einzelnen Sparten deutlich. Gut laufen die Geschäfte nach wie vor im Wohnungsbau. Die niedrigen Zinsen, die steigenden Einkommen sowie die Sorgen um ihre Ersparnisse haben viele Bürger ins Betongold getrieben. Die Umsätze im Wohnungsbau legten 2011 um zwölf Prozent zu. "Der Wohnungsbau bleibt auch im nächsten Jahr die stabilste Sparte", sagt Heiko Stiepelmann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie.

Ungünstiger sieht es für den Wirtschaftsbau aus. Noch verzeichnen die Baufirmen kaum Stornierungen. Doch wenn die Unternehmen weniger in Maschinen und Anlagen investieren, sinkt auch ihr Bedarf an Werks- und Lagerhallen. Rutscht die deutsche Wirtschaft in die Rezession, "werden die Umsätze im Bauhauptgewerbe einbrechen", fürchtet Stiepelmann.

Die Bauaktivitäten des Staates können das nicht auffangen. 2011 legten die Umsätze nur um ein Prozent zu. Im nächsten Jahr dürfte der öffentliche Bau selbst bei günstiger Konjunktur rote Zahlen schreiben. "Bund, Länder und Gemeinden müssen wegen der Schuldenbremse ihre Haushalte konsolidieren, das wird den öffentlichen Bau bremsen", sagt Stiepelmann.

RETTUNGSANKER VERBRAUCH.

Bleiben also nur noch die Verbraucher, die die Konjunktur retten könnten. Zum ersten Mal seit 2006 sind die privaten Konsumausgaben 2011 wieder um mehr als ein Prozent gestiegen. Dank anziehender Beschäftigung und steigender Löhne haben die Bundesbürger netto wieder mehr Geld im Portemonnaie. Da Sparkonten derzeit nur Minizinsen abwerfen, geben die Bürger das Geld lieber beim Shoppen aus.

Viel spricht dafür, dass der Konsum die Konjunktur auch 2012 stützt. Laut ifo-Umfrage wollen 16 Prozent der Unternehmen mehr neue Mitarbeiter einstellen, nur 12 Prozent planen, Personal abzubauen. Die meisten einstellungsbereiten Betriebe (61 Prozent) wollen neuen Mitarbeitern gleich eine unbefristete Stelle anbieten. "Die Unternehmen sichern sich wegen der demografischen Zeitenwende rechtzeitig qualifiziertes Personal", erklärt ifo-Konjunkturchef Kai Carstensen die hohe Einstellungsbereitschaft.

Weil die Arbeitskräfte knapper werden, steigt die Verhandlungsmacht der Gewerkschaften. Die Tariflöhne dürften daher im nächsten Jahr im Schnitt um 2,6 Prozent steigen, schätzen die Ökonomen der Commerzbank. Die Inflation wird dagegen im Gefolge des Abschwungs unter die Marke von zwei Prozent sinken, die Realeinkommen dürften also steigen. Die meisten Experten rechnen daher für 2012 mit einem Konsumplus von rund einem Prozent. Behalten sie recht, könnte das ein Abrutschen in die Rezession verhindern.

WENN DER EURO PLATZT....

Doch die Risiken sind hoch. "Es müssen nur ein, zwei Dinge schieflaufen, dann sind alle Prognosen Makulatur", warnt Roland Döhrn, Konjunkturchef des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen. Vor allem die Entwicklung an den Finanzmärkten könnte den Ökonomen einen Strich durch die Rechnung machen. Im nächsten Jahr müssen die Staaten der Währungsunion brutto knapp 800 Milliarden Euro neue Anleihen emittieren, um alte Papiere abzulösen. Der dickste Brocken entfällt auf Italien. Allein von Januar bis März muss der italienische Finanzminister mehr als 64 Milliarden Euro refinanzieren.

Die Gefahr, dass es dann zu einem Käuferstreik kommt, ist groß. Verliert etwa Frankreich seine Bestnote AAA, würde das zweitstärkste Land der Euro-Zone als erstklassiger Bürge für die Rettungsschirme ausscheiden. Diese wären dann kaum noch aufrechtzuhalten, eine Panik an den Märkten wäre programmiert. "Das Risiko ist real, dass Italien 2012 nicht genügend Käufer für seine Papiere findet und der Zahlungsausfall droht", warnt Commerzbank-Chefökonom Krämer. Ohne Eingriffe der EZB wäre dann der Euro am Ende, die Währungsunion zerbräche, Europas Wirtschaft würde in eine tiefe Rezession stürzen.

Deshalb dürfte die EZB im Ernstfall wohl massiv Italo-Bonds kaufen, glauben die meisten Ökonomen. Doch damit verschafft sie dem Euro nur etwas Zeit. Die niedrigeren Zinsen würden den Spardruck lindern, und die Krisenländer könnten noch mehr Schulden machen. Doch spätestens dann, wenn Deutschland als Bürge für die Krisenländer zur Kasse gebeten wird, dürfte der politische Widerstand den Euro zerreißen. "2012 wird zum Schicksalsjahr", sagt Commerzbanker Krämer. Das gilt nicht nur für die Konjunktur. Auch für den Euro.

CHINA.

Riskanter Kurs.

Nicht nur die Euro-Krise, auch hausgemachte Probleme belasten die Wirtschaft. Die Wachstumslokomotive kommt ins Stottern.

Jedes Jahr im Dezember treffen sich Chinas Parteiführer zu ihrer sogenannten Arbeitskonferenz für die Wirtschaftspolitik. Leitlinien und Prioritäten für die konjunkturelle Entwicklung der folgenden zwölf Monate beschließt die Regierung dort. Selten reagierten die Märkte auf die Ergebnisse des Treffens so enttäuscht wie in diesem Jahr. Nachdem die Herren am Abend des 14. Dezember auseinandergegangen waren, fiel der ShanghaiAktienindex am nächsten Tag um 2,1 Prozent. Die Anleger vermissten vor allem ein klares Zeichen für eine offensive und wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik.

Die meisten Beobachter sind sich einig: die Zeiten der zweistelligen Wachstumsraten sind vorerst vorbei, und das nicht nur im kommenden Jahr. Vermutlich wird sich das Riesenreich auf mehrere Jahre mit deutlich geringerem Wirtschaftswachstum einstellen müssen.

MAGISCHE LINIE.

Für 2012 rechnen die meisten Analysten mit einem Zuwachs des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von etwa acht Prozent. Im ablaufenden Jahr dürfte Chinas Wirtschaft um gut neun Prozent gewachsen sein, 2010 waren es noch mehr als zehn Prozent. Nähert sich die Rate der Acht-Prozent-Marke, bricht in der Parteispitze regelmäßig Nervosität aus. Fällt das Wachstum unter die magische Linie, werden zu wenig Jobs für die neu auf den Arbeitsmarkt drängenden jungen Leute geschaffen, heißt es. Und das könnte für soziale Unruhen sorgen.

Vor allem die Krise in der Euro-Zone hinterlässt in China deutliche Bremsspuren, die schwache Nachfrage aus Europa stürzt Chinas exportorientierte Unternehmen zu Zehntausenden in die Pleite. Das könnte sich 2012 noch verschärfen. Die Analysten der Investmentbank UBS rechnen für das kommende Jahr mit einer Stagnation der Ausfuhren, die bisher ein wesentlicher Stützpfeiler der chinesischen Wirtschaft gewesen sind. Um die Exporteure zu entlasten, dürfte Chinas Zentralbank den Yuan 2012 nur noch geringfügig aufwerten. Außerdem will Peking die Verbrauchsteuern punktuell senken und das soziale Netz ausbauen. Das soll den privaten Konsum ankurbeln und den Einbruch bei den Ausfuhren zumindest zum Teil wettmachen. Die Turbulenzen in Europa haben die ausländischen Direktinvestitionen in China in Mitleidenschaft gezogen. Im November fielen sie um 9,8 Prozent - das erste Minus seit 2009.

Doch die Chinesen bekommen jetzt auch die Rechnung für die Exzesse ihrer Geld- und Fiskalpolitik der Jahre 2009 und 2010. Als Reaktion auf die Finanzkrise hatten Staat und staatliche Banken das Land in einer beispiellosen Offensive mit Geld überschwemmt. Das Ergebnis: Chinas Wirtschaft wuchs weiter kräftig, Unternehmen im Westen freuten sich über volle Auftragsbücher. Viel frisch gedrucktes Geld floss allerdings in unrentable Projekte, zahlreiche Städte und Gemeinden sind nun überschuldet. Bei den Banken dürften die Quoten der faulen Kredite in den nächsten Jahren steigen. Die Geldschwemme hat überdies den ohnehin überhitzten Wohnungsmarkt weiter unter Dampf gesetzt.

WECHSEL IN DER FÜHRUNG.

Der Schwenk hin zu einer deutlich restriktiveren Geld- und Fiskalpolitik war daher unausweichlich, zumal die Inflationsrate zeitweise auf mehr als sechs Prozent in die Höhe geschnellt war. Regierung und Zentralbank können es sich daher kaum erlauben, mit expansiven Maßnahmen auf die dämpfenden Folgen der Euro-Krise zu reagieren. Die Arbeitskonferenz für die Wirtschaftspolitik hat beschlossen, dass es im kommenden Jahr keine durchgreifende Lockerung der restriktiven Politik geben wird. Bei der Inflation erwarten die meisten Analysten für das kommende Jahr denn auch einen weiteren Rückgang. Dies ist wichtig, um für Ruhe im Volk zu sorgen, denn im Herbst 2012 steht der Wechsel in der chinesischen Führung an.

Schwenkten Geld- und Fiskalpolitik auf einen expansiveren Kurs, würde dies die Bilanzen der Banken und die Haushalte der Kommunen weiter belasten. Chinas Führer wissen, dass sie dafür ein - möglicherweise deutlich - schwächeres Wachstum in Kauf nehmen müssen. Risikolos ist der Kurs allerdings nicht. So sind in den vergangenen Wochen erstmals seit Jahren in vielen Städten die Wohnungs- und Häuserpreise gefallen. Viele Immobilienfirmen werfen ihre Objekte nun auf den Markt, auch weil sie keine Kredite mehr bekommen. Sollte sich der Abschwung auf dem Immobilienmarkt verstärken, könnte das böse Folgen haben. Berechnungen von Experten zeigen, dass der Wohnungs- und Häusermarkt insgesamt 20 Prozent zur Wirtschaftsleistung Chinas beiträgt.

Kamp, Matthias
Fischer, Malte