Mehr Exporte, mehr Investitionen, mehr Jobs - die deutsche Wirtschaft wächst wieder. Wird sich der Aufschwung trotz des Mehrwertsteuerschocks und der schwächeren Weltkonjunktur fortsetzen?
Kurz vor dem Weihnachtsfest noch schnell einen funkelnden Brillantring oder ein hübsches Collier für die Liebste kaufen? Das könnte schwierig werden. Jedenfalls dann, wenn es ein Schmuckstück aus dem Hause Wellendorff sein soll. Denn der Pforzheimer Juwelier kann mit seinen 65 Beschäftigten die Nachfrage nach seinen edlen Produkten derzeit kaum noch befriedigen.
»Unsere Kollektion ist für die nächsten Wochen ausverkauft", sagt Christoph Wellendorff, Geschäftsführer des traditionsreichen Familienunternehmens. Vor allem die teuren Schmuckstücke werden ihm von den Kunden aus den Händen gerissen. „Wir spüren derzeit einen so kräftigen Zug in unserem Geschäft wie seit 20 Jahren nicht mehr", freut sich Wellendorff über den neuen Kaufrausch der Deutschen.
Der Schmuckhersteller aus Süddeutschland ist kein Einzelfall. Auch bei Weidenhammer in Hockenheim brummen die Geschäfte. Das mittelständische Unternehmen ist Weltmarktführer bei Produktverpackungen. „Unsere Geschäfte laufen exzellent, besonders die Nachfrage aus dem Inland wächst dynamisch", sagt Geschäftsführer Ralf Weidenhammer. Um die vielen Aufträge abzuarbeiten, hat Weidenhammer in den vergangenen vier Wochen 50 neue Leute eingestellt, ein Plus von fast zehn Prozent „Aber es wird immer schwieriger, geeignete Arbeitskräfte zu finden", stöhnt der Mittelständler. Selbst mit Zeitarbeitsunternehmen lässt sich der Personalbedarf kaum noch befriedigen.
Was für eine Kehrtwende! In Deutschland werden wieder Jobs geschaffen. Die depressive Weltuntergangsstimmung, die das Land in den vergangenen Jahren fest im Griff hielt, ist wie weggeblasen. Die Unternehmen blicken wieder optimistisch in die Zukunft, das Geschäftsklima befindet sich auf einem Allzeithoch, die Aktienkurse erklimmen neue Rekorde, und die Wirtschaft brummt wie lange nicht mehr. Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird in diesem Jahr um mindestens 2,5 Prozent zulegen, fast dreimal so stark wie im Vorjahr. „Deutschland erlebt ein neues Wirtschaftswunder", jubelt die „Bild"-Zeitung.
Selbst die Erhöhung der Mehrwertsteuer Anfang nächsten Jahres kann den Optimismus der Unternehmen nicht erschüttern. In einer exklusiven Umfrage des Münchner Ifo-lnstituts für Wirtschaftsforschung für die WirtschaftsWoche unter knapp 690 Unternehmen aus Industrie, Handel, Bau und Dienstleistungen rechnet die Mehrheit der Befragten damit, dass die Konjunktur nach einer kurzen steuerbedingten Delle im Verlauf des nächsten Jahres wieder an Schwung zulegen wird. Die Firmen wollen daher mehr investieren und neue Mitarbeiter einstellen.
Auf einmal sehen auch die sonst eher skeptischen Ökonomen des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel „gute Chancen auf einen langanhaltenden Aufschwung in Deutschland" und verdoppelten ihre Wachstumsprognose für nächstes Jahr auf über zwei Prozent. „Wir haben die Stärke des Aufschwungs unterschätzt", gibt Bert Rürup, Chef des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, selbstkritisch zu. Vor einem Jahr hatte der Rat für 2006 gerade mal einen BIP-Zuwachs von 1,0 Prozent prognostiziert.
Vor allem unterschätzten die Auguren die Dynamik der Exporte, die infolge des weltweiten Wirtschaftsbooms in diesem Jahr um über elf Prozent gestiegen sein dürften. Dabei punkteten die deutschen Anbieter nicht nur mit traditionellen Stärken wie hoher Produktqualität, Kundenorientierung und Lieferpünktlichkeit Auch bei den Preisen konnten sie dank der massiven Kostensenkungen der vergangenen Jahre ihre Konkurrenten aus anderen Industrieländern meist auf die Plätze verweisen.
So sind die Lohnstückkosten in der Gesamtwirtschaft von 2000 bis 2005 nur um 1,6 Prozent gestiegen, in der Industrie gingen sie sogar um mehr als sieben Prozent zurück. In den wichtigsten Konkurrenzländern Europas dagegen kletterten die Lohnstückkosten kräftig nach oben. In Italien legten sie um 17 Prozent zu, in Großbritannien waren es 15 Prozent und in Frankreich 10 Prozent.
Deutschland konnte daher im abgelaufenen Jahr als einziges Industrieland seinen Anteil am Welthandel ausweiten. So werden sich die deutschen Exporteure 2006 wohl zum vierten Mal in Folge den Titel des Exportweltmeisters holen.
Exportboom läuft aus. Ganz so stürmisch wird es im nächsten Jahr im Außenhandel aber nicht mehr vorangehen. Die Ökonomen der Commerzbank rechnen mit einem Rückgang der Zuwachsrate bei den Ausfuhren von elf auf knapp sieben Prozent. Hauptgrund ist das langsamere Tempo der Weltwirtschaft. Vor allem in den USA zeigt die Konjunktur Ermüdungserscheinungen. Im dritten Quartal legte das reale BIP nur noch um annualisiert 2,2 Prozent gegenüber dem Vorquartal zu. In den ersten drei Monaten dieses Jahres waren es noch 5,6 Prozent gewesen.
Die Zinserhöhungen der amerikanischen Notenbank um insgesamt 4,25 Prozentpunkte seit Mitte 2004 zeigen langsam Wirkung. Vor allem in zinssensiblen Branchen wie der Immobilienwirtschaft und dem Automobilsektor hinterlassen die höheren Finanzierungskosten Bremsspuren. Weil die Amerikaner weniger Häuser kaufen, hat sich der Anstieg der Immobilienpreise merklich abgeschwächt, in einigen Regionen sinken sie sogar.
Aber noch hat die Baisse am Immobilienmarkt nicht auf den privaten Verbrauch durchgeschlagen, auf den immerhin 70 Prozent des amerikanischen BIPs entfallen. „Die gute Beschäftigungs- und Lohndynamik am Arbeitsmarkt kurbelt die Einkommen an und stützt den Konsum - trotz der Abkühlung am Immobilienmarkt", erklärt Rudolf Besch, Ökonom bei der DekaBank.
Doch selbst wenn der amerikanischen Wirtschaft eine weiche Landung gelingt, wird sie ihr bisheriges Wachstumstempo nicht beibehalten können. Die Ökonomen der Investmentbank Goldman Sachs erwarten für 2007 nur noch ein Wirtschaftswachstum von zwei Prozent nach 3,2 Prozent in diesem Jahr. Schaltet die US-Wirtschaft einen Gang zurück, wird das auch der Rest der Welt und damit die exportlastige deutsche Wirtschaft zu spüren bekommen.
Umfrage Wie die Unternehmen für das Jahr 2007 planen
In den deutschen Unternehmen geben die Optimisten wieder den Ton an. Daran kann auch die zum 1. Januar 2007 anstehende Mehrwertsteuererhöhung nichts ändern. In der exklusiv für die Wirtschaftswoche vom Ifo-lnstitut durchgeführten repräsentativen Umfrage geht jedes zweite Unternehmen davon aus, dass die Konjunktur nach einer kurzen Delle Anfang 2007 wieder an Schwung gewinnt. Jedes vierte glaubt sogar, dass die Steuererhöhung keine signifikanten Auswirkungen auf die Konjunktur haben wird. Entsprechend groß ist die Bereitschaft, mehr zu investieren und neue Mitarbeiter einzustellen. Besonders bei den Dienstleistern dürften in den nächsten Monaten zusätzliche Jobs entstehen. 35 Prozent der Betriebe im Servicesektor planen, die Zahl der Beschäftigten auszuweiten. Nur neun Prozent wollen dagegen Mitarbeiter entlassen. Am geringsten ist die Einstellungsbereitschaft im Handel, dort wollen nur 16 Prozent der Unternehmen ihren Personalbestand aufstocken. Offenbar wollen die Händler erst einmal abwarten, wie sich die höhere Mehrwertsteuer auf das Kaufverhalten der Kunden auswirkt. Angesichts der noch immer labilen Konsumkonjunktur fürchten viele Einzelhändler anscheinend, ihren Kunden die höhere Steuer nicht In vollem Umfang in Rechnung stellen zu können. So gaben 39 Prozent der befragten Händler an, die Mehrwertsteuererhöhung teilweise selber zu tragen - so viele wie in keiner anderen Branche. Nur 49 Prozent der Einzelhändler rechnen mit einer vollständigen Überwälzung auf ihre Kundschaft.
Für zusätzliche Unsicherheit sorgt der stärkere Euro. Seit Jahresbeginn hat sich die Gemeinschaftswährung gegenüber den Währungen der wichtigsten Handelspartnerländer real um rund drei Prozent aufgewertet. Experten erwarten, dass der Euro in den nächsten Monaten vor allem gegenüber dem Dollar weiter zulegen wird. Der Grund: Während US-Notenbankchef Ben Bernanke die Leitzinsen bereits 2007 wieder senken dürfte, wird sein Kollege von der Europäischen Zentralbank, Jean- Claude Trichet, die Geldbeschaffungskosten in Euroland wohl weiter nach oben schleusen. Die Aussicht auf steigende Zinsen für kurzfristige Geldanlagen wird den Euro beflügeln. Die Ökonomen des Finanzdienstleisters Global Insight rechnen damit, dass sich der Euro von derzeit 1,31 Dollar bis Ende 2007 auf 1,42 Dollar verteuert.
Die meisten Exporteure haben sich zwar durch Termingeschäfte am Devisenmarkt gegen das Wechselkursrisiko abgesichert. So heißt es beim Sportwagenhersteller Porsche, man sei „zu 100 Prozent gehedgt". Andere Unternehmen wie der Pharma- und Chemiekonzern Altana oder der Chemieriese Bayer schützen sich zusätzlich vor Wechselkursschwankungen, indem sie Produktionsstätten in allen Teilen der Welt unterhalten.
Die direkten Bremseffekte durch den stärkeren Euro dürften sich daher für die deutschen Anbieter in Grenzen halten. Unangenehmer könnten da schon die indirekten Auswirkungen sein, die dadurch entstehen, dass die Aufwertung des Euro die Exporte der europäischen Handelspartner wie Italien, Frankreich und Spanien bremst. Schwächt sich die Konjunktur in diesen Ländern ab, wird das die Absatzchancen der deutschen Exporteure verschlechtern.
Investitionsoffensive. Kühlt sich die Weltwirtschaft nur leicht ab, dürfte der deutsche Konjunkturaufschwung robust genug sein, dem Gegenwind zu trotzen. Denn mittlerweile „haben die Investitionen die Rolle des Konjunkturmotors von den Exporten übernommen", begründet Joachim Scheide, Konjunkturchef des IfW, die Zuversicht der Kieler Ökonomen. Im abgelaufenen Jahr hat die Wirtschaft knapp neun Prozent mehr für neue Maschinen und Anlagen ausgegeben. „Die Rosskur der Unternehmen bei Kostensenkung und Restrukturierung macht sich jetzt bei der Investitionsbereitschaft bezahlt", bestätigt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank.
Nicht nur die steigenden Gewinne und die niedrigen Zinsen am Kapitalmarkt sprechen dafür, dass die Investitionsoffensive weitergeht. Auch die Engpässe bei den Produktionskapazitäten: So hat Verpackungsproduzent Weidenhammer bereits in diesem Jahr zehn Prozent des Umsatzes in neue Maschinen und Anlagen investiert. „2007 wird die Größenordnung ähnlich sein", sagt Weidenhammer. Um die neuen Maschinen rechtzeitig einsetzen zu können, muss Weidenhammer sie jetzt jedoch früher bestellen als noch vor einigen Monaten. „Die Lieferfristen steigen, früher mussten wir nur zwei Wochen auf eine neue Maschine warten, jetzt sind es schon mehr als sechs Wochen", sagt Weidenhammer.
Dass der Nachholbedarf bei Investitionen groß ist, zeigt auch die Wirtschafts-Woche-Umfrage des Ifo-Instituts. So gaben 39 Prozent der Betriebe an, ihre Investitionen im nächsten Jahr aufstocken zu wollen. Als Motive nannten sie vor allem Kapazitätserweiterungen und Ersatzbeschaffungen. Anders als in den Vorjahren spielten Rationalisierungen dagegen nur eine untergeordnete Rolle.
Den Investitionsschub der Industrie spürt auch die Baubranche. Zum ersten Mal seit Jahren haben die Bauinvestitionen im abgelaufenen Jahr wieder zugelegt. Vor allem der Wirtschaftsbau profitierte von den Erweiterungsinvestitionen der Firmen. „Wer seinen Betrieb ausbaut, braucht meist auch neue Hallen, Lager- oder Verwaltungsgebäude", weiß Heiko Stiepelmann, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie (HDB). Auch der Logistikbereich, etwa der Ausbau von Häfen, hat sich zu einer Stütze für den Wirtschaftsbau entwickelt 2006 dürfte der Umsatz hier um über drei Prozent gestiegen sein.
Stiepelmann ist sich sicher, dass der Aufschwung am Bau keine Eintagsfliege ist: „Die Unternehmen investieren wieder in den Standort Deutschland." In den ersten neun Monaten dieses Jahres zogen die Baugenehmigungen für Fabrik-, Lager- und Werkstattgebäude um 30 Prozent an. Für genug Arbeit ist in den nächsten Monaten also gesorgt.
Ungünstiger sieht es dagegen im Wohnungsbau aus, der in diesem Jahr von den Vorzieheffekten aufgrund der Abschaffung der Eigenheimzulage und der Anhebung der Mehrwertsteuer profitiert. Laufen diese Effekte im nächsten Jahr aus, wird sich die Sonderkonjunktur im Wohnungsbau schnell wieder beruhigen. „Wer es sich leisten kann zu bauen, der hat es 2006 getan", zeigt sich Stiepelmann skeptisch.
Von den Kommunen, dem wichtigsten öffentlichen Auftraggeber der Bauindustrie, erhofft sich die Branche dagegen im nächsten Jahr mehr Aufträge. 2006 haben viele Stadtkämmerer trotz sprudelnder Gewerbesteuereinnahmen ihre Haushalte konsolidiert und Schulden abgebaut. Doch weil in den Städten Schulen, Kindergärten und Straßen langsam verrotten, hofft die Baubranche auf Sanierungsaufträge.
Damit dürfte der Bau die Konjunktur nicht mehr wie in den Vorjahren belasten. „Die mehr als zehnjährige Strukturkrise am Bau ist überwunden, es wird nicht weiter nach unten gehen", prophezeit HDB-Ökonom Stiepelmann.
Neuer Kaufrausch? Damit bleibt der Konsum das größte Sorgenkind der Konjunktur. Zwar haben die Bundesbürger im dritten Quartal 0,7 Prozent mehr Geld ausgegeben als im Vorquartal. Doch das dürfte vor allem auf vorgezogene Käufe im Zusammenhang mit der Mehrwertsteuererhöhung zum I.Januar nächsten Jahres zurückzuführen sein. Vor allem teurere Anschaffungen wie Autos, Elektroartikel und Möbel standen auf dem Einkaufszettel der Bürger, sagt Hubertus Pellengahr, Sprecher des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels (HDE). Insgesamt dürfte der private Verbrauch 2006 um ein Prozent zulegen - nach realer Stagnation in den beiden Vorjahren.
Doch schon Anfang nächsten Jahres droht ihm ein Schwächeanfall, Dafür spricht, dass der Löwenanteil der Mehrwertsteuererhöhung wohl beim Kunden landen wird. So planen 61 Prozent der vom Ifo-Institut befragten Unternehmen, ihren Kunden die höhere Steuer vollständig in Rechnung zu stellen. Lediglich 22 Prozent wollen die Steuer selbst tragen, nur sechs -Prozent durch Kostensenkungen kompensieren. Der Einbruch beim Konsum wird die gesamte Wirtschaft in Mitleidenschaft ziehen. „Wegen des schwachen Konsums wird das reale Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2007 schrumpfen", unkt Commerzbank-Chefökonom Krämer. Schließlich greift der Staat den Bürgern nicht nur mit der höheren Mehrwertsteuer ins Portemonnaie. Die schwarz-rote Bundesregierung hat zudem die Versicherungsteuer erhöht, die Pendlerpauschale reduziert, den Sparerfreibetrag fast halbiert. Dazu kommt die Anhebung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung und die Erhöhung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung. Im Gegenzug sinkt zwar der Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung um 2,3 Prozentpunkte. Per saldo entzieht die Regierung den Bürgern 2007 aber rund 15 Milliarden Euro Kaufkraft, das entspricht einem Prozent des verfügbaren Einkommens.
Wenn der Konsum im Verlauf des nächsten Jahres gleichwohl wieder zunehmen wird, ist das vor allem der besseren Lage auf dem Arbeitsmarkt und der größeren Zuversicht der Verbraucher zu verdanken. Von Januar bis September schufen die Unternehmen 341 000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Jobs, die Zahl der Arbeitslosen sank um mehr als 470 000. Die Einstellungsoffensive der Unternehmen dürfte sich in den nächsten Monaten fortsetzen. So gaben 29 Prozent der vom Ifo-Institut befragten Unternehmen an, sie planten neue Mitarbeiter einzustellen. Nur noch 10 Prozent wollen Stellen abbauen.
Viele Betriebe trauen aber dem Aufschwung noch nicht so recht über den Weg. Statt sich langfristig an Mitarbeiter zu binden, weichen sie auf befristete Arbeitsverträge und Zeitarbeiter aus. Auch Verpackungsunternehmer Weidenhammer zieht es vor, neue Mitarbeiter zunächst befristet einzustellen. „Das gibt uns eine größere Flexibilität beim Personaleinsatz" erklärt er. Nach Berechnungen der Deutschen Bank Global Markets beruht die Zunahme der sozialversicherungspflichtigen Stellen in Deutschland zu 70 Pro- zent auf Zeitarbeitsverhältnissen und befristeten Jobs.
Diese hohe Zahl prekärer Beschäftigungsverhältnisse verbessert zwar die Flexibilität am Arbeitsmarkt, „mindert jedoch die Stabilität des Aufschwungs", gibt Thomas Mayer, Euroland-Chefvolkswirt der Deutschen Bank Global Markets, zu bedenken. Dreht der Wind von der Weltkonjunktur, dürfte das Beschäftigungswunder schnell vorbei sein.
Konjunkturrisiken. Vor allem die Immobilienbaisse in den USA könnte sich in den nächsten Monaten zuspitzen. Der Chefvolkswirt der Investmentbank Morgan Stanley, Stephen Roach, geht davon aus, dass „die Krise dort gerade erst begonnen hat". Gehen die Häuserpreise auf Talfahrt, dürften die Bürger wegen des Vermögensverlustes ihren Konsum einschränken und mehr Geld auf die hohe Kante legen. Der private Konsum, wichtigster Motor der US-Konjunktur, würde einbrechen und die gesamte US-Wirtschaft nach unten ziehen. Roach taxiert das Risiko einer US-Rezession daher auf 45 Prozent.
Davon wird sich der Rest der Weltwirtschaft nicht abkoppeln können. Denn mit einem Anteil von knapp 28 Prozent ist der Anteil der USA an der globalen Produktion fast dreimal so hoch wie der der vier größten Schwellenländer China, Indien, Russland und Brasilien zusammen. Hinzu kommt, dass die chinesische Wirtschaft, Asiens wichtigstes Kraftzentrum, 35 Prozent ihres BIPs durch Exporte erwirtschaftet, die zum großen Teil in die USA gehen. „Weil andere Länder Asiens wiederum stark von der Nachfrage Chinas abhängen, wirkt sich ein Konjunkturabschwung in den USA über die gesamte globale Lieferkette negativ aus", warnt Roach.
Der Einbruch bliebe nicht auf die USA und Asien beschränkt. „Über Ex- und Importe sind alle Industrie- und Schwellenländer eng mit dem von den USA ausgehenden globalen Zyklus verbunden", erklärt Jan Amrit Poser, Chefvolkswirt des Bankhauses Sarasin. Und weil die Unternehmen weltweit Produktionsstandorte unterhalten, wirken sich ihre Restrukturierungsprogramme auch weltweit aus. „Die nationalen Investitionszyklen sind dadurch synchron geworden", sagt Poser. Eine harte Landung der US-Konjunktur dürfte also die gesamte Weltwirtschaft in Mitleidenschaft ziehen - und das Aus für den Aufschwung in Deutschland bedeuten.
Deutsche-Bank-Ökonom Thomas Mayer hält denn auch Prognosen von zwei Prozent und mehr für das kommende Jahr für „viel zu rosig". Solche Fehlprognosen sind nach Mayers Erfahrung Ergebnis davon, „dass die Prognostiker die aktuelle Lage einfach in die Zukunft extrapolieren". Dieses Risiko besteht auch beim Ö1preis. Kaum hat sich der Preis für das schwarze Gold von über 78 Dollar im August auf gut 60 Dollar zurückgebildet, schreiben die meisten Ökonomen dieses Niveau in ihren Prognosen für die nächsten Monate fort (siehe Kasten Seite 28). Dabei könnten geopolitische Schocks wie ein Terroranschlag auf eine Ölpipeline oder die erneute Zuspitzung des Atomkonflikts mit dem Iran den Ölpreis rasch wieder auf neue Rekordstände treiben. Die vom Ifo- Institut befragten Unternehmen sehen in steigenden Olpreisen denn auch das zweitgrößte Risiko für die Konjunktur.
Gefahren für den Aufschwung lauern auch im Inland. Vor allem die im nächsten Frühjahr anstehende Lohnrunde der IG Metall macht den Unternehmen Sorge. Nach Jahren mit moderaten Lohnabschlüssen und angesichts der rasanten Gewinnzuwächse stehen die Gewerkschaften unter Druck, für ihre Mitglieder deutlich mehr herauszuholen. Sollten die Lohnabschlüsse weit über dem beschäftigungsneutralen Verteilungsspielraum liegen, den der Wirtschaftsweise Rürup auf drei Prozent taxiert, könnte der Wettbewerbsvorsprung der Unternehmen jedoch schnell verspielt sein. In überhöhten Lohnabschlüssen sehen die vom Ifo-Institut befragten Unternehmen denn auch das größte Konjunkturrisiko. Steigen die Lohnkosten zu kräftig, würden die Unternehmen darauf wieder mit Rationalisierung reagieren. Entlassungen, Standortverlagerungen und vermehrtes Outsourcing wären die Folgen, der private Verbrauch würde sich nicht erholen. Die Chance auf einen langanhaltenden Aufschwung wäre verspielt.
So weit muss es nicht kommen. Beweisen die Gewerkschaften lohnpolitische Vernunft und beschäftigungspolitische Verantwortung, könnte sich der Beschäftigungsaufbau weit über das nächste Jahr hinaus fortsetzen. Dann wäre es möglich, die Sockelarbeitslosigkeit zu senken und auch den Problemfällen auf dem Arbeitsmarkt, den Langzeitarbeitslosen und gering Qualifizierten, wieder eine Perspektive zu bieten.
Von der Politik kommen da eher falsche Signale. Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Franz Müntefering („Es ist Zeit, die Spirale wieder nach oben zu drehen") heizen mit ihren Bemerkungen noch die Stimmung bei den Gewerkschaften an. „Statt mit solchen Appellen zu einem baldigen Ende des Aufschwungs beizutragen, sollte die Regierung lieber den Arbeitsmarkt weiter liberalisieren und die Anreize zur Aufnahme einer Arbeit stärken", kritisieren die Ökonomen des IfW.
Zu Recht. Mehr Beschäftigung ist der Königsweg, um die Binnennachfrage zu kräftigen und das langfristige Trendwachstum der deutschen Wirtschaft zu erhöhen, das Experten zufolge derzeit bei gerade mal 1,5 Prozent liegt. Erst wenn es gelingt, das Produktionspotenzial zu steigern, haben wir auch die Chance, dass die Wirtschaft im Aufschwung wieder mit Raten von über drei Prozent wächst - und müssen uns nicht mehr hinter anderen Ländern verstecken. Noch Fragen? malte.fischer@wiwo.de