Im mitteldeutschen Musterländle werden jetzt die Früchte harter Arbeit der vergangenen Jahre geerntet
Die anhaltend guten deutschen Konjunkturnachrichten konnten Anfang Februar eigentlich nur noch durch eine Meldung aus Sachsen übertroffen werden: Schon die Prognosen ließen für 2006 ein Spitzenwachstum im Freistaat erwarten. Mit vier Prozent lag es dann noch einen halben Punkt darüber und vor allem weit vor allen anderen Bundesländern, ob in Ost oder West. Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) sprach prompt von einer „großartigen Nachricht". Wirtschaftsminister Thomas Jurk dachte als Sozialdemokrat zuerst an die parallel gesunkene Arbeitslosigkeit und freute sich „für jeden einzelnen in Sachsen, der wieder in Lohn und Brot kommt". Zuvor war im Dezember der neue Doppelhaushalt für die Jahre 2007/08 verabschiedet worden, der dank gestiegener Steuereinnahmen erstmals ohne Neuverschuldung auskommt.
Fast zeitgleich unterlegten die Berichte des Dresdner ifo-Instituts und der Industrie- und Handelskammern im Freistaat die erfreuliche Entwicklung im Detail. Es überrascht nicht, dass das verarbeitende Gewerbe erneut Hauptmotor der wirtschaftlichen Entwicklung in Sachsen ist. Die Bruttowertschöpfung stieg hier sogar um 13,6 Prozent. Das ist nicht nur der Spitzenwert in Deutschland, sondern mehr als das Doppelte des Bundesdurchschnitts von 5,3 Prozent. Zu diesem Rekord trägt wesentlich der Fahrzeugbau mit einer sagenhaften Zuwachsrate von 27,9 Prozent bei.
Sachsen darf sich getrost wieder „Autoland" nennen. VW knüpft in Zwickau-Mosel an die regionalen Traditionen von Horch und Sachsenring an. Spektakulären Charakter trugen die Großansiedlungen von BMW und Porsche in Leipzig und die Gläserne Manufaktur von VW in Dresden. Die Arbeitsplätze sind hochproduktiv, die Umsätze erreichen den Spitzenwert von 400 000 Euro pro Beschäftigten. Einschließlich der Zulieferer bietet die Branche bis zu 65 000 Arbeitsplätze.
Überdurchschnittliche Zuwachsraten verzeichnete auch die Produktion von Gummi- und Kunststoffwaren mit 24,7 Prozent und von chemischen Erzeugnissen mit 19,2 Prozent. Mehr als die Hälfte der Industriefirmen bezeichnet die. eigene Geschäftslage als gut. Das gilt auch für die Erwartungen an das laufende Jahr 2007. Insgesamt zeigte die jüngste IHK-Konjunkturumfrage ein so gutes Klima wie seit 1990 nicht mehr. Wie im übrigen Bundesgebiet auch ist die hohe Wachstumsdynamik der sächsischen Industrie eng mit den Exporterfolgen verknüpft. Die Exportquote betrug im Vorjahr 34 Prozent, fast die Hälfte der sächsischen Industriebetriebe ist im Auslandsgeschäft tätig.
Die solide Finanzpolitik sorgte stets für eine geringe Verschuldung
„Wir ernten jetzt die Früchte der Arbeit vergangener Jahre", freute sich Ministerpräsident Milbradt. Wenn er in dieser Weise Genugtuung äußert, klopft er sich auch ein bisschen selbst auf die Schulter. Seit mehr als 16 Jahren trägt er in Sachsen Regierungsverantwortung. Er hat als Finanzminister die Wirtschaftspolitik des Freistaates mitgeprägt. Die Saat, die nun aufzugehen beginnt, setzte auf „Leuchttürme" der Schlüsselindustrien wie die Halbleitergiganten Infineon und AMD in Dresden. Das spezielle Forderengagement für Hochtechnologien umfasst auch die im Jahr 2000 gestartete Biotechnologie-Offensive, die in Leipzig und Dresden binnen kürzester Frist Erfolge zeitigte. Diese Strategie entspricht einem Akademikerland wie Sachsen, dessen maßgebliche Ressource das Wissen seiner Bürger ist.
Die erforderlichen Förderspielräume für Investitionsanreize hat sich Sachsen selbst erarbeitet. Milbradts solide Finanzpolitik sorgte für geringe Verschuldung und stets überdurchschnittliche Investitionsquoten im Landeshaushalt. Hinzu kam ein schneller Ausbau der Infrastruktur. Über eine regionale Differenzierung der Fördersätze im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe gab es allerdings im Januar dieses Jahres in der CDU-SPD-Koalition eine handfeste Auseinandersetzung. Obschon weder die Ausstrahlung der „Leuchttürme" noch bevorzugte Förderung strukturschwachen Gebieten in Sachsen durchgreifend aufgeholfen haben, verlangten auch zwei CDU-Minister weiterhin erhöhte Fördersätze für den ländlichen Raum. Wirtschaftsminister Jurk setzte sich schließlich unter Verweis auf die Wettbewerbsfähigkeit der Städte mit einheitlichen Maximalsätzen von 30 Prozent gemäß EU-Leitlinie durch. Nur für Leipzig wurde die Förderquote auf 26 und für Dresden auf 23 Prozent limitiert. Mit Blick auf Großansiedlungen eigentlich ein müßiger Streit, weil hier stets Ausnahmekonditionen galten.
Nach wie vor unentschieden hingegen sind die Meinungsverschiedenheiten um die Energiepolitik, die den Koalitionsausschuss zu seiner bislang längsten Krisensitzung zwangen. Der SPD-Wirtschaftsminister hatte im Februar eigenständig ein weitreichendes Konzept vorgelegt, das auf erneuerbare Energien setzt. Insbesondere CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer unterstellte Jurk daraufhin, die SPD wolle den „ausgewogenen Energiemix aushebeln", bei dem in Sachsen weiterhin die Braunkohle dominiert. Im Zuge der Klimadiskussion und der EU-Auflagen könnte Sachsen noch unter Zugzwang geraten und die gleichfalls ererbte Braunkohleverstromung zu einer historischen Last werden.
Auf zwei weitere Herausforderungen machten trotz der hervorragenden augenblicklichen Lage die IHKs aufmerksam. Der Fachkräftemangel könnte sich noch in diesem Jahrzehnt zu einem gravierenden Problem ausweiten. Michael Lohse von der IHK Südwestsachen spricht von einer „Ressourcenverschwendung in allen Bildungsstufen", die die Unternehmen durch eigene Nachschulungen nicht ausgleichen könnten. Auch die Eigenkapitalausstattung der Klein- und Mittelständler sei ein Problem. Das Wirtschaftsministerium sieht aber eine positive Tendenz: Nur noch jedes fünfte KMU gilt als unterkapitalisiert.
Gemessen werden alle sächsischen Wirtschaftserfolge letztlich an der Frage, ob sie die schwindenden Transfers aus dem Solidarpakt im kommenden Jahrzehnt ausgleichen können - Sachsen mithin auf eigenen Füßen stehen wird.