Das Handelsblatt VWL-Forschungsranking legt ein gewaltiges Leistungsgefälle zwischen Unis offen
OLAF STORBECK | DÜSSELDORF Blümlialpstraße 10 in 8006 Zürich - das ist die beste Adresse für ökonomische Forschung im deutschsprachigen Raum. Hier, in einem nüchternen Betonbau mit dem Charme der frühen siebziger Jahre, arbeiten zwei der produktivsten Volkswirte fast Tür an Tür: Bruno Frey und Ernst Fehr. Zusammen kommen die Professoren der Universität Zürich auf mehr Veröffentlichungen in internationalen Fachzeitschriften als das gesamte VWL-Personal der Uni Köln, der größten deutschen Fakultät für Wirtschaftswissenschaften.
Das sind Ergebnisse einer umfassenden Handelsblatt-Studie zur Forschungsleistung der Volkswirte in Deutschland, Österreich und der deutschsprachigen Schweiz. Für die Untersuchung analysierte das Handelsblatt die Literaturverzeichnisse von mehr als 850 Forschern an gut 90 Unis und Instituten. Die Methodik folgt international etablierten Standards zur Evaluierung ökonomischer Forschung. Gezählt wurden Aufsätze in den 182 wichtigsten internationalen Fachzeitschriften. Die Qualität der Journale wurde anhand von zwei europäischen Studien bewertet.
Ähnliche Kriterien legen moderne VWL-Fakultäten bei der Berufung neuer Professoren an. "Wer heute als Volkswirt wissenschaftlich Karriere machen will, sollte zeigen, dass er mit seinen Papieren in anerkannte Fachzeitschriften kommt", sagt Hans Peter Grüner, Ökonomie-Professor in Mannheim.
In Deutschland bildet sich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft der Fakultäten heraus. Zum einen gibt es eine kleine Spitzengruppe von Top-Fakultäten, die international konkurrenzfähig sind und die besten Nachwuchswissenschaftler des Landes an sich binden. Dieser Elite steht eine große Gruppe von rund 50 Fakultäten gegenüber, die nicht ansatzweise den Anschluss an internationale Wissenschaftsstandards gefunden hat.
Dieses Ergebnis ist brisant. Denn die Forschung ist neben der Lehre die Hauptaufgabe der Hochschulen - doch viele VWL-Professoren vernachlässigen sie offenbar. Nur knapp ein Dutzend Fakultäten bringen es pro Professor und Jahr auf mindestens einen Aufsatz in einer Zeitschrift der niedrigsten in der Handelsblatt-Studie noch berücksichtigten Qualitätsstufe. Ein Viertel aller deutschen Professoren hat während ihrer gesamten Karriere nicht ein einziges Mal einen Aufsatz in einer dieser Zeitschriften veröffentlicht.
"Es steht nicht gut um die internationale Präsenz von Forschern in Deutschland", sagte Jacques Drèze, Grandseigneur der europäischen Wirtschaftswissenschaft, im August auf der Jahrestagung der European Economic Association (EEA) in Wien. Der 77-jährige Belgier betonte aber auch: "An mehreren deutschen Universitäten gibt es Fortschritte."
Tatsächlich zeigt das Handelsblatt-Ranking: Die Zeiten, in denen die Bonner Volkswirte in Sachen Forschung in Deutschland unangefochtene Marktführer waren, sind Geschichte. Die Rheinländer haben Konkurrenz bekommen - von ihren Kollegen aus Mannheim und München. Wie in Bonn betreiben die Professoren der dortigen VWL-Fakultäten in der Breite Forschung auf internationalem Niveau.
Andere große Fakultäten wie Frankfurt und Köln sind auf gutem Wege, in absehbarer Zeit ebenfalls zur Spitzengruppe zu gehören - beide Unis haben ihre Forschungsleistung in den letzten Jahren deutlich gesteigert. Die beiden großen Berliner Unis, die unter starker Geldnot leiden, müssen dagegen kämpfen, um den Anschluss an die Spitzengruppe nicht zu verlieren.
Der wissenschaftlichen "Champions League" steht eine Gruppe von rund 50 Unis gegenüber, die nicht über die Kreisklasse hinauskommen. Ihre Professoren arbeiten von einzelnen Ausnahmen abgesehen nicht auf internationalem Niveau.
Das Qualitätsgefälle zwischen den beiden Gruppen ist gewaltig. So haben die drei forschungsstärksten deutschen Professoren der vergangenen fünf Jahre - Peter Egger aus München, Patrick Schmitz aus Köln und Kai Konrad von der FU Berlin - in dieser Zeit zusammen so viel publiziert wie fast dreißig der schwächsten Fakultäten mit rund 150 Professoren.
In Zukunft dürfte sich das Qualitätsgefälle weiter vergrößern - schließlich gehen viel versprechende junge Forscher gezielt zu den besten Unis mit guten Doktorandenprogrammen. Würden die Doktoranden und Assistenten der Uni Bonn eine eigene Fakultät bilden, läge diese im Uni-Ranking auf Platz 28 - knapp hinter Aachen, aber deutlich vor Freiburg und Münster.
Zwischen der Elitegruppe und den forschungsschwachen Unis gibt es nur ein kleines Mittelfeld von etwa zehn Hochschulen. Diese können in Relation zu ihrer Größe respektable Forschungsleistungen vorweisen - dazu gehören Heidelberg, Kiel, Bielefeld und Dortmund.
Die Gründe für die Qualitätsprobleme der deutschen VWL sind vielschichtig. Viele Fachbereiche sind schlichtweg zu klein - mit oft nur einem halben Dutzend Professoren fehlt ihnen die kritische Masse.
"Das Versäumnis liegt nicht bei den Fakultäten, sondern klar bei der Politik", sagt der Züricher Ökonomie-Professor Christian Ewerhart, der bis Ende 2003 in Bonn tätig war. "Sie zwingt die deutschen VWL-Fakultäten wie einen unterfinanzierten Fußballverein in eine Verliererrolle im internationalen Wettbewerb um die besten Talente."
Eine systematische Graduiertenausbildung ist an deutschen Unis nach wie vor eher die Ausnahme als die Regel. Traditionell promovieren Volkswirte an einem Lehrstuhl unter der Obhut eines Professors. Wer Pech hat und an einen schwachen Forscher gerät, wird nicht an internationale Standards herangeführt und landet schnell in der Sackgasse. Denn nach Hauptstudium und Diplomarbeit verfügen junge Volkswirte noch nicht über das methodische Handwerkszeug, das für moderne ökonomische Forschung erforderlich ist.
Die Bonner Volkswirte waren die Ersten, die schon 1977 ein Doktorandenprogramm nach US-Vorbild einführten. Inzwischen ziehen immer mehr Fakultäten nach - doch anspruchsvolle Spezialkurse ausschließlich für Doktoranden scheitern oft an knappen Universitätsbudgets.
Die akademische Selbstverwaltung an den Unis bremst deutsche Forscher zusätzlich - statt sich vollständig auf Forschung und Lehre konzentrieren zu können, müssen sie sich auch um die Uni-Administration kümmern. "Die interne Hochschulbürokratie ist in Deutschland wirklich enorm belastend", sagt der Züricher Top-Ökonom Bruno Frey, der sieben Jahre in Konstanz lehrte. Hinzu kommen die starren und im internationalen Vergleich hohen Lehrverpflichtungen - unabhängig davon, ob er ein guter oder schlechter Forscher ist, muss jeder deutsche Professor pro Semester jede Woche acht bis neun Stunden Vorlesungen und Seminare halten. In den USA sind die Lehrverpflichtungen oft nur halb so groß - und wer viel und prominent veröffentlicht, muss seltener in den Hörsaal.
Neben all diesen strukturellen Problemen spiegelt sich in der schlechten internationalen Forschungsleistung der deutschen Volkswirtschaftslehre auch ein Sonderweg, den die Disziplin in Deutschland bis in die späten achtziger Jahre gegangen ist.
Moderne ökonometrische Methoden waren vielerorts verpönt, ebenso empirische Forschungsfragen. Der Arbeitsmarkt für Nachwuchsprofessoren glich einem Kartell, das von einflussreichen Professoren in Hinterzimmern gesteuert wurde - gute Beziehungen und der richtige Leumund waren für die akademische Karriere oft wichtiger als die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit.
Die Forschungsergebnisse wurden in aller Regel auf Deutsch in Monografien und Sammelbänden veröffentlicht - und unterlagen kaum einer Qualitätskontrolle. Bei Fachzeitschriften ist dagegen ein hartes Gutachter-Verfahren üblich. Zwei Fachleute, die den Namen des Verfassers nicht kennen und selbst anonym bleiben, beurteilen die Qualität einer eingereichten Arbeit. Die Selektion ist hart - gute Journale lehnen mehr als 90 Prozent der Arbeiten ab. Hans Peter Grüner aus Mannheim betont: "Der doppelblinde Gutachterprozess bei Fachzeitschriften ist insgesamt ein gutes Instrument zur Qualitätssicherung, das bei Sammelbänden leider meist nicht genutzt wird."
Viele etablierte deutsche VWL-Professoren stellen Qualitätsunterschiede zwischen den Publikationskanälen infrage. Sie wehren sich auch dagegen, dass deutschsprachige Publikationen in heimischen Fachzeitschriften als minderwertig abqualifiziert werden. Ein Nachwuchswissenschaftler der Uni München spottet: "Niemand von diesen Herren würde einen Porsche gegen einen Jetta tauschen. Aber bei Zeitschriften wird noch oft so getan, als wäre das alles das Gleiche.