von Sebastian Dullien
Kaum ein Begriff hat die aktuelle Debatte derart polarisiert wie Hans-Werner Sinns "Basar-Ökonomie". Volkswirte, Politiker, Gewerkschaftsvertreter und Unternehmer streiten, ob Deutschlands Exporterfolge Zeichen der Stärke sind oder - wie Sinn sagt - ein "pathologisches Phänomen", das die Schwächen der deutschen Wirtschaft offenbart.
Sinn argumentiert, dass Deutschland zwar Weltmarktanteile gewinnt, allerdings nur zu dem Preis, dass immer mehr Vorleistungen im Ausland eingekauft würden. Dazu bauten die deutschen Firmen zunehmend Fabriken im Ausland, vor allem in Osteuropa. Der Anteil der Wertschöpfung im Inland schrumpfe, Stellen in der Industrie gingen verloren. Weil ein übermäßig großzügiger Sozialstaat und starke Gewerkschaften verhinderten, dass die Löhne sinken, würden die Arbeitslosen auch keine neuen Jobs finden.
Fast jeden Schritt dieser Argumentation haben Kritiker angegriffen - vom Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, über den DGB-Chefvolkswirt Dierk Hierschel bis hin zum Porsche-Kommunikationschef Anton Hunger, der Sinns Thesen als "Wissenschafts-Poesie" bezeichnete. Auch Redakteure der FTD äußerten in einer Reihe von Kommentaren ihr Unbehagen mit Sinns Thesen.
In seinem neuen Buch "Die Basar-Ökonomie" versucht Sinn nun, seine Kritiker (er nennt explizit auch die FTD) zu widerlegen. Gegen das Argument, dass gerade Deutschlands Exportsektor Arbeitsplätze schaffe und die Beschäftigung in der Automobilindustrie in den vergangenen Jahren gestiegen sei, hat Sinn die These des "pathologischen Exportbooms" entwickelt. Die Löhne in Deutschland seien derart hoch, dass sich die Produktion im arbeitsintensiven Sektor, etwa den fürs Inland angebotenen Dienstleistungen, nicht lohne. Das Kapital fliehe daher nicht nur ins Ausland, sondern auch in den Exportsektor, wo relativ wenig Arbeit eingesetzt werde. So stiegen Produktion und Beschäftigung in der exportorientierten Industrie.
Den Hinweis, dass der Trend zur internationalen Arbeitsteilung nicht ein deutsches Phänomen sei und möglicherweise die deutsche Wirtschaft nur mit Verspätung das nachholt, was etwa die Amerikaner, Briten oder Franzosen schon in den vergangenen Jahrzehnten durchgemacht haben, kontert Sinn mit dem Hinweis, dass seit 1991 in Deutschland mehr Stellen im Verarbeitenden Gewerbe verloren gegangen seien als in anderen Industrieländern. Die hohe Arbeitslosigkeit zeige zudem, dass der Wandel zur Basarökonomie ungesund schnell gehe.
Überzeugen wird Sinn seine Kritiker wohl kaum. Als Referenzpunkt für die Berechnung des Stellenabbaus wählt er ausgerechnet 1991 - jenen Augenblick, in dem die marode DDR-Industrie mit ihren Millionen unterbeschäftigten Arbeitern in die gesamtdeutsche Statistik aufgenommen wurde. Der folgende Absturz bis Mitte der 90er Jahre war zwar von Sinn damals als Folge der Wiedervereinigung vorhergesagt worden, wird von ihm als Indiz des Niedergangs der gesamtdeutschen Industrie angeführt. Zwar räumt Sinn ein, dass in Deutschland immer noch ein größerer Anteil der Beschäftigten in der Industrie arbeitet. Kein Wort findet sich darüber, dass seit 1995 - der Zeit der größten relativen Wachstumsschwäche Deutschlands - die Industrie in den USA oder Großbritannien wesentlich rapider Stellen abgebaut hat.
Fragen werden sich die Skeptiker auch, warum das Kapital lieber in den deutschen Exportsektor flieht als über die polnische oder holländische Grenze. Statistiken zeigen, dass in Deutschland die Löhne gerade in der Industrie höher sind als im Durchschnitt der Euro-Zone, nicht aber im Dienstleistungssektor. Sicher könnte dann doch das Kapital in Polen bei niedrigeren Industrielöhnen auch bessere Renditen erwirtschaften.
Zuguterletzt wird sich Sinn vorwerfen lassen müssen, dass dem Buch eine gewisse internationale Perspektive fehlt. Wenn vor allem die deutschen Löhne ein Problem sind, wie passt es dann zusammen, dass in Großbritannien, wo der gesetzliche Mindestlohn 5,05 £ (rund 7,35 Euro) pro Stunde beträgt, fast Vollbeschäftigung herrscht, in Deutschland, wo die niedrigsten Tariflöhnen bei 3,50 Euro pro Stunde liegen, aber zehn Prozent der Menschen arbeitslos sind?
Sinn argumentiert hier damit, dass in Deutschland der Sozialstaat de facto den Mindestlohn wesentlich über den niedrigsten Tarifgruppen festlegt. Für eine vierköpfige Familie rechnet er vor, dass es sich für den Familienvater nicht lohnt, für weniger als 18,42 Euro brutto pro Stunde arbeiten zu gehen. Nun mag es solche vierköpfige Modellfamilien geben. Unerklärt bleiben damit aber jene 52 Prozent der Arbeitslosengeld-II-Haushalte, die lediglich aus einem allein stehenden Single bestehen. In all diesen Fällen würde der Arbeitslose schon bei einem Stundenlohn von 6,50 Euro spürbar mehr Geld zur Verfügung haben als mit Hartz IV. Hier werden Sinns Kritiker dem Professor aus München vorwerfen, die Arbeitslosigkeit in Deutschland zu monokausal zu erklären.
Die Basar-Ökonomie
Hans-Werner Sinn Econ 2005, 247 S., 14.98€, ISBN 343018536X.