Fortsetzung von Teil 1...
Als Selbständige nämlich dürfen EU-Ausländer in Deutschland ihre Dienste anbieten, die meisten melden sich als Fliesenleger an, weil sie dafür keinen Meisterbrief brauchen. Regeln gibt es praktisch nicht. Den Gewerbeschein erhält auch, wer nicht die deutsche Sprache spricht oder, wie in Köln geschehen, eine so absurde Adresse wie "Werkstattstraße 0" angibt. Tatsächlich sind viele, die sich hier verdingen, in Wirklichkeit Scheinselbständige.
Und die Billiglöhner in den Schlachthöfen sind oft nur zum Schein bei einer polnischen Firma angestellt, für die sie angeblich einen bestimmten Auftrag in Deutschland erledigen - dann wäre ihre Arbeit nämlich legal. Stattdessen arbeiten sie auf Anweisung des deutschen Arbeitgebers - dann ist ihre Arbeit illegal.
Legal, illegal, halb legal - die Grenzen verwischen, seit sich die Grenzen geöffnet haben. Die einen drängen rein, die anderen drängen raus. Und das alles mit wachsender Geschwindigkeit: Die Globalisierung schreitet immer schneller voran, viele können da nicht mithalten.
Die Entwicklung, die den deutschen Arbeitnehmern zu schaffen macht, hat kaum jemand so klar und wortmächtig geschildert wie der deutsche Philosoph Karl Marx. Der Kapitalismus, schrieb er im "Kommunistischen Manifest", habe "durch die Exploitation des Weltmarkts" der Industrie den "nationalen Boden unter den Füßen weggezogen". Täglich würden "die uralten nationalen Industrien verdrängt durch neue Industrien", und an die "Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit" trete "ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander".
Was Marx vor 150 Jahren nicht vorhersah: Die umstürzlerische Kraft der Globalisierung, die er so prophetisch beschworen hatte, schien für viele Jahrzehnte geradezu im Dienst der deutschen Wirtschaft und der deutschen Arbeitnehmer zu stehen.
In Rekordzeit war das Land aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs zur
führenden Industrie- und Wirtschaftsmacht Europas aufgestiegen. Ob Autos, Maschinen oder Arzneimittel: In nahezu allen Industriebranchen eroberten Waren made in Germany führende Positionen auf den globalen Märkten und machten die deutschen Arbeitnehmer zur weltweit beneideten Avantgarde - die höchsten Löhne, die sichersten Arbeitsplätze, das dichteste soziale Netz. Noch in den späten siebziger Jahren galt Deutschland als Vorzeigebeispiel einer Volkswirtschaft, in der es effizient und gerecht gleichermaßen zuging.
Geradezu mustergültig bewältigte die Bundesrepublik lange Zeit auch den vom Welthandel ausgelösten Strukturwandel. Über fast ein Vierteljahrhundert konnten Deutschlands Arbeitnehmer sicher sein: Wer seinen Job etwa in der Landwirtschaft oder im Kohlebergbau verlor, weil die Arbeitsplätze ins Ausland abgewandert waren, hatte gute Chancen, wieder eine Stelle in expandierenden Branchen wie der Automobilindustrie oder dem Maschinenbau zu finden.
So weit war Deutschlands Wirtschaft den Wettbewerbern in Europa und den
USA voraus, dass SPD-Kanzler Helmut Schmidt noch 1976 das "Modell Deutschland" zum Slogan des Bundestagswahlkampfs machen konnte.
Der Sturz hätte tiefer kaum sein können. Wirtschaftswachstum, Pro-Kopf-Einkommen, Investitionen: Seit geraumer Zeit fällt das Land bei nahezu allen wichtigen Wirtschaftsdaten zurück - langsam zunächst, dann immer schneller und zuletzt für die Beschäftigten immer spürbarer. Hunderttausende verloren ihre Stellen, bei den Übrigen stagnieren seit zehn Jahren die realen Nettoeinkommen.
Die Entwicklung hat die Bundesbürger tief verunsichert und jene Fragen aufgeworfen, die der Münchner Ökonom Hans-Werner Sinn jüngst als "das deutsche Rätsel" bezeichnet hat. Wie kommt es, dass die Bundesrepublik gleichzeitig Exportweltmeister und Wachstums-Schlusslicht in Europa ist? Warum führen die Rekordgewinne deutscher Konzerne und die Spitzenstellung ganzer Branchen nicht zu mehr Investitionen und neuen Jobs? Wie ist zu erklären, dass die deutschen Unternehmen Arbeitsplätze vornehmlich im Ausland schaffen?
Die Antwort auf all diese Fragen liegt für Sinn auf der Hand. Der Fall des Eisernen Vorhangs hat die Wettbewerbsverhältnisse für Deutschland radikal verändert.
Beinahe über Nacht erschloss sich den deutschen Unternehmen in unmittelbarer Nachbarschaft ein riesiges Reservoir gut- ausgebildeter Arbeitskräfte: hochmotiviert, fleißig, diszipliniert - und vor allem unschlagbar billig. Während eine durchschnittliche Facharbeiterstunde in Westdeutschland derzeit rund 27 Euro kostet, sind es in Polen, Tschechien oder Ungarn lediglich 3 bis 6 Euro, in Rumänien 2 und in der Ukraine gar nur ein Euro.
Es kam, was kommen musste: Wie Wasser ins Tal flossen bald Investitionen und Arbeitsplätze Richtung Osten. Zunächst wurden nur einige Zulieferproduktionen verlegt, später ganze Fertigungsstraßen und Fabriken, schließlich auch produktionsnahe Dienstleistungen wie Entwicklung, Design oder Marketing. Mit zuletzt mehr als vier Milliarden Euro jährlich ist Deutschland der größte Investor in Osteuropa, weit vor den USA, Großbritannien oder Frankreich.
Zugleich lockte das riesige Lohngefälle Millionen Osteuropäer auf die westlichen Arbeitsmärkte. Erst machten sich Hunderttausende polnische oder rumänische Bauarbeiter auf den Weg. Dann kamen Erntehelfer oder Pflegeschwestern aus Tschechien oder dem Baltikum. Jetzt ziehen Tausende angeblich oder tatsächlich selbständige Handwerker und Dienstleistungsanbieter in die europäischen Metropolen.
Der Transfer von Kapital und Menschen nutzte vielen: Die Osteuropäer durften sich nach 50 Jahren kommunistischer Mangelwirtschaft erstmals über steigenden Wohlstand freuen, die Unternehmen konnten mit Hilfe der Billigarbeiter aus Polen oder Tschechien ihre Produktionskosten senken, die heimischen Verbraucher profitierten von niedrigen Preisen.
Nur eine Gruppe profitierte nicht: die deutschen Arbeitnehmer.
Die Industrie hat seit Mitte der neunziger Jahre nach einer Berechnung des Münchner Ifo-Instituts knapp 1,3 Millionen Arbeitsplätze abgebaut, im Baugewerbe verloren Hunderttausende ihren Job.
Der Stellenschwund wäre nicht weiter schlimm, wenn die freigesetzten Beschäftigten neue, hochproduktive Beschäftigungen in zukunftsträchtigen Export- oder Dienstleistungsbranchen gefunden hätten. Doch das war nicht der Fall, wie die Ifo-Studie belegt. Die ausgemusterten Industriearbeiter wurden überwiegend zu Frührentnern, Arbeitslosen und Erwerbsunfähigen und taten bald gar nichts mehr.
Besonders hart wütete die Beschäftigungskrise in Ostdeutschland. Im Überschwang des Einheitsrausches und ohne Rücksicht auf die Produktivität hatten Politik und Tarifpartner die ostdeutschen Löhne im Eilverfahren an das Westniveau herangeführt - und der Region so eine schwere Hypothek auferlegt.
Zwischen den traditionellen Industriestandorten im Westen und den neuen Billiglohnländern in Osteuropa gerieten die neuen Länder bald in die Klemme. Warum, so fragten sich die Unternehmen, sollten sie in Dresden oder Rostock investieren, wo sie in Bratislava oder Budapest viel günstigere Bedingungen fanden?
So kam es, dass sich in neuen wie alten Ländern "Firmen und ihre Arbeitnehmer voneinander lösten", wie Ifo-Chef Sinn beklagt. Die deutschen Unternehmen profitierten in den vergangenen Jahren zwar von einem glänzenden Auslandsgeschäft und scheffelten Rekordgewinne. Aber die dafür notwendigen Arbeitsplätze entstanden nicht zu Hause, sondern im billigeren Ausland.
Wie nie zuvor spaltete die Globalisierung die deutsche Arbeitnehmerschaft. Wurden die Vorteile des internationalen Handels in früheren Jahrzehnten einigermaßen gleichmäßig verteilt, gab es nun tiefe Risse und Verwerfungen zwischen Globalisierungsgewinnern und -verlierern - und noch mehr Unsicherheit.
Wer heute noch einen gutbezahlten und wettbewerbsfähigen Job hat, kann nicht sicher sein, dass dieselbe Stelle nicht schon morgen nach Indien oder in die Ukraine verlagert wird - auch wenn er bei einem deutschen Traditionsunternehmen beschäftigt ist.
Siemens und SAP zum Beispiel meldeten jüngst, Hunderte Stellen für gutausgebildete Software-Entwickler in Indien zu schaffen. Das Land entwickelt sich immer mehr zur globalen Denkfabrik, die Produktion der zugehörigen Hardware findet zunehmend in China satt: Die beiden Konkurrenten sind auf dem Weg zu Wirtschaftssupermächten.
Im globalen Job-Roulette geraten die Besitzstände der deutschen Arbeitnehmer gewaltig unter Druck. Vor allem das sogenannte Normalarbeitsverhältnis mit Tarifbindung, 35-Stunden-Woche und Sozialversicherungspflicht droht zur Ausnahme für eine beständig schrumpfende Kernbelegschaft zu werden. Ob Siemens, Daimler oder BASF: Überall lassen die Konzerne inzwischen einen wachsenden Teil der Arbeit von Leih- und Werkvertragsarbeitnehmern oder befristet Beschäftigten erledigen.
Einen weiteren Schub für sogenannte prekäre Beschäftigungsverhältnisse brachten die Hartz -Reformen mit ihrem ganzen Arsenal an Mini-Jobs, Ich-AGs, subventionierter Leiharbeit oder Ein-Euro-Jobs. Kein Wunder, dass allein der Anteil geringfügig entlohnter Beschäftigungsformen mittlerweile fast ein Fünftel aller Beschäftigungsverhältnisse ausmacht, ein historischer Höchststand.
Doch selbst wer das Glück hat, in einem regulären Beschäftigungsverhältnis zu arbeiten, musste sich in den vergangenen Jahren mit Einschnitten abfinden. Nur wenige Jahre ist es her, da genossen Tarifverträge in Deutschland nahezu Gesetzeskraft. Wenn von den Lohnvereinbarungen abgewichen wurde, dann in der Regel nach oben: Mit sogenannten übertariflichen Leistungen trieben nicht wenige Unternehmen ihre tatsächlichen Gehälter über die branchenweiten Lohnabkommen hinaus.
Das hat sich geändert. In der Landwirtschaft, dem Gartenbau, zahlreichen Handwerksbranchen sowie der Systemgastronomie werden kaum noch neue Tarifverträge abgeschlossen. In Branchen wie dem Einzelhandel werden Tarifverträge mittlerweile häufig missachtet.
Selbst in der Metallindustrie, dem am straffsten organisierten Wirtschaftszweig der Republik, stehen die Regeln vielfach nur noch auf
dem Papier. Ein gutes Drittel der Betriebe hat den Arbeitgeberverbänden und damit dem Flächentarifvertrag bereits den Rücken gekehrt. Und wer noch im Tarifverband bleibt, versucht zumeist, eine der zahlreichen Öffnungs- oder Härtefallklauseln zu nutzen. Allein im vergangenen Jahr, so zeigt die Statistik des gewerkschaftseigenen Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI), haben knapp 400 Metallbetriebe abweichende Tarifregelungen ausgehandelt, in 70 Prozent der Fälle
Verschlechterungen.
In den Handy-Werken von Siemens in Bocholt und Kamp-Lintfort beispielsweise drückte die Unternehmensleitung die Wiedereinführung der 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich durch. Bei Daimler-Chrysler werden die Entgelte neuer Beschäftigter vom nächsten Jahr an um acht Prozent abgesenkt. Bei VW in Hannover will Personalchef Peter Hartz die Personalkosten innerhalb der nächsten fünf Jahre um 30 Prozent senken.
Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, verwiesen die Unternehmen stets auf die niedrigeren Kosten im Ausland: Entweder die Gewerkschaft stimmt den geforderten Tarifsenkungen zu, oder es werden Tausende Stellen nach Osteuropa verlagert.
Den Drohungen beugte sich zumeist selbst die kampfstarke IG Metall. Nach anfänglichen Protesten der Belegschaft endeten die Konflikte fast immer mit der vollständigen Niederlage der Gewerkschaft. So breitflächig wird der Tarifvertrag mittlerweile unterlaufen, dass selbst das WSI von "zunehmenden Zweifeln an der Überlebensfähigkeit des deutschen Tarifmodells" spricht.
Wie tief die Einschnitte waren, belegte die Einkommensstatistik des vergangenen Jahres. So hätten die Bruttolöhne der Beschäftigten 2004 nach den Tarifvereinbarungen um rund zwei Prozent zulegen müssen. Tatsächlich stiegen sie lediglich um 0,1 Prozent.
Löhne sind für die Unternehmen vor allem Kosten. Die gilt es um jeden Preis zu senken, um im globalen Wettbewerb zu bestehen und den Anforderungen der internationalen Finanzmärkte zu genügen. Und die fordern vor allem hohe Gewinne. Denn mit der Globalisierung haben sich nicht nur die weltweiten Produktionsmöglichkeiten verändert, verschärft hat sich auch der Druck auf die Konzerne.
Das alte Modell der Deutschland AG hat ausgedient. Es verband die großen Industrie- und Finanzkonzerne durch ein dichtgesponnenes Netz gegenseitiger - auch personeller - Verflechtungen. Man stützte und schützte sich, zum Beispiel vor feindlichen Übernahmen: Noch 1991 verhinderten die Banken eine Übernahme des Reifenherstellers Continental durch seinen italienischen Konkurrenten Pirelli.
Im Jahr 2000 regte sich keine Hand, als Vodafone den deutschen Mannesmann-Konzern schluckte, obwohl die Deutsche Bank, die einst für Conti gekämpft hatte, im Aufsichtsrat vertreten war. Was war geschehen?
Die Banken hatten in der Zwischenzeit ihre Politik geändert, die Deutsche Bank vorneweg. Sie orientierten sich zunehmend am amerikanischen Investmentbanking, das höhere Renditen versprach als das klassische Kreditgeschäft. Ihre Unternehmensbeteiligungen waren dabei nur hinderlich, sie wurden nach und nach verkauft.
Ohne diesen Schutz aber müssen die Konzerne Gewinne erzielen, wie sie im internationalen Geschäft üblich sind: Wer im Shareholder-Kapitalismus zu wenig Profit macht, wird an den internationalen Finanzmärkten durch Kapitalentzug abgestraft: Der Aktienkurs sinkt und damit der Preis, den ein potentieller Aufkäufer zahlen muss.
Selbst die einst so mächtige Deutsche Bank ist inzwischen ein denkbares Übernahmeopfer. Bank-Chef Josef Ackermann müht sich geradezu verzweifelt, eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent zu erzielen und damit den Aktienkurs zu steigern. Nur so, glaubt er, kann die Bank als selbständiges Finanzinstitut überleben.
Obwohl der Gewinn der Bank im Jahr 2004 auf knapp 2,5 Milliarden Euro stieg, kündigte er die Entlassung von weltweit weiteren 6400 Mitarbeitern an. Ackermann bezeichnet sein Verhalten als absolut notwendig, Müntefering hält es für unethisch.
Die 30 im Deutschen Aktienindex Dax versammelten Konzerne konnten ihre Profite im vergangenen Jahr insgesamt um 88 Prozent steigern. Einige, wie BMW, Continental oder BASF, erzielten sogar Rekordgewinne. Auf den Hauptversammlungen, die derzeit stattfinden, präsentieren die Unternehmen ihren Aktionären "Goldene Bilanzen" ("Börsen-Zeitung").Gleichzeitig sinken bei vielen die Beschäftigtenzahlen, vor allem im Inland.
Zum Beispiel bei Conti: Wenn Konzernchef Manfred Wennemer gefragt wird, ob der Automobilzulieferer ein Globalisierungsgewinner ist, dann gibt es für ihn nur eine Antwort: "Ja." Die Globalisierung, sagt er, habe "der Conti viele Vorteile geboten".
2001 noch steckte das Unternehmen in der Verlustzone. Wennemer schloss unrentable Werke, verlagerte Teile der Produktion in Niedriglohnländer und handelte mit den Betriebsräten des Stammwerks Hannover aus, dass die Belegschaft für den gleichen Lohn länger arbeiten muss. Jetzt konnte Wennemer seinen Aktionären, die sich bereits seit zwei Jahren über steigende Kurse freuen, einen Rekordgewinn präsentieren. 2005 will er das Ergebnis noch einmal überbieten. Die Fabriken sind voll ausgelastet, Conti kann gar nicht so viele Reifen produzieren, wie das Unternehmen verkaufen könnte. Deshalb will Wennemer neue Mitarbeiter einstellen, allerdings in Osteuropa, Asien und Südamerika. In Deutschland dagegen werden weiter Stellen abgebaut, 2005 sollen 1000 Jobs gestrichen werden.
Ist der Conti-Boss deshalb, wie SPD-Generalsekretär Klaus Uwe Benneter sagt, ein "vaterlandsloser Geselle"?
Wennemer ist zunächst einmal ein Getriebener. Die großen Abnehmer, die Autoindustrie, fordern jährlich sinkende Preise. In der Reifenfertigung machen Löhne in Westeuropa 30 Prozent der gesamten Kosten aus, in Rumänien nur 10 Prozent. Diese Fertigung wird zunehmend verlagert. Andere Produktionen mit einem geringen Lohnkostenanteil, wie die des Anti-Schleudersystems ESP, werden dagegen in Deutschland bleiben.
Doch bei Conti sind die deutschen Fabriken und ihre Mitarbeiter keineswegs nur Verlierer der Globalisierung. Mitunter sichern die Fabriken in Osteuropa auch Jobs in Deutschland. Die Produktion von Bremskraftverstärkern beispielsweise ist aufgeteilt: Die maschinelle Bearbeitung wird in Deutschland erledigt, die arbeitsintensive Montage in der Tschechischen Republik. "Nur diese Symbiose", sagt Wennemer,"hat uns die Chance gegeben, die Arbeitsplätze in Gifhorn zu halten."
Zum Beispiel Adidas, das Musterexemplar eines globalen Unternehmens: Herzogenaurach, wo die Marke einst erfunden wurde, ist zwar noch immer Stammsitz des Konzerns und wird es nach Ansicht des Vorstandschefs Herbert Hainer auch bleiben. Aber der weltweite Einkauf wird in Hongkong erledigt, das Marketing in Amsterdam, der Großteil der Produktentwicklung im amerikanischen Portland und das Design unter anderem in Tokio und New York. Hergestellt werden die Schuhe und Trikots zu 95 Prozent in Asien.
Adidas-Chef Hainer schimpft zwar über hohe Löhne und niedrige Arbeitszeiten in Deutschland. "Wir werden wieder mehr arbeiten müssen", sagt er. "Mit 6 Wochen Urlaub, 14 Feiertagen und einer 35-Stunden-Woche sind wir nicht konkurrenzfähig." Aber auch bei 4 Wochen Urlaub und einer 45-Stunden-Woche würde der Adidas-Chef wohl kaum eine Massenfertigung von Sportschuhen in Deutschland aufziehen. Mit chinesischen Löhnen und Arbeitszeiten können deutsche Arbeiter einfach nicht konkurrieren.
Dennoch zeigt Adidas, dass Global Player mit Sitz in Deutschland auch hierzulande neue Jobs schaffen können, wenn sie erfolgreich sind. In den vergangenen zehn Jahren hat der Sportartikelhersteller die Zahl seiner Beschäftigten in Deutschland von 1200 auf 2580 mehr als verdoppelt. In diesem Jahr sollen nochmals 150 Stellen, vor allem im Marketing und Vertrieb, dazukommen.
Adidas und Conti sind Erfolgsgeschichten. Ein Modell für Deutschland kann Adidas jedoch nicht sein, nur von Marketing und Vertrieb kann eine Volkswirtschaft nicht leben. Und bei Conti macht die Verlagerung die Arbeitsplätze im Land zwar sicherer, aber die werden tendenziell immer weniger, neue entstehen jenseits der Grenzen.
Die Konzerne investieren vor allem im Ausland, und dort zahlen sie auch einen Großteil ihrer Steuern. Gerade die neuen EU-Länder in Osteuropa werben mit niedrigen Steuersätzen um Investoren aus den alten EU-Ländern. Dass die Konzerne die Kosten der Verlagerung auch noch in Deutschland von der Steuer absetzen können, wundert dabei fast schon niemanden mehr.
Der Staat muss die wachsende Arbeitslosigkeit finanzieren, aber seine Einnahmen schrumpfen. Ist auch er ein Opfer der Globalisierung?
Nach der klassischen Theorie des Freihandels kann das nicht sein. Vor rund 200 Jahren entwickelte David Ricardo das Theorem der komparativen Kostenvorteile: Wenn zwei Länder zwei Güter produzieren, ist es, so die Theorie, für beide vorteilhaft, sich auf die Produktion jenes Gutes zu konzentrieren, das es am günstigsten herstellen kann, um es anschließend zu tauschen. Das erhöhe den Wohlstand beider Nationen.
Im vergangenen Jahr erregte der Nobelpreisträger Paul Samuelson, 89, weltweit Aufsehen, als er dieser bis dahin in der Fachwelt unumstrittenen Theorie widersprach. In Zukunft, behauptete er, werden nicht mehr alle Länder von der Globalisierung profitieren, weil Niedriglohnländer wie China zunehmend auch technologisch aufholten und die Industrieländer auch bei Qualitätsprodukten angriffen. Das drücke die Preise dieser Güter und vermindere die Handelsvorteile der Industrieländer.
In Deutschland sprang ihm Ifo-Präsident Sinn zur Seite - wenn auch mit ganz anderen Argumenten. Arbeitslosigkeit, so Sinn, sei in jenen Lehrbuchmodellen, die Handelsgewinne aus der Spezialisierung versprechen, nicht vorgesehen. Stattdessen gehen diese von völlig flexiblen Löhnen aus.
"Dass die Chinesen, Polen und Tschechen anstelle deutscher Arbeiter die
einfache Industriearbeit erledigen, mag für sich genommen einleuchten", meint der Ifo-Chef, "nicht aber, dass diese Arbeiter anschließend nichts mehr tun und im Zweifel vom Sozialstaat ihr Geld bekommen."
Der streitbare Ökonom hält es deshalb für unumgänglich, dass die Löhne in Deutschland tendenziell sinken, in Osteuropa tendenziell steigen. Je stärker dieser Prozess behindert werde, desto höher falle die Arbeitslosigkeit aus.
"Die Globalisierung schafft einen gemeinsamen Arbeitsmarkt, die Löhne gleichen sich an", glaubt Sinn. "Gegen dieses Gesetz ist die Politik machtlos."
"Wir verarmen, wenn wir asiatisch werden wollen", hält ihm Porsche-Chef Wendelin Wiedeking entgegen. "Mit welchem Geld", fragt er, "soll der deutsche Arbeitnehmer dann konsumieren?"
Recht haben beide. Ganz abgesehen davon, dass Wiedeking seinen Gewinnbringer Cayenne zum größten Teil in Bratislava fertigen lässt: Produkte, die - wie Porsche-Autos - auf Qualität und Technik setzen, erzielen so hohe Preise, dass die Lohnkosten kein Problem sind. Gerade in Baden-Württemberg, dem Bundesland mit den wohl höchsten Löhnen, sitzen viele besonders erfolgreiche Unternehmen.
Zum Beispiel der Maschinenbauer Trumpf: Als der heutige Chef Berthold Leibinger Ende der sechziger Jahre die Leitung der Entwicklungsabteilung übernahm, beschäftigte das Unternehmen 180 Mitarbeiter, heute sind es rund 6000. Sie entwickeln und bauen Metallverarbeitungsmaschinen und Lasersysteme für die Fertigungstechnik. "Wir leben von der Innovation", sagt Leibinger. "Wir müssen so viel besser sein, wie wir teurer sind."
Noch hat Deutschland viele Standortvorteile: die Ausbildung der Arbeiter, die Infrastruktur, das Rechtssystem, innovative Unternehmen.
Aber die Konkurrenz schläft nicht, die anderen holen auf. Die Qualität kann nicht schlechter sein, wenn der Cayenne in Bratislava gefertigt wird. Und China investiert verstärkt in die Bildung und Ausbildung seiner Jugend.
"Die Distanz wird kürzer", sagt der neue Siemens-Chef Klaus Kleinfeld. Er will die Innovationsgeschwindigkeit erhöhen und eine Hochleistungskultur schaffen.
Ein Teil der Produkte ist aber auch bei Siemens Massenware, und da muss auch der Neue vor allem Kosten senken - wenn es sein muss durch die Androhung einer Verlagerung wie bei VDO in Würzburg.
"Große Automobilkonzerne wie Peugeot, Toyota oder Fiat verlangen von uns Jahr für Jahr Preisnachlässe von drei bis fünf Prozent", rechtfertigte ein VDO-Sprecher den Vorstoß der Geschäftsleitung. Durch weitere Rationalisierungsmaßnahmen seien die geforderten Rabatte künftig nicht mehr zu erwirtschaften, da die Anlagen ohnehin schon weitgehend automatisiert wurden.
Die VDO-Mitarbeiter setzten sich zur Wehr. Sie bildeten eine Menschenkette um ihre gefährdete Fabrik, um die Republik aufzurütteln. Und sie wählten eine eigene Tarifkommission für ihren Betrieb, um streiken zu können, wenn der Konzern nicht doch noch einlenkt.
Am Freitag vergangener Woche hatten sie ihr Ziel erreicht - teilweise zumindest. Betriebsrat und Geschäftsleitung einigten sich auf ein Standortsicherungsabkommen, der Standort Würzburg soll dauerhaft erhalten bleiben.
Natürlich müssen die Beschäftigten Opfer bringen. Aber die Verlierer der Globalisierung konnten sich ein bisschen wie Sieger fühlen.