Der Top-Ökonom und ehemalige Präsident des Ifo-Instituts sieht die Inflation mit großer Macht im Gange. Sie werde in Wellen kommen – und die EZB rede sie klein.
„Wir fahren ein Auto ohne Bremse – und der Abhang kann kommen.“ In seiner Weihnachtsvorlesung für das ifo Institut hat mit Hans-Werner-Sinn einer von Deutschlands profiliertesten Ökonomen vor einem Ausufern der Inflation gewarnt. Es gehe längst nicht mehr um die Frage, ob die Inflation komme, sagte er. Sie sei ja schon da.
Im November lag die Teuerungsrate für Deutschland bei 5,2 Prozent. Für die gesamte EU bei 4,9 Prozent. In den USA waren es sogar 6,9 Prozent. Eine solche hohe Rate gab es dort in den vergangenen dreißig Jahren nicht. Doch auch die Zahlen für Deutschland und Europa sind hoch genug. „Wir sind mitten in einer heftigen Inflation in Europa“, stellte Sinn fest.
„Wir haben eine Inflation, wie vielleicht seit Menschengedenken nicht mehr“
Fest machte er diesen Umstand unter anderem an den Teuerungsraten für Zwischenprodukte. Die Inflation der gewerblichen Erzeugerpreise lag hierzulande im November bei 17,5 Prozent, in Spanien sogar bei 31,8 Prozent. Zahlen des Statistischen Bundesamts nach lag die Rate, 1951 ausgenommen, in keinem Jahr der Nachkriegszeit höher, als heute. „Wir haben hier eine Inflation, wie seit Menschengedenken nicht mehr, wie sie vielleicht im Leben eines Menschen nur einmal vorkommt“, meinte Sinn. Selbst bei den großen Ölpreisschocks waren es nur 14,6 und knapp zehn Prozent. Damit erlebt Deutschland bei den gewerblichen Erzeugerpreisen die stärkste Inflation seit 70 Jahren. „Diese Situation ist völlig außergewöhnlich“, schloss Sinn. Und es sei darüber hinaus nur eine Frage der Zeit bis diese Preissteigerungen auch bei den Endverbraucherpreise ankämen.
„Die Inflation wird in Wellen kommen“
Sinns Ausblick gerät deshalb düster: „Die Inflation wird in Wellen kommen“, prophezeit er. Im kommenden Jahr drohe eine Lohn-Preis-Spirale, denn die Gewerkschaften müssten reagieren und auf Lohnerhöhungen pochen. Ein weiteres Problem: Die Inflationserwartungen in der Bevölkerung. „Wenn man glaubt, dass es eine Inflation gibt, kauft man Güter früher, als man sie eigentlich gekauft hätte“, so der hierzulande von vielen geschätzte Ökonom. Eine Inflation sei grundsätzlich „inhärent instabil“. Das heißt übersetzt: Inflation führt zu noch mehr Inflation, Deflation zu noch mehr Deflation. Umso wichtiger ist daher die Preisstabilität, zu deren Sicherung die Notenbanken eigentlich da sind. Doch die EZB, so Sinn, wolle nicht wahrhaben, dass es eine Inflation gebe. Doch „man muss das Feuer austreten und nicht erst warten, ob es richtig losbrennt“, forderte er.
Ampel-Koalition als Inflationstreiber?
Weitere Inflationsschübe seien überdies schon absehbar. Sinn nannte die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns als Treiber, der die gesamte Lohnskala nach oben schiebt. Er warnte zudem vor einer „versteckten Verschuldung“ der neuen Ampel-Koalition. Dabei nahm er Bezug auf die Kreditaufnahmne durch bestehende staatliche Gesellschaften und die KfW, die Streckung der Tilgung durch Tilgung durch Anpassung an EU-Regeln von 20 auf 36 Jahre und den Sonderfonds für den Klimaschutz.
Als dritten Punkt nannte Sinn das Dollar-Euro-Zins-Differenzial, das schlussendlich bedeutet, dass der Euro gegenüber dem Dollar abwertet und es zu einer importierten Inflation kommt. Als vierte Quelle für weitere Inflationsschübe will Sinn die Demographische Krise ausgemacht haben.
„Rentner wollen konsumieren, produzieren aber nichts“, sagte er in Bezug auf die geburtenstarken Jahrgänge, die nun peu a peu in den Ruhestand gehen. Daraus ergibt sich bei fallender Sparquote und steigender Konsumquote ein Nachfrageüberhang. Fünftens rechnet Sinn mit einem weiteren Kostenschub bei den Energiepreisen. Er verwies darauf, dass Wind und Solar am Gesamt-Energieverbrauch in Deutschland heute gerade einmal 7,5 Prozent ausmachten. 83 Prozent des Bedarfs stellen nach wie vor fossile Energieträger bereit. Nach dem Willen der Ampel soll in 24 Jahren 100 Prozent der Energie aus grünen Energieträgern kommen. Man könne dies politisch wollen und begründen, man müsse sich jedoch im Klaren sein, dass damit keine Zeit der günstigen Energie auf Deutschland zu käme. Ganz im Gegenteil.
Hat die EZB die Inflationsbremse zerstört?
Es gibt also neben den akuten und wohl auch nur kurzzeitigen Faktoren, wie den globalen Lieferengpässen, auch solche, die die Inflation zu einem längerfristigen Phänomen machen könnten. Geht es nach der Meinung von Hans-Werner Sinn, steht die EZB diesem Treiben beinahe machtlos gegenüber, hat sie doch selbst die Inflationsbremse zerstört.
Die EZB habe über den Staatsanleihenkauf im Wert von 3,9 Billionen Euro in den vergangenen Jahren indirekt Staaten finanziert. Dies ist ihr eigentlich rechtlich verboten. Direkt zumindest. Nun stehen die Währungshüter vor einem Dilemma. Man könne, so Sinn, nicht einfach die Zinsen hochsetzen, man müsste auch Staatspapiere zurückverkaufen. Das aber ginge nicht, da ansonsten die Zinsen stiegen. Einige Staaten könnten ihre Schulden nicht mehr bedienen. Auch viele Banken kämen in Überschuldungsnöte, Chaos am Finanzmarkt wäre vorprogrammiert.
Zunächst hatte diese Politik freilich viel Positives. „Es ist wunderschön wenn man anfängt“, sagte Sinn. „Aber es ist wie eine Droge. Man kann dann nicht mehr zurück.“ Wehe also der Abhang kommt – und man hat keine Bremse.
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