Passauer Neue Presse, 02.02.2016, S. 2.
Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, fordert eine realistische Einschätzung der Kosten für die Flüchtlinge.
Das Institut der Deutschen Wirtschaft rechnet mit Kosten von 50 Milliarden Euro allein in diesem und im nächsten Jahr. Ist das eine realistische Prognose?
Hans-Werner Sinn: 50 Milliarden Euro für dieses und nächstes Jahr sind sehr realistisch. Wir kommen auf ähnliche Zahlen und rechnen allein für 2016 mit Kosten in Höhe von 21 Milliarden Euro. Voraussetzung ist allerdings, dass in diesem und im nächsten Jahr weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen als 2015.
Sie warnen vor den Folgen für den Arbeitsmarkt und die Staatsfinanzen. Wie wird sich die Zuwanderung auswirken?
Sinn: Die Menschen werden uns lange auf der Tasche liegen. Der Sozialstaat wird durch die freie Zuwanderung lädiert. Wir haben bereits in der Vergangenheit sehr negative Erfahrungen gemacht mit der Integration von Flüchtlingen aus diesen Krisenländern. Sie kommen aus fernen Kulturkreisen. Nur wenige sind gut ausgebildet. Die Hälfte der Flüchtlinge in den Aufnahmelagern in der Türkei haben nicht einmal Kenntnisse auf Pisa-I-Niveau. Sie können nicht rechnen, und wenn sie überhaupt lesen können, dann nicht die lateinische Schrift. Es gibt einen hohen Anteil an Analphabeten. 70 Prozent der Syrer, Afghanen und Iraker, die vor zwei Jahren in Bayern eine Ausbildung begonnen haben, haben diese inzwischen abgebrochen.
Aber die Wirtschaft beklagt einen Fachkräftemangel. Liegt hier nicht auch eine Chance?
Sinn: Die Hoffnung, dass Flüchtlinge den Fachkräftemangel verringern können, wird sich nicht erfüllen. Selbst wenn man von einer sehr erfolgreichen Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt ausgeht, werden sie in aller Regel eine hohe Zahl von Netto-Leistungsempfängern sein. Das liegt daran, dass die, die unterdurchschnittlich verdienen, auch nur unterdurchschnittlich zur Finanzierung der staatlichen Infrastruktur beitragen. Der Einstieg in den hiesigen Arbeitsmarkt wird für die meisten sehr schwer werden.
Wird vor diesem Hintergrund die Schwarze Null noch zu halten sein, oder müssen jetzt wieder neue Schulden aufgenommen werden?
Sinn: In diesem Jahr wird es wohl noch bei der Schwarzen Null bleiben. 2017 wird das weitaus schwieriger. Der Bundesfinanzminister hat bereits die Einführung einer Benzinsteuer auf EU-Ebene vorgeschlagen. Das wäre sinnvoller, als sich zu verschulden, um diese Lasten zu tragen. An Einsparungen im Haushalt wird wohl auch kein Weg vorbeiführen, will man nicht wieder zu einer Politik der Verschuldung zurückkehren. Wenn dieses hohe Maß an freier Zuwanderung weiter anhält, wird es auf jeden Fall teuer. Das ginge zu Lasten der hier lebenden Bevölkerung. Darüber sollte es eine Volksentscheidung geben. Zumindest müsste der Bundestag darüber abstimmen.
Wie wird sich der Flüchtlingsstrom auf unser Sozialsystem auswirken?
Sinn: Ein Sozialstaat mit Inklusionsprinzip ist grundsätzlich nicht kompatibel mit der Idee der freien Zuwanderung. Er zieht wie ein Magnet Geringqualifizierte an und stößt Besserqualifizierte besser ab. Die Briten wollen jetzt zugewanderten EU-Ausländern vier Jahre lang keine staatlichen Sozialleistungen gewähren, auch wenn sie arbeiten. Das ist ein sinnvoller Vorschlag, der auf der Ebene der EU umgesetzt werden sollte. Auch Deutschland sollte hier restriktiver vorgehen. Für Sozialleistungen von EU-Ausländern könnte in dieser Zeit das Heimatland zuständig sein.
Die deutsche Wirtschaft warnt vor einem Ende des Schengen-Systems und der offenen Grenzen. Sind das berechtigte Sorgen?
Sinn: Jeder Staat hat Grenzen und ist Sachwalter des Eigentums seiner Bürgerinnen und Bürger. Dieses Eigentum muss er auch verteidigen und die Grenzen nach außen sichern. Ich bin für offene Grenzen. Wenn die Sicherung der europäischen Grenzen jedoch nicht gelingt, muss es eine nationale Lösung geben. Das Argument, dass die Sicherung der Grenzen die deutsche Wirtschaft teuer zu stehen kommen würde, stimmt so nicht. Wenn man es richtig macht, gibt es keine Staus, und die Kosten der Grenzsicherung beschränken sich auf die Kosten der Zöllner und Grenzanlagen. Das dürfte nur ein kleiner Bruchteil der Kosten sein, die die Flüchtlinge verursachen.
Interview: Andreas Herholz