Das dänische Modell: Zu schön, um wahr zu sein?

Torben M. Andersen, Giuseppe Bertola, John Driffill, Harold James, Hans-Werner Sinn, Jan-Egbert Sturm und Branko Urošević

oekonomenstimme.org, 29.03.2016

Der dänische Sozialstaat und sein "flexicurity"-Arbeitsmarktmodell genießen den Ruf effizient zu arbeiten. Aber ist diese Einschätzung gerechtfertigt? Wie kann die starke wirtschaftliche Performance einer kleinen, offenen Volkswirtschaft mit einem ausgedehnten öffentlichen Sektor und einer hohen Steuerlast in Einklang gebracht werden? Und wie kann eine solche Volkswirtschaft Herausforderungen wie dem demographischen Wandel und der Migration gerecht werden?

Dänemark weist sowohl hohe, als auch relativ gleichmäßig verteilte Einkommen auf [1]. Das Land ist eine kleine, offene Volkswirtschaft und verfügt über einen stark ausgedehnten öffentlichen Sektor bei gleichzeitig hoher Steuerlast. Aufgrund des Zusammenspiels dieser beiden Faktoren hat Dänemark im internationalen Vergleich Aufmerksamkeit erregt. Aber auch, da es erfolgreich eine Politik der fixen Wechselkurse verfolgte.

Daher mag die Erfahrung Dänemarks manchen paradox erscheinen, oder aber, wie ein außergewöhnliches Beispiel zur Vermeidung üblicher Politikdilemmata. Denn die positive Entwicklung Dänemarks ist nicht auf einen schnellen Eingriff zurückzuführen, sondern das Ergebnis einer langen Kette struktureller Reformen, welche sich explizit der Restriktionen annahmen, denen eine kleine, offene Volkswirtschaft unterliegt. Letzteres wird klar durch die verfolgte Wechselkurspolitik und dem daraus folgenden Bedürfnis international Glaubwürdigkeit zu versichern. Den Markttest hat diese Politik insofern bestanden, als das die Zinsdifferenz gegenüber dem Euro für viele Jahre sehr klein war, teilweise sogar negativ.

Wirtschaftliche Performance und ein ausgedehnter öffentlicher Sektor

Das Beispiel Dänemarks zeigt, dass derartige politische Entscheidungen auch in einer globalisierten Welt möglich sind. Dabei spielt der öffentliche Sektor eine größere Rolle als in den meisten anderen Ländern. Eine spannende Lektion daran ist die Konstruktion des dänischen Sozialstaats. Diese vereinbart die Ziele wirtschaftlicher Performance mit Rückstellungen für Sozialleistungen und Maßnahmen der Umverteilung. Zwei Punkte sind dabei besonders hervorzuheben. Zum einen: Während der öffentliche Sektor in Dänemark sehr groß ist, ist der private in gleichem Maße liberal. Das dänische Modell ist daher nicht als "Politik versus Markt" zu charakterisieren. Zum anderen wird bei den Sozialleistungen der Fokus auf aktive Partizipation am Arbeitsmarkt gelegt, sowie die Akquise von Humankapital. Um die Finanzierbarkeit dieses Modells zu sichern, bedarf es eines konstant hohen Beschäftigungsniveaus in der Privatwirtschaft, sodass der Konflikt zwischen den Zielen des Sozialstaats und der ökonomischen Leistungsfähigkeit nicht so ausgeprägt ist, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag.

Das "Flexicurity-Modell" auf dem Prüfstand

Wie in der letzten Finanzkrise offenbar wurde, ist die dänische Volkswirtschaft durch die Entscheidungen der Politik keineswegs immun gegen Krisen gemacht worden, weder nationale noch internationale. Was dennoch heraussticht ist, dass auf dem dänischen Arbeitsmarkt trotz steigender Arbeitslosenzahlen ein hohes Maß an Flexibilität erhalten geblieben ist. Zudem sind Dänen selten arbeitslos und wenn dann relativ kurz. Ein hohes Maß an Fluktuation hält die Quoten bezüglich Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit in internationalen Vergleich niedrig. Derartige Fluktuationsraten stellen einen impliziten Mechanismus der Arbeitsteilung dar. Gleichmäßige Lastenteilung ist nicht nur aus verteilungspolitischer Sicht sinnvoll, sondern auch von struktureller Bedeutung. Die Alternative wären länger andauernde Arbeitslosigkeiten, von denen eine kleinere gesellschaftliche Gruppe betroffen wäre; eine höhere Anzahl Langzeitarbeitsloser korrespondierend mit einer Entwertung sowohl des Human-, als auch des Sozialkapitals. Kurz gesagt: Hohe Fluktuationsraten reduzieren die negativen strukturellen Implikationen hoher Arbeitslosigkeit.

Das Sozialmodell nachhaltig gestalten

Damit das Sozialmodell des dänischen Staats auch in Zukunft finanziell solide dasteht, ist bereits eine Reihe von Reformen unternommen worden. Der Fokus liegt klar darauf, das Arbeitsangebot zu festigen und die Beschäftigung im Privatsektor zu fördern. Zentrale Maßnahmen sind unter anderem die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters sowie gegebenenfalls eine Indexierung, um der gestiegenen Lebenserwartung gerecht zu werden. Diese Reformen stellen sicher, dass die Bedingungen für eine nachhaltige Fiskalpolitik erfüllt sind.

Richtet man erneut den Blick in die Zukunft, so ist die Migration eines der schwierigsten Themen mit dem sich ein Land, welches einen derart ausgeprägten Sozialstaat anbietet, auseinandersetzen muss. Auch wenn die implementierten sozialstaatlichen Maßnahmen nicht wie ein Magnet auf Migranten wirken, so hängt die finanzielle Überlebensfähigkeit dieses Modells in besonderer Weise von einem hohen Beschäftigungsniveau ab. Auch Ziele der Umverteilung gehen einher mit großem Bedarf an hochqualifizierten Arbeitnehmern (um hohe Mindestlöhne zu rechtfertigen), aber auch großzügigen sozialen Transfers. Daraus resultiert eine Korrelation zwischen dem Beschäftigungsniveau und den Einflüssen der Migration auf den öffentlichen Haushalt. Man steht vor folgendem Trilemma: Denkbar wären eine Verschärfung der Regeln zur Immigration (in ihrem Ausmaß beschränkt durch internationale Verträge und EU-Verordnungen), eine Senkung des Mindestlohns oder der Verzicht auf universelle soziale Rechte. Alle drei möglichen Wege stellen die grundlegenden Ziele des Sozialstaats auf die Probe. Bis heute sind vor allem die erste und dritte Alternative verfolgt worden, aber es stellt sich die Frage wie weit man in diese Richtung noch gehen kann.

Während die Herausforderungen bleiben, ist der Fokus der Politik auf mittel- und langfristige Sachverhalte herauszuheben. Wenn etwas auffällt, dann ist es die politische Ökonomie der Konsensherbeiführung über ein breites politisches Spektrum, damit die Reformpolitik sowohl konsistent ist als auch kontinuierlich fortgeführt wird. Bis zum heutigen Tage ist diese Aufgabe bewältigt worden, trotz des Umstandes, dass in der Vergangenheit meist Minderheitsregierungen (und für gewöhnlich Koalitionen aus mehreren Parteien) das politische Geschäft bestimmten und zudem mehrmals Regierungswechsel stattfanden.

Fußnote

[1] Dieser Beitrag ist eine Übersetzung der auf Englisch erschienenen Kurzfassung zum Artikel: Andersen, Torben M., Giuseppe Bertola, John Driffill, Harold James, Hans-Werner Sinn, Jan-Egbert Sturm und Branko Uroševic, Chapter 4: Denmark: Too Good to Be True?, EEAG Report on the European Economy 2016, 2016, S. 85-98.

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