Streitlustiger Weltverbesserer

ifo-Chef Hans-Werner Sinn feiert seinen 60. Geburtstag - Statt Ruhestand will er sich der Klimaforschung widmen
Autor/en
Maria Marquart
Presseecho, Associated Press, 4.03.2008

München (AP) Wissenschaftler, Institutsleiter, Politikberater: Drei Berufe, die andere bereits einzeln mehr als genug ausfüllen, vereint Hans-Werner Sinn in Personalunion. Am kommenden Freitag wird der Finanzwissenschaftler und Chef des Münchner ifo-Instituts 60 Jahre alt - ans Aufhören denkt er aber noch lange nicht. «Ich hab' noch einiges vor», kündigt er im Gespräch mit der AP an.

Streitbar und streitlustig tritt Sinn in der Öffentlichkeit auf. Ob Finanzkrise, Staatsverschuldung oder Mindestlohn - mit klarer Meinung und geschliffener Argumentation hat es der Mann mit dem markanten Bart zu einem der bekanntesten und renommiertesten deutschen Wissenschaftler gebracht. Stets felsenfest überzeugt von den eigenen Argumenten geht er dabei auch beharrlich auf Konfrontation. «Nicht mit Absicht», wie er versichert. «Meine Aufgabe ist es, die rationalen Argumente, die wissenschaftlich belegt sind, in die Öffentlichkeit zu tragen und das eben auch kompromisslos zu machen. Auch wenn das dem ein oder anderen nicht gefällt.

Was ihn dabei antreibt, fasst er in einen kurzen Satz: «Es ist der Versuch, die Welt zu verbessern.» Er denke dabei an Elend, Ungerechtigkeit und Ineffizienz. «Diese Dinge möchte man als Ökonom verbessern.» Seine Karriere als Weltverbesserer startet Sinn nach dem Abitur in Bielefeld 1967 in Münster mit dem Studium der Volkswirtschaftslehre.

1978 promoviert er in Mannheim, und geht dann für ein Jahr mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern als Gastprofessor nach Kanada. Dort sei er «richtig aufgewacht», lobt er das Forscherklima. Trotzdem kehrt er zur Habilitation zurück. «Da hänge ich dann doch zu sehr an Deutschland. Seit 24 Jahren lehrt der Finanzwissenschaftler inzwischen an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, wo er den Lehrstuhl für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft innehat. «Was mir am meisten Spaß macht ist die Forschung», sagt er. «Was ich als vornehmliche Aufgabe ansehe, ist die Institutsleitung.» Seit 1999 leitet Sinn das Münchner ifo-Institut, dessen monatlich gemessener Geschäftsklimaindex als wichtiger Indikator für die deutsche Konjunktur gilt.

Sein ökonomisches Geschick stellte der Finanzwissenschaftler unter Beweis, als er das angeschlagene ifo-Institut durch die Fusion mit dem von ihm an der Münchner Uni gegründeten Center for Economic Studies (CES) zu einem weltweit geachteten ökonomischen Forschungsinstitut wiederbelebte.

Seinen Rang als einer der am meist zitierten Autoren in Deutschland in wissenschaftlichen Zeitschriften hat Sinn sich hart erarbeitet. «Ich reserviere mir gewisse Zeitblöcke im Jahr, wo ich mich dann total zurückziehe, wenig an mich herankommen lasse und meine Sachen schreibe», erzählt er.

Unterstützung bekommt er dabei auch von seiner Frau Gerlinde, die er im Studium kennengelernt hat und die ebenfalls Ökonomin ist. Im 1991 erschienenen gemeinsamen Buch «Kaltstart» kritisierte das Ehepaar die Wirtschaftspolitik des wiedervereinigten Deutschland und warnte - aus heutiger Sicht zurecht - vor lang anhaltenden Wachstumsschwächen der neuen Bundesländer.

Für die Politik sind Sinns schonungslose Analysen, etwa sein Buch «Ist Deutschland noch zu retten?», zwar nicht immer angenehm, dennoch schätzt man seinen Rat. Als Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium wirkte er maßgeblich an der Entwicklung der Riester-Rente mit. Einer seiner größten Erfolge, wie er im Nachhinein meint. Seine Idee der Lohnzuschüsse, die er heute noch vehement vertritt, floss in die Hartz-IV-Gesetzgebung mit ein. Auch am Parteiprogramm der CDU/CSU wirkte er schon mit.

Einer Partei gehört er dennoch nicht an. Und auch ein Leben als Politiker kann Sinn sich nicht vorstellen. «Ich bin dafür nicht geeignet», meint der kompromisslose Finanzwissenschaftler. Politisch heraushalten will er sich dennoch nicht und kämpft derzeit leidenschaftlich gegen Mindestlöhne. «Wenn jetzt flächendeckend Mindestlöhne durchkämen, dann würde ich das als großen Misserfolg ansehen», sagt er und warnt vor «linken Experimenten». «Mindestlöhne treiben diejenigen, die von der Globalisierung betroffen sind, erst recht in die Arbeitslosigkeit.» Wer ihn wegen dieser Haltung als Neoliberalen brandmarke, der habe «überhaupt keine Ahnung», sagt Sinn. Als Finanzwissenschaftler betone er sogar die starke Rolle des Staates, etwa als Korrektiv einer ungleichen Einkommensverteilung.

Sein Hobby wird in den Ruhestand verschoben

Seine Frau und er sind leidenschaftliche Volkswirtschaftler. Sinns drei erwachsene Kinder haben jedoch andere Berufswege eingeschlagen. «Die haben sich gesagt: Zwei Ökonomen in der Familie das reicht.» Für sein Hobby, die Fotografie, bleibe neben all den Aufgaben kaum Zeit, erzählt er. «Seit ich am ifo-Institut bin, habe ich Filmrollen und Videofilme angehäuft, die ich nicht geschnitten habe und die darauf warten, dass ich eines Tages pensioniert werde.

An Ruhestand denkt Sinn aber noch lange nicht. «Ich möchte mich in den nächsten Jahren sehr stark der Klimaforschung widmen», kündigt er an. Dieses Thema werfe riesige ökonomische Fragen auf, auf die die Politik noch keine befriedigenden Antworten gefunden habe.

Doch zumindest an seinem 60. Geburtstag gibt der Finanzwissenschaftler einmal die Zügel aus der Hand: «Meine Frau hat für mich eine Feier organisiert, und ich weiß nicht das Geringste.