Vor einem Jahr stand die Welt am Abgrund. Am 10. Oktober 2008 ging eine Börsenwoche zu Ende, in der die Kurse stärker gefallen waren als selbst in den schlimmsten Wochen des Jahres 1929. Die Bankkunden leerten ihre Konten. Der Bargeldabfluss war an diesem Tag so groß wie sonst in zwei Monaten. In der darauffolgenden Woche wäre es zum Kollaps des gesamten Zahlungssystems der westlichen Welt gekommen, wenn nicht am Samstag in Washington die Rettung aller systemrelevanten Banken beschlossen worden wäre. Ein Chaos wie bei der Argentinien-Krise blieb uns so gerade noch erspart.
Und nun? Viele der durch staatliche Hilfen geretteten Geldhäuser sind immer noch lädiert. Der britische Staat hat sich an großen Banken des Landes beteiligt. In den USA ist ein Fünftel des Eigenkapitals der US-Banken in öffentlicher Hand, obwohl sich ein paar Investmentbanken schon wieder freigekauft haben. Große Unternehmen wie die Citibank oder AIG gehören inzwischen zu erheblichen Teilen dem Staat.
Nun hat der Internationale Währungsfonds (IWF) Alarm geschlagen und darauf hingewiesen, dass den westeuropäischen Banken das Schlimmste erst noch bevorsteht. Der Grund: Sie hätten ihre Abschreibungen auf toxische Finanzprodukte noch nicht in dem Maße offengelegt wie ihre amerikanischen Wettbewerber. Der Konjunkturzyklus laufe versetzt, und insbesondere Deutschland habe es versäumt, die Banken bei der Umsetzung seines Bad-Bank-Konzepts zu mehr Bilanzwahrheit zu verpflichten. Bis zum zweiten Quartal 2009 seien in Westeuropa erst gut 40 Prozent der erforderlichen Abschreibungen in den Bankbilanzen realisiert worden, moniert der IWF.
Das Eigenkapital schrumpft um 53 Prozent Tatsächlich hat das deutsche Bankensystem, das Ende 2007, also vor dem Beginn der eigentlichen Krise, ein Eigenkapital von 306 Milliarden Euro besaß, bereits 69,4 Milliarden Euro auf Finanzprodukte abgeschrieben. Rechnet man diese Zahl mit den IWF-Angaben hoch, kommt man auf einen restlichen Abschreibungsbedarf von 93,4 Milliarden Euro. Es ist somit zu erwarten, dass die deutschen Banken brutto (ohne Berücksichtigung von Hilfsmaßnahmen und Gewinneinbehaltungen) etwa 163 Milliarden Euro oder 53 Prozent ihres Eigenkapitals verloren haben - oder noch verlieren werden.
Das sollte all jenen zu denken geben, die jetzt schon wieder mit geschwellter Brust durch das Land ziehen und die Notwendigkeit von Staatsbeteiligungen weit von sich weisen. Pokergesichter sind kein Ersatz für eine nachhaltige Geschäftspolitik. Die Bankenkrise ist noch lange nicht ausgestanden, zumal Firmenkonkurse, steigende Risikogewichte wegen der Rating-Verschlechterung der Firmenkunden, die Ausfälle verbriefter US-Kreditkarten und die Erhöhung der regulatorischen Eigenkapitalquoten nach dem G20-Kompromiss von Pittsburgh noch ausstehen - von den Konsequenzen des sich weiter verdüsternden US-Arbeitsmarktes ganz zu schweigen.
Kreditklemme kann den Aufschwung abwürgen Der IWF warnt davor, dass sich die Kreditklemme wegen der Eigenkapitalverluste der Banken weiter verschärfen und den möglichen Aufschwung abwürgen könnte. Gerade Deutschland muss diese Warnung ernst nehmen: 54 Prozent der Großunternehmen klagen heute schon über eine restriktive Kreditvergabe, und die Zinsmargen steigen. Es mag sein, dass die Kredite ausreichen, um die restlichen Investitionen zu finanzieren, zu denen sich die Firmen trotz Krise noch aufraffen. Zur Finanzierung des erhofften Aufschwungs reichen sie nicht.
Deutschland kann es sich nicht leisten, dass sich seine Banken gesundschrumpfen oder versuchen, durch Gewinnthesaurierung über Jahre hinweg allmählich wieder neues Fett anzusammeln. Ein solches Durchwursteln hat Japan nach seiner Bankenkrise von 1987 in eine nunmehr 20 Jahre währende Dauerstagnation getrieben, die durch Deflation, Nullzinsen und eine dramatische Erhöhung der Staatsschulden gekennzeichnet war. Die Staatsschulden stiegen von 78 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 1987 auf nahezu 190 Prozent heute.
Was ist zu tun? Wir brauchen wie in den USA Stresstests für die Banken und müssen Kreditinstitute, die sich als notleidend erweisen, zwingen, mehr Eigenkapital aufzunehmen. Die Herabskalierung des Geschäftsvolumens - allein bei der Deutschen Bank 300 Milliarden Euro - mag betriebswirtschaftlich eine sinnvolle Lösung sein. Volkswirtschaftlich ist sie es nicht.
Wenn die Banken neues Eigenkapital nicht am Markt einsammeln können, muss es vom Staat kommen. Noch immer liegen von den 80 Milliarden Euro, die der Bund als Eigenkapital zur Verfügung gestellt hat, 60 Milliarden Euro ungenutzt herum. Ich begreife nicht, dass es im liberalen Amerika möglich war, die Rekapitalisierung der Banken auf dem Wege der staatlichen Beteiligung zu erzwingen, während sich das staatsgläubige Deutschland als handlungsunfähig erweist. Und man komme hier nicht mit der EU, die das angeblich verhindert. Die EU wird nichts verhindern, wenn Deutschland seine wirtschaftliche Existenz sichern will.
Wenn sich der Staat in der Krise am Eigenkapital der Banken beteiligt, rettet er die Banken, ohne die Bankaktionäre zu retten. Das ist die richtige Strategie, um den Banken auch langfristig die richtigen Anreize für ihr Geschäft zu setzen.