Wieder einmal verlangen einige amerikanische Ökonomen und Politiker, allen voran Nobelpreisträger Paul Krugman, mit großem Nachdruck von Deutschland, mehr Geld auszugeben, um die Weltwirtschaft zu stützen. Das hatten sie schon auf dem Höhepunkt der Krise im Herbst 2008 getan. Damals hatten sie insofern recht, als keynesianisches deficit spending angesagt war, um den Absturz der Weltwirtschaft zu verhindern. Die schlimmste Rezession der Nachkriegszeit erforderte energische Maßnahmen zur Nachfragestützung - und in der Tat haben die weltweit aufgelegten Konjunkturprogramme in Höhe von rund einer Billion Euro die Rezession so schnell beendet, wie sie gekommen war.
Die Kritik an Deutschland war freilich schon damals nicht berechtigt. Deutschland hat nicht nur mit zwei diskretionären Konjunkturprogrammen von 84 Milliarden Euro seinen Pflichtanteil geleistet. Vor allem aber hat es wegen seines umfangreichen Sozialstaates, der Agenda 2010, des Kurzarbeitergeldes und auch wegen der Kündigungsschutzgesetze, so problematisch diese in anderer Hinsicht sind, eine immense automatische Stabilisierungswirkung auf die Weltwirtschaft entfaltet. Der Arbeitsmarkt erwies sich als äußerst robust, und an den Transferempfängern ging die Krise spurlos vorüber.
Während die US-Importe viel schneller fielen als die Exporte, was die Weltwirtschaft in die Krise stürzte, war es in Deutschland umgekehrt. Der deutsche Handelsüberschuss sank von 2008 auf 2009 um 74 Milliarden Dollar. So groß war netto der Nachfrageschub, der von Deutschland auf die Welt ausgeübt wurde. Nur China hat die Weltwirtschaft mit einem Nachfrageschub von netto 102 Milliarden in der Krise stärker stimuliert.
Heute steht die Weltwirtschaft mitten in einem starken Wirtschaftsaufschwung, der von den Schwellenländern ausgeht und auch Deutschland voll erfasst hat. Die ifo-Konjunkturuhr ist zum ersten Mal seit über zwei Jahren wieder in den Boom-Bereich gewandert. Die Mehrheit der befragten Unternehmen bekundet nun endlich wieder, dass ihre Lage gut sei. Der Internationale Währungsfonds schätzt, dass die Weltwirtschaft dieses Jahr um 4,2 Prozent und 2011 um 4,3 Prozent wachsen wird - und damit mehr als im Durchschnitt der vergangenen vier Jahrzehnte. Und deshalb befremden die jüngsten Sparratschläge aus Amerika auch so. Es ist nun wahrlich nicht die Zeit für neue Konjunkturprogramme, jetzt geht es um Budgetkonsolidierung. Wann, wenn nicht jetzt, soll denn der Staat mit dem Sparen anfangen?
Auch Amerika weiß natürlich, dass die Weltwirtschaft boomt, aber es sucht Verbündete für seine eigene Schuldenpolitik, die jedes gesunde Maß überschritten hat. Widerstrebend hat sich Präsident Obama beim G20-Gipfel in Toronto zu einer Sparpolitik bekannt, von der er gar nicht weiß, wie er sie bewerkstelligen soll. Die US-Wirtschaft hängt heute am Tropf des Staates. Das Budgetdefizit wird dieses Jahr 12,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen. 40 Prozent des Bundesbudgets sind kreditfinanziert. 2011 wird die Schuldenquote 100 Prozent überschreiten und sich dem griechischen Niveau annähern. Nachdem die private Verbriefung von Immobilienkrediten praktisch nicht mehr existiert, liefen im vergangenen Jahr 95 Prozent aller Immobilienkredite über drei staatliche Institutionen: Fannie Mae, Freddie Mac und Ginnie Mae. Die Zentralbank kauft die Wertpapiere dieser Institutionen mit frisch gedrucktem Geld, weil ausländische Kunden knapp werden. Der Kapitalimport der USA ist gegenüber den vergangenen Jahren auf dieHälfte geschrumpft. Wohin das alles führen wird, weiß der Himmel.
Verantwortung für künftige Generationen Leider waren auch die deutschen Banken von der US-Krise stark betroffen. Deutschland gehörte neben China in den vergangenen Jahren zu den Hauptfinanziers des amerikanischen Kapitalmarktes. Der Kreditfluss ist aber ins Stocken geraten, weil klar wurde, welche Mogelpapiere von amerikanischer Seite angeboten wurden. Landesbanken und Privatbanken werden noch viele Jahre daran arbeiten müssen, die Abschreibungsverluste auf US-Papiere in ihren Bilanzen zu verkraften.
Amerika will nun, dass der deutsche Staat selbst die Kreditmittel abruft und ausgibt, die nicht mehr nach Amerika fließen wollen. Darin liegt eine gewisse Logik. Sie ist von ähnlicher Natur wie die Rettungsprogramme für südeuropäische Krisenstaaten. Aber das alles ist nicht der richtige Weg. Jenseits der Krisenbewältigung gibt es eine Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen, deren Vernachlässigung der Boom der Weltwirtschaft den argumentativen Boden entzogen hat. Stattdessen ist unabdingbar, dass Schuldenländer wie Griechenland und die USA die Stabilität und Glaubhaftigkeit ihrer privaten und öffentlichen Finanzsysteme wieder herstellen, damit Kreditgeber neues Vertrauen schöpfen und neue Kredite vergeben. Die USA müssen die staatliche Schuldenaufnahme eindämmen, indem sie die Bonität der privaten Schuldner verbessern. Dazu müssen sie verlässlichere Verbriefungsstrukturen nach Art der deutschen Pfandbriefe entwickeln und ihren Banken wesentlich höhere Eigenkapitalquoten abverlangen. Am schwierigsten wird es werden, den mit fremdem Geld finanzierten Lebensstandard aufzugeben. Das gilt auch für die südeuropäischen Staaten. Schmerzliche Strukturreformen kann den Schuldenländern niemand ersparen.
Hans-Werner Sinn ist Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung und Ordinarius an der Ludwig-Maximilians-Universität in München