EZB und Rettungsfonds dürfen keine Staatsanleihen kaufen

Die Stimmrechte im EZB-Zentralbankrat sind nach den Kapitalanteilen zu gewichten.
Autor/en
Hans-Werner Sinn
Handelsblatt, 16.09.2011, Nr. 180, S. 8

Es gibt keine einfache Lösung für die Euro-Krise. Vielmehr ist Durchwursteln angesagt. Weil die peripheren Länder zu teuer sind, müssen sie billiger werden, aber das tun sie nur, wenn der öffentliche Geldfluss allmählich versiegt.

Durch günstigen Kredit für private und öffentliche Zwecke war unter dem Euro in der Euro-Peripherie eine inflationäre Blase entstanden, die die Wettbewerbsfähigkeit vieler Länder unterminiert hat. Heute stecken diese Länder mit ihren überhöhten Preisen für Immobilien, Staatspapiere, Güter und menschliche Arbeit fest und finden keine privaten Anleger mehr, die die daraus resultierenden Leistungsbilanzdefizite finanzieren wollen.

Vier Jahre lang hat die Bundesbank stillschweigend mit Target-Krediten von 350 Milliarden Euro ausgeholfen, aber sie kann bald nicht mehr. Deshalb hat die Europäische Zentralbank (EZB) die Politik bedrängt, die Finanzierung mit offenen Hilfskrediten der Staatengemeinschaft, faktisch wiederum vor allem Deutschlands, fortzuführen. Diese Kredite stützen die falschen Preise, perpetuieren die Leistungsbilanzdefizite und schaffen auf den Kapitalmärkten ein permanentes Abwärtsrisiko, das immer wieder von Neuem für Unruhe sorgt, wenn Zweifel an der Tiefe der deutschen Taschen aufkommen. Der riesige öffentliche Kreditfluss setzt Deutschland atemberaubenden Haftungsrisiken aus, aber er bewirkt gar nichts, außer dass er die Auslandsschulden der betroffenen Länder immer weiter anwachsen lässt.

Von Krise zu Krise wird dem deutschen Portemonnaie mehr und mehr Geld entnommen, bis es leer ist und der Euro zerbricht. Solange der deutsche Kredit fließt, können die Leistungsbilanzdefizite weiter finanziert werden, doch wenn er nicht mehr fließt, werden viele Defizitländer austreten, um ihr Heil in der offenen Abwertung zu suchen. Um zu verhindern, dass entweder Deutschland insolvent wird oder der Euro kaputtgeht, muss man nun, im vierten Jahr der öffentlichen Finanzierung der Krisenländer, allmählich, aber mit fester Hand damit beginnen, den Hahn für neue Kredite zuzudrehen.

Nur so kann die notwendige reale Abwertung im Euro-Raum, also die Kürzung der Löhne, Güterpreise und Assetpreise relativ zu den anderen Euro-Ländern, eingeleitet werden. Für Griechenland wird die Belastung angesichts des riesigen Abstandes zwischen tatsächlichen und gleichgewichtigen Preisen zu groß sein. Es wird sein Heil vermutlich außerhalb des Euro-Raums suchen. Aber die anderen Länder könnten es schaffen, wieder wettbewerbsfähig zu werden, wenn der politische Wille der Bevölkerung zu schmerzlichen Kuren vorhanden ist. Sicher ist das nicht, insbesondere nicht für Portugal.

Irland hat aber mit seinem radikalen Deflationskurs gezeigt, dass man durch eine reale Abwertung gesunden und sein Leistungsbilanzdefizit beseitigen kann. Daraus sollten die anderen Länder lernen. Nach der Phase der lockeren Budgetbeschränkungen kann der Euro-Raum nur durch härtere Budgetbeschränkungen gesunden, die eine reale Abwertung erzwingen.

Im Einzelnen sind die folgenden Maßnahmen zu ergreifen:

1. Der weitere Rückkauf von Staatsschulden durch den Euro-Rettungsfonds EFSF und die EZB ist zu verbieten. Nur Hilfsprogramme, an denen der Internationale Währungsfonds (IWF) beteiligt ist, sind erlaubt. Euro-Bonds müssen dauerhaft ausgeschlossen werden. Auch in den Vereinigten Staaten von Europa hätten sie nichts zu suchen. Man vergleiche die USA oder die Schweiz.

2. Die Kreditvergabe der Bundesbank (Target- Kredite) an die GIPS-Länder darf nicht mehr erhöhtwerden. Die Target-Salden sind jährlich mit marktüblich verzinsten, handelbaren Wertpapieren zu bezahlen wie in den USA. Übergangsregeln für die schon vorhandenen Salden sind möglich.

3. Die Stimmrechte im EZB-Zentralbankrat sind nach den Kapitalanteilen bzw. den Haftungsverhältnissen zu gewichten.

4. Der Zentralbankrat braucht für Kredittransfers zwischen Staaten, die er toleriert oder induziert, Einstimmigkeit und die Zustimmung der Regierungen der Gläubigerländer.

5. Die EFSF sollte sich auf Liquiditätshilfen für Krisenländer konzentrieren und diese Hilfe auf zwei Jahre begrenzen.

6. Wenn ein Euro-Staat ab dem dritten Jahr seine Schulden nicht aus eigener Kraft bedienen kann, ist eine drohende Insolvenz statt einer bloßen Illiquidität zu unterstellen. Dannmuss unter Beseitigung der Cross- Default-Regeln ein automatischer Hair-Cut für die jeweils fälligen Staatsschulden, und nur für sie, realisiertwerden. Die abgewerteten Altschulden werden in neue Staatspapiere verwandelt, die von der EFSF zu 80 Prozent besichert sind, wobei die Höhe der Gesamtsicherung auf 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzt ist.

7. Ein Land, dessen Garantien fällig werden oder das die Garantiegrenze überschreitet, muss seine Insolvenz erklären. Dem Land wird dann ein allgemeiner Schuldenschnitt auf die gesamte Staatsschuld gewährt, und es muss den Euro-Raum verlassen.

8. Im Basel-III-System für die Bankenregulierungwerden die Risikogewichte für Staatsschulden von null auf das Niveau der mittelständischen Unternehmen erhöht.

9. Die Eigenkapitalquoten (Kernkapitalquote und bilanzielle Quote) werden gegenüber Basel III um die Hälfte vergrößert.

10. Schwache Banken, die am Markt nicht genug Eigenkapital finden,um diese Anforderungen zu erfüllen, werden zwangskapitalisiert und teilverstaatlicht. Der Staat verkauft seine Anteile, wenn die Krise vorbei ist.