Die Bundesregierung hat eine neue Rentenreform-Kommission eingesetzt, die nach eigenem Bekunden nur eine marginale Nachjustierung der Riester-Reform beabsichtigt. Aber mit marginalen Reformen ist es angesichts der gewaltigen demografischen Probleme dieses Landes nicht getan. Die Ursachen der demografischen Krise müssen ebenfalls in den Blick genommen werden.
Während Deutschland vor 150 Jahren zur Spitzengruppe der geburtenstarken Länder gehörte, reiht es sich nun auf einem der allerletzten Plätze ein. Zehn Deutsche haben im Laufe ihres Lebens kaum mehr als sechs Kinder. In 50 Jahren werden die Deutschen das älteste Volk auf der Erde sein, und schon bis zum Jahr 2035 wird sich die Zahl der Rentner relativ zu den Beitragszahlern mehr als verdoppeln.
Auch eine Masseneinwanderung bietet keine wirkliche Lösung, denn auch die Zuwandernden gehen irgendwann in die Rente. Nach Berechnungen der Vereinten Nationen bräuchte Deutschland bis zum Jahr 2050 eine Einwanderung von nicht weniger als 190 Millionen Personen, um das Zahlenverhältnis der Alten und Jungen auf dem heutigen Niveau zu stabilisieren. Andere Berechnungen zeigen, dass selbst unter der unrealistischen Annahme, dass nur junge Leute zuwandern, die selbst nie das Rentenalter erreichen, bis zum Jahr 2035 mehr als 40 Millionen Einwanderer erforderlich wären, um dieses Zahlenverhältnis konstant zu halten.
Rente und Familienplanung
Die Rentenversicherung hat die Probleme, unter denen sie leidet, selbst mitverursacht. Sie ist eine Versicherung gegen Kinderlosigkeit und die daraus entstehende Altersarmut. Auch wenn man selbst keine Kinder haben kann, muss man im Alter nicht darben, weil man von den Kindern anderer Leute ernährt wird. Der gegenseitige Versicherungsschutz ist ein großer Vorteil für alle Beteiligten. Problematisch ist aber, dass diese Versicherung gegen Kinderlosigkeit die ökonomischen Gründe für den Kinderwunsch aus der Familienplanung ausblendet, indem sie die Leistung der Kinder an die vorangehenden Generation fast vollständig sozialisiert.
Vor der Einführung der Rentenversicherung durch Bismarck war es auch in Deutschland üblich, Kinder zu bekommen, um den eigenen Alterskonsum sicherzustellen. Dieses Motiv entfällt heute in Deutschland. Eigene Kinder sind unnötig. Kaum ein junges Paar verbindet den Kinderwunsch heute mehr mit der Frage, wie der eigene Lebensabend zu sichern ist.
Generationen von Deutschen haben seit 1889 die Erfahrung gemacht, dass man auch ohne eigene Kinder im Alter zurechtkommt, und so haben sich auf dem Wege der Nachahmung von Generation zu Generation neue Lebensmuster verbreitet, die an die neuen institutionellen Verhältnisse angepasst sind. Das Single-Dasein ist zu einem attraktiven Lebensmuster geworden; wer drei Kinder hat, gilt zuweilen schon als asozial.
Früher erwuchs aus der Kinderlosigkeit eine Bedrohung für das eigene Leben, die es unter allen Umständen zu vermeiden galt. Heute entsteht aus der Kinderlosigkeit ein massiver materieller Vorteil, den immer mehr Menschen für sich reklamieren. Der neue Golf und der Urlaub auf den Malediven können mit dem bei der Kindererziehung eingesparten oder dem durch Verzicht auf Kindererziehung verdienten Geld locker finanziert werden.
Die Bedrohung, die aus der Kinderlosigkeit erwächst, ist zwar auch heute noch vorhanden, aber sie verlagert sich diffus auf das gesamte Gemeinwesen. Deutschland vergreist, die Dynamik des Landes lässt nach, der Sozialstaat gerät in die Krise - und dennoch hat der Einzelne kaum etwas davon, wenn er seinen eigenen Beitrag zur Verhinderung dieser Entwicklung leistet.
Jede Generation wird einmal alt, und dann kann sie nur leben, wenn sie in ihrer Jugend selbst vorgesorgt hat. Entweder muss sie Humankapital gebildet haben, indem sie Kinder in die Welt gesetzt und großgezogen hat. Oder sie muss gespart und somit direkt oder indirekt Realkapital gebildet haben, um vom Verzehr dieses Kapitals zu leben. Eine Generation, die weder Human- noch Realkapital gebildet hat, muss hungern.
Da die Deutschen heute weniger Humankapital bilden, als es frühere Generationen taten, müssen sie als Ersatz Realkapital anhäufen, um so die mangels Nachkommen wegfallenden Rententeile zu ersetzen. Dies ist die richtige Überlegung, die zur Riester-Rente und zur Rentenkürzung im Umlagesystem geführt hat. Die Riester-Rente ist aber noch nicht zu Ende-gedacht. Sie kuriert die Symptome der deutschen Krankheit, doch nicht ihre Ursachen. Sie verringert die Fehlanreize für die Familienplanung nicht und führt zu kaum erträglichen Lasten bei denjenigen, die durch die Erziehung von Kindern bereits den vollen Beitrag zur Finanzierung der Umlagerenten leisten.
Rente nach Kinderzahl
Statt eine ganze Generation kollektiv in die Verantwortung zu nehmen, sollten die notwendigen Rentenkürzungen und das kompensierende Riester-Sparen auf die Kinderlosen konzentriert werden. Wer keine Kinder in die Welt setzt und großzieht, dem kann eine erhebliche Rentenkürzung zugemutet werden. Die Rente sollte nicht auf null reduziert werden, denn das würde den Versicherungsgedanken negieren und unberücksichtigt lassen, dass die Kinderlosen auf dem Wege des Familienlastenausgleichs einen gewissen, wenn auch geringen Beitrag zur Mitfinanzierung der Kinder leisten. Doch erscheint eine Kürzung ,der Rente auf die Hälfte als angebracht.
Nur wer zwei Kinder und mehr großzieht, dem kann die umlagefinanzierte Rente im bisherigen Umfang erhalten bleiben. Die Beiträge sind demgegenüber nicht zu verändern, weil sie zur Finanzierung der jetzt Alten gebraucht werden.
Die Betroffenen müssen verpflichtet werden, in dem Maße eine Riester-Rente anzusparen, wie ihnen die umlagefinanzierte Rente gekürzt wird. Dabei wird die derzeit vorgesehene Ersparnis von nur vier Prozent bei Kinderlosen nicht ausreichen, um den Verlust der Hälfte der Umlagerente wettzumachen. Es ist sicherlich von einem Betrag in der Größenordnung von sechs bis acht Prozent auszugehen, wenn eine solch umfangreiche Rentenkürzung kompensiert werden soll.
Bei der Rentenkürzung für Kinderlose dürfen allerdings die bereits aufgebauten Anwartschaften nicht angetastet werden. Es geht nur um die heute noch jüngeren Menschen. Sie haben Zeit genug, sich auf dem Wege des Riester-Sparens eine ausreichende Rente zu sichern, falls sie keine Kinder haben können oder wollen. Je älter man ist, desto mehr Anwartschaften hat man im alten System erworben, und desto geringer sind die Möglichkeiten, die Riester-Rente anzusparen. Ältere Menschen werden deshalb von der notwendigen Reform kaum erfasst, und wer schon Rente bezieht, den betrifft sie gar nicht.
Die Vorteile der Staffelung
Die Staffelung von Umlage- und der Riester-Rente nach der Kinderzahl ist gerecht, weil sie dem Verursacherprinzip und- dem Leistungsfähigkeitsprinzip folgt. Wer keine Kinder hat und insofern zu wenig tut, um seine eigene Rente im Umlagesystem zu sichern, muss die Konsequenzen tragen und selbst auf dem Wege der Ersparnis für Ersatz sorgen. Und wer keine Kinder hat, kann sparen, weil er keine Ausgaben für die Kindererziehung leisten muss. Die bei der Kindererziehung eingesparten Geldmittel kann er am Kapitalmarkt anlegen, um auf diese Weise seine gekürzte Umlagerente zu ergänzen.
Man mag einwenden, mit der Zahlung des Rentenbeitrages erbrächten junge, kinderlose Bürger bereits eine Leistung für die eigene Rente, und insofern sei es ungerecht, sie auf dem Wege des Riester-Sparens zu einer zweiten Leistung zu zwingen.
Dieses Argument verkennt, dass es im Generationenzusammenhang zu den normalen Pflichten einer jeden Generation gehört, zwei Leistungen zu erbringen: in der leistungsfähigen Lebensphase muss man seine Eltern und seine Kinder ernähren. Die erste dieser beiden Leistungen wird in Form der Rentenbeiträge erbracht, die ja in vollem Umfang an die heutigen Rentner fließen. Doch die zweite Leistung wird von vielen Menschen nicht erbracht, weil sie sich gegen Kinder entscheiden. So gesehen ist sehr wohl gerecht, nun auch diesen Menschen eine zweite Leistung in Form des Riester-Sparens abzuverlangen.
Dadurch sichern sie sich die Rente, deren Vollfinanzierung man den wenigen zukünftigen Beitragszahlern nicht mehr zumuten kann, und es wird möglich, den Eltern einen größeren Teil der von ihren eigenen Kindern gezahlten Rentenbeiträge zu belassen. Menschen, die mehrere Kinder großziehen, an der Riester-Rente beteiligen, hieße indes, ihnen eine dreifache Last aufzuerlegen.
Als Beitragszahler ernähren sie die jetzt Alten, als Eltern finanzieren sie über die Kosten der Kindererziehung die Renten aller zukünftigen Rentenbezieher, und als Riester-Sparer müssten sie zusätzlich ihre eigenen Renten finanzieren.
Für die Staffelung der Umlagerente nach der Kinderzahl spricht indes nicht nur die Gerechtigkeit. Ihr Hauptvorteil könnte längerfristig darin liegen, dass sie die wünschenswerte Änderung der Familienplanung herbeiführt und somit die Ursache der demografischen Probleme bekämpft. Wenn Kinderlose erhebliche Teile ihres Einkommens sparen müssen, bloß um damit bei ihrer Rente auf den gleichen Stand wie Familien mit Kindern zu kommen, dann erhalten die Kinder bei der Lebensplanung wieder das ihnen ökonomisch zustehende Gewicht.
Manch ein bislang noch unschlüssiges junges Paar wird sich unter diesen Umständen vielleicht doch für Kinder entscheiden. Alle Erfahrung zeigt, dass gerade auch die Familienplanung sehr stark auf ökonomische Anreize reagiert. Als die DDR in den 70er Jahren ökonomische Anreize zur Erhöhung der Geburtenraten einführte, stieg die Zahl der neugeborenen Kinder deutlich an. Und als das Saarland 1957 von der großzügigen französischen Unterstützung für Familien auf das knauserige westdeutsche System umgestellt wurde, gingen die Geburtenraten deutlich zurück.
Die so genannte Social Security Hypothesis, nach der die Ausgestaltung des Rentensystems den Kinderwunsch maßgeblich mitbeeinflusst, ist von der einschlägigen Fachliteratur auch für Deutschland empirisch bestätigt worden.
Keine doppelte Intervention
Das alles heißt nicht, dass einer staatlichen Bevölkerungspolitik das Wort geredet werden soll, deren Ziel es ist, in die freien Entscheidungen der Menschen einzugreifen und sie bei der Kinderwahl zu bevormunden, im Gegenteil. Heute greift der Staat über das Rentensystem ganz massiv in die Familienplanung ein, indem er die natürlichen ökonomischen Motive für den Kinderwunsch aus den Köpfen der Menschen vertreibt. Deshalb muss das Ausmaß der fiskalischen Umverteilung von den Familien mit Kindern zu den Personen ohne Kinder, die im jetzigen Rentensystem stattfindet, zurückgefahren werden. Die Rente nach der Kinderzahl einzuführen, heißt, den Staat wieder ein Stück weit aus der Familienplanung herauszunehmen - und bedeutet nicht, ihn dabei mitreden zu lassen.
HANS-WERNER SINN lehrt Volkswirtschaft an der Universität München und leitet das Ifo-Institut.