Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 16.10.2016, S. 29
1. Schaffen wir eine atmende Währungsunion zur Gesundung des Euro!
Die Eurozone wird zu einer atmenden Währungsunion umgewandelt, die geregelte Ein- und Austritte erlaubt. Länder, die ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren haben, können den Euro verlassen, um sie durch eine Abwertung wiederzuerlangen. Beim Austritt erhalten sie Übergangshilfen für den Kauf sensibler Importprodukte, die sie sich nicht mehr leisten können. Zu einem späteren Zeitpunkt können sie, wenn sich ein stabiler Wechselkurs ihrer neuen Währung herausgebildet hat, zu den üblichen Bedingungen, wie sie auch für neu eintretende Länder gelten, wieder in den Euroverbund zurückkehren.
2. Wir brauchen eine Konkursordnung für Staaten.
Neben der Austrittsmöglichkeit vereinbart die EU-Staatengemeinschaft (in Erfüllung der bereits vorhandenen Vorgaben der EU-Verträge) Regeln für den geordneten Konkurs eines Staates. Im Falle von Liquiditätsproblemen, die einen vorübergehenden Charakter zu haben scheinen und das Land zwingen, Hilfsmittel des europäischen Rettungsschirms ESM zu beantragen, müssen die Inhaber der fällig werdenden Staatspapiere zunächst eine Laufzeitverlängerung akzeptieren. Wenn sich danach trotzdem keine Entspannung der Liquiditätsproblematik zeigt, ist die Insolvenz zu erklären. Dann werden die Staatspapiere einem Schuldenschnitt unterworfen, und das Land tritt zumindest temporär aus dem Euro aus, um durch die Verbesserung seiner Wettbewerbsfähigkeit wieder kreditwürdig zu werden.
3. Geldpolitik der Europäischen Zentralbank mit minimalem Risiko.
Die EZB darf im Rahmen ihres Mandats nur noch erstrangige Wertpapiere mit einem AAA-Rating am offenen Markt kaufen. Staaten, die nicht über ein AAA-Rating verfügen, sind gehalten, hinreichend mit Pfändern besicherte Staatspapiere auszugeben, so dass dieses Rating erreicht wird. Refinanzierungskredite müssen ebenfalls mit Wertpapieren besichert werden, die ein AAA-Rating haben.
4. Tilgung der Target-Verbindlichkeiten.
Nationale Notenbanken dürfen nur noch im Verhältnis zur Landesgröße Geld durch die Kreditvergabe an die lokale Volkswirtschaft schöpfen. Weichen sie von dieser Regel ab und lassen sie durch Nettoüberweisungen an andere Länder Target-Verbindlichkeiten entstehen beziehungsweise drucken sie physisch überproportional viele Banknoten, müssen sie diese Verbindlichkeiten jährlich durch die Hergabe von Gold oder erstklassig besicherten Staatspapieren tilgen. Der jeweilige Nationalstaat hat eine Nachschusspflicht für etwaige Verluste seiner Notenbank.
5. EZB-Stimmrechte nach der Haftung und Größe der Mitgliedsländer.
Die Stimmrechte im EZB-Rat werden nach der Größe der Haftung der Länder vergeben, die selbst wiederum gemäß der Landesgröße (Mittelwert von Bevölkerungs- und BIP-Anteil) verteilt ist. Entscheidungen des EZB-Rates, die fiskalischen, also potentiell umverteilenden Charakter haben, sind mit einer Mehrheit von 85 Prozent der Stimmen zu treffen.
6. Migration muss gesteuert werden: Heimatland- statt Gastlandprinzip für bedürftige EU-Bürger.
EU-Bürger und Bürger aus Ländern, die mit der EU assoziiert sind, erwerben das Anrecht auf soziale Leistungen eines Landes durch Geburt oder durch die Zahlung von Steuern und Sozialbeiträgen. Abgesehen von Leistungen für Arbeitslose, können EU-Bürger diese Leistungen in einem Land ihrer Wahl konsumieren, können dort aber keine Ansprüche erheben. Ansprüche auf steuerfinanzierte Sozialleistungen können sie im Gastland nur in dem Maße geltend machen, wie sie sie zuvor selbst durch Steuern finanziert haben.
7. Inklusion der Asylanten, aber Asylanträge außerhalb der EU-Grenzen.
Anerkannte Asylbewerber werden wie einheimische Staatsbürger in das Sozialsystem der Gastländer integriert, solange der Asylgrund besteht. Die Asylanträge sind allerdings außerhalb der EU-Grenzen zu stellen und nach einem für alle EU-Länder einheitlichen Verfahren zu entscheiden. Zu diesem Zweck richtet die EU im Einvernehmen mit ihren Nachbarn Antragsbehörden auf deren Territorium ein. Sofern ein solches Einvernehmen nicht erzielbar ist, richtet die EU auf ihrem Territorium extraterritoriale Zonen ein, wie es beim sogenannten Flughafen-Verfahren der Fall ist, und führt die Asylverfahren dort durch. Nur anerkannten Asylbewerbern wird die Weiterreise aus diesen Zonen gestattet.
8. Grenzsicherung als EU-Aufgabe.
Die EU-Länder sichern ihre Grenzen gemeinschaftlich, so dass sie eine praktisch lückenlose Kontrolle über die Immigration haben. Auch die Schengen-Länder sichern ihre Außengrenzen. Kommen die EU oder die Schengen-Außenländer ihren Aufgaben nur unzureichend nach, müssen die Nationalstaaten ersatzweise ihre eigenen Grenzen sichern.
9. Hilfen für schwächer entwickelte EU-Nachbarstaaten.
Die EU integriert sämtliche schwächer entwickelte Anrainerstaaten in ein Abkommen über Freihandel und freien Kapitalverkehr mit dem Ziel, diesen Ländern eine gute Chance für einen raschen wirtschaftlichen Aufschwung zu geben und den Migrationsdruck zu senken. Außerdem organisiert sie ein spezielles Entwicklungshilfeprogramm für diese Länder, das darauf setzt, die staatliche Infrastruktur so zu verbessern, dass sich die private Wirtschaft entfalten kann.
10. Aussetzung des Mindestlohns, aber "Aktivierende Sozialpolitik".
Der Mindestlohn wird für Berufsanfänger für fünf Jahre ausgesetzt, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Einwanderer oder Einheimische handelt. An die Stelle des Mindestlohns tritt eine "Aktivierende Sozialpolitik" mit Lohnzuschüssen.
11. Punktesystem für hochqualifizierte Migranten.
Die EU-Länder erlauben die Einreise von Hochqualifizierten nach einem Punktesystem, das sich am kanadischen Muster orientiert, doch auch jeweils auf den nationalen Bedarf an Arbeitskräften ausgerichtet ist. Abgelehnte Asylbewerber erhalten auf der Basis eines solchen Punktesystems eine zweite Chance auf ein dauerhaftes Bleiberecht im Gastland.
12. Freihandel und freier Kapitalverkehr ohne Arbeitnehmer-Freizügigkeit: Regeln für assoziierte EU-Mitglieder.
Die EU bietet jenen Nachbarländern, die wirtschaftlich stark sind, aber nicht zur EU gehören wollen, den Status eines assoziierten Mitglieds an. Dieser Status ist einerseits durch einen Freihandel mit Gütern und Dienstleistungen sowie einen freien Kapitalverkehr gekennzeichnet. Andererseits gestattet er eine Begrenzung des freien Personenverkehrs. EU-Ländern steht es frei, jederzeit in den Status eines assoziierten Mitglieds zu wechseln.
13. Europaweite Netze.
Die europaweiten Netze im Bereich des Internet, der Telefonie, der Straßen und Schienen sowie des Strom- und Gasverbunds werden weiter ausgebaut. Die staatlichen Fernsehsender aller EU-Länder werden für alle EU-Bürger frei verfügbar. Alle Netzwerknormen mit internationaler Bedeutung sind zu harmonisieren.
14. Ein europäischer Subsidiaritätsgerichtshof.
Der Subsidiaritätsgerichtshof hat die Aufgabe, EU-Projekte, EU-Verordnungen und EU-Richtlinien daraufhin zu überprüfen, ob sie dem Subsidiaritätsprinzip des EU-Vertrages entsprechen, nach dem nur solche Aktivitäten auf europäischer Ebene angesiedelt werden, die nachweislich nicht auf untergeordneten Gebietskörperschaften stattfinden können.
15. Gemeinsame Armee, gemeinsame Sicherheitspolitik.
Die EU-Länder legen ihre Armeen zusammen, stellen sie unter ein einheitliches EU-Kommando und vereinheitlichen die mit der Verteidigung verbundene Beschaffungspolitik. Sie koordinieren ihre Polizei- und Sicherheitsdienste und normieren und verbessern die Kommunikationswege zwischen ihnen. Sie betreiben eine gemeinsame Außenpolitik in Sicherheitsfragen, die allerdings so begrenzt werden muss, dass sie nicht zum Zwecke des Wirtschaftsprotektionismus missbraucht werden darf.